Frankreich Fünfte Kolonne
Bagdad Cafe hieß die Kneipe unweit des Bahnhofs von Montpellier, bis am Golf die Bomben fielen. Der Besitzer benannte sein Lokal um, in »Drums Bar«. Zu oft hatten ihn anonyme Anrufer erschreckt, die mit Sprengstoffanschlägen drohten. »Diese Typen vermuteten hinter dem Namen Sympathien für den Diktator«, sagt Bar-Chef Alain Levy, ein Jude.
»Tod den Arabern« und »SS« malten Attentäter an die Wand eines tunesischen Restaurants im südfranzösischen Istres, bevor sie das Lokal zerstörten. In Marseille explodierte eine Bombe vor einer Ausländerbehörde, auf Korsika attackierten Jugendliche einen aus Algerien stammenden Weltkrieg-II-Veteranen. Wer einen arabischen Namen hat oder maghrebinischer Herkunft ist, gilt vielen Franzosen heute als Feind.
Die Verfolgung nimmt zuweilen absurde Züge an: In Lyon beschlagnahmten Fahnder nahezu tausend Videos und Kassetten, auf denen der algerische Sänger Mohammed Mazoun den irakischen Diktator als Helden preist und seine Gegenspieler George Bush wie Francois Mitterrand mit Wildwest-Pistoleros vergleicht. Ein Konzert der Mauretanierin Dimi Mint Abba wurde abgesagt, weil die Regierung ihres Heimatlandes Partei für Saddam Hussein ergriffen hat.
Seit französische Soldaten am Golf mitkämpfen, hat eine Kriegspsychose das Land erfaßt, in der Haß und Rassismus wuchern. Drei Millionen Moslems leben in Frankreich, mehr als in jedem anderen westeuropäischen Staat. Und von manchen Franzosen werden die Einwanderer, von denen die meisten aus Nordafrika kommen, inzwischen als Saddams Fünfte Kolonne verdächtigt.
Nahezu täglich müssen Metro-Stationen in der Hauptstadt wegen Bombenwarnungen gesperrt werden. Auf der Seine-Insel Ile de la Cite, wo die Wohnung des am vorigen Dienstag ernannten Verteidigungs- und früheren Innenministers Pierre Joxe liegt, sicherten Polizeitrupps sogar die Abwasser-Kanalisation gegen eventuelle Terroristenattacken.
Die Waffenhändler, vor allem im Süden des Landes, in Marseille, wo über 100 000 Araber und 80 000 Juden leben, registrierten eine derart dramatische Nachfrage, daß der Innenminister den Verkauf von Schnellfeuerwaffen untersagte und den Munitionsverkauf begrenzte.
In Postämtern und Sparkassen drängten sich vor den Schaltern Nordafrikaner, die ihre Sparbücher plünderten. Flüge nach Algier und Tunis waren vor allem in den ersten Tagen nach Kriegsbeginn ausgebucht. Tausende von Arabern ergriffen die Flucht vor ihren einstigen Kolonialherren. Das Kampfgeschehen am Golf riß die alten Wunden wieder auf, die nach dem algerischen Befreiungskrieg nie richtig verheilt waren.
Vielen Algeriern und Tunesiern, die früher hilflos die tägliche Verachtung der Franzosen ertragen mußten, erschien der Despot wie ein Rächer, der dem Westen die jahrelang erduldeten Demütigungen heimzahlt.
In den vornehmlich von maghrebinischen Einwanderern bewohnten Gassen mancher Pariser Stadtbezirke wie des 18. Arrondissements stellten die Besitzer islamischer Büchereien und Schlachtereien Porträts des irakischen Führers ins Schaufenster. Amar Laboussi von der Rundfunkstation »Radio Orient« bestätigt: »Die Mehrheit unserer Hörer erklärt sich solidarisch mit dem irakischen Volk.«
Die Spannungen in den Schulen zwischen Kindern von Einwanderern und Franzosen, stellte Yannick Simbron, Generalsekretär der Lehrergewerkschaft FEN fest, »nehmen täglich zu«. In den billigen Sozialwohnungen der Vororte, den sogenannten HLM (Habitation a loyer modere), jubelten die »beurs«, in Frankreich geborene Kinder maghrebinischer Einwanderer, über die irakischen Raketenangriffe auf Israel. »Die Juden kriegen das, was sie verdient haben«, erzählten sie Reportern, »wir feiern.«
Nervös rüstete die Staatsmacht zum Kampf gegen den inneren Feind. »Es existieren nun zwei Fronten«, erklärte ein Polizeioffizier in Argenteuil, einem von vielen Arabern bewohnten Vorort von Paris, seinen Beamten, »die Front in der Wüste und die hier bei uns.«
Für viele Araber in Frankreich ist der Feldzug gegen Saddam Hussein nicht ein Krieg der Weltgemeinschaft gegen einen friedensbedrohenden Diktator, wie Francois Mitterrand und George Bush ihren Kreuzzug rechtfertigen, sondern ein weiterer Versuch der westlichen Industrienationen, ein arabisches Volk zu unterdrücken. Die von den arabischen Massen seit Jahrzehnten empfundene Demütigung sei »der Schlüssel zu allem«, erklärt der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun die Reaktion der französischen Moslems. Von dem Ausmaß und der Tiefe ihrer Frustration habe »der Westen keine wirkliche Vorstellung«.
In Frankreichs früheren Kolonien und Protektoraten, in Tunesien, Algerien und Marokko, ist die Saddam-Begeisterung so groß wie sonst nur noch bei den Palästinensern. Deren Unterdrückung durch Israel vergleichen viele Araber aus dem Maghreb mit ihren eigenen Erfahrungen in Frankreich.
»Die Blicke sind auf Bagdad gerichtet«, meldete die offizielle algerische Nachrichtenagentur, der Irak sei »der Schmelztiegel aller Hoffnungen für eine arabische Renaissance« geworden. »Egal ob Saddam den Krieg gewinnt oder verliert«, schrieb die Zeitung El Moudjahid, die Araber würden auf jeden Fall als Sieger aus dem Konflikt hervorgehen: »Sie haben endlich ihr ärgstes Handikap überwunden: die Angst vor der Allmacht des Westens.«
Französische Industrieunternehmen wie Renault oder Michelin holten schon einen Teil ihres französischen Personals aus den Maghreb-Staaten zurück. In manchen Orten im Norden Afrikas wurden die französischen Konsulate mit Steinen beworfen, in Tunis riefen Demonstranten: »Mitterrand - Mörder, Mitterrand - Verräter.« Einige trugen Plakate mit der Aufschrift: »Wir werden den Irak rächen, mit unserem Blut und unserer Seele.«
Der König von Marokko, der selber Truppen nach Saudi-Arabien abkommandiert hat, machte noch vor den ersten Solidaritätsstreiks seiner Gewerkschaften mit dem Irak einen Schwenk: Der traditionell prowestliche Monarch erinnerte sich plötzlich daran, daß »wir alle Moslems und Araber sind«, und erklärte, »mit dem Herzen« stehe er an der Seite der irakischen Brüder. In einem Leserbrief an Le Monde dementierte der Innenminister Seiner Majestät die Meldung, Hassan II. habe den Irak-Führer privat als »Kanaille« beschimpft.
Die Führer des algerischen »Front islamique du salut«, der bei den Gemeindewahlen im Juni vergangenen Jahres 54,3 Prozent Stimmen erhielt und bei den anstehenden Parlamentswahlen womöglich die Macht übernehmen wird, forderten die Einrichtung von Ausbildungslagern für Kriegsfreiwillige. Zu Tausenden meldeten sich Rekruten bei der irakischen Botschaft.
Wohl hatte Präsident Francois Mitterrand den Moslems nach Kriegsausbruch in seiner Fernsehansprache erklärt, das französische Engagement sei »nicht gegen den Islam gerichtet«. Doch die Versuchung sei groß, schrieb Le Monde, diesen Konflikt als einen Religionskrieg, als einen Zusammenprall von zwei feindlichen Kulturen anzusehen: »Zweifellos ist niemals während der großen Krisen und Konflikte des 20. Jahrhunderts derart häufig der Name Gottes genannt worden.«
Mehr als seine Kriegsverbündeten Amerika und England fürchtet Frankreich, zur Zielscheibe eines islamischen Dschihad zu werden. Die massiven Bombenangriffe der alliierten Streitmacht würden den irakischen Diktator und sein Volk »in den Augen der gesamten arabischen Welt zu einem Märtyrer machen«, warnte der Pariser Politologe Pierre Lellouche. Er befürchtet »Destabilisierung und Terrorismus« spätestens dann, wenn der Irak kapitulieren müsse.
Religiöse Fanatiker, glauben auch die Fahnder des Geheimdienstes Renseignements generaux, dessen Spitzel bei jeder Gebetsstunde in den Moscheen mithören, würden den Terrortruppen des Diktators zumindest Hilfsdienste leisten. Schon im Herbst, kurz nach der Annexion Kuweits durch Saddam Hussein, hatte der damalige Präsident der Republikanischen Partei, Francois Leotard, die algerischen Fundamentalisten als »schreckliche Bedrohung« empfunden, weil sie »direkt vor unserer Tür stehen, nur eine Stunde von Marseille entfernt«.
»Furchterregend« nannte Alain Juppe, Generalsekretär des gaullistischen RPR, den Gedanken, die Mullahs könnten Hunderttausende von Arabern, die als Entrechtete am Rande der französischen Gesellschaft leben, zum Partisanenkampf gegen ihr Gastland aufhetzen. Der Riß zwischen Franzosen und arabischen Einwanderern ist tiefer geworden. Früher, beschrieb der Soziologe Adil Jazouli die Eskalation des Mißtrauens, seien die »beurs« beim Verlassen von Supermärkten »wie potentielle Diebe beobachtet« worden, heute würden sie am Eingang »wie potentielle Terroristen kontrolliert«.