BOSNIEN-HERZEGOWINA Fünfte Kolonne des Propheten
Die Auslöschung Israels kündigt sich in einem Wortschwall an. »Zionistische Terroristen«, donnert der Imam von der verglasten Kanzel an der Stirnseite der Moschee herab, »Tiere in Menschengestalt« hätten den Gaza-Streifen in ein »Konzentrationslager« verwandelt: »Der Anfang vom Ende« des jüdischen Pseudostaats sei nun gekommen.
Mehr als 4000 Gläubige lauschen in der König-Fahd-Moschee, benannt nach dem einstigen saudi-arabischen Monarchen Fahd Bin Abd al-Asis Al Saud. Die Frauen sitzen abgeschirmt im linken Seitenflügel. Es ist der Tag der Chutba, der großen Freitagspredigt, und die Stadt, in der da Israel für todgeweiht erklärt wird, liegt 2000 Kilometer nordwestlich von Gaza.
Es ist eine Stadt im Herzen Europas: Sarajevo.
»Tee oder Kaffee?« Kaum von der Kanzel gestiegen, entpuppt sich Nezim Halilovic, der Imam und Brandredner aus der Fahd-Moschee, als vollendeter bosnischer Gastgeber. Früchte, Nüsse und gezuckertes Gelee lässt er in seiner Wohnung hinter dem Gotteshaus reichen, eine züchtig gekleidete Ehefrau und vier Kinder schieben sich ins Bild. Die häusliche Idylle steht im denkbar größten Gegensatz zur eifernden Predigt des umstrittenen Koran-Gelehrten.
Die Fahd-Moschee, mit saudischen Millionen errichtet als größte Gebetsstätte für Muslime auf dem Balkan, gilt als Sammelbecken muslimischer Fundamentalisten in Bosnien-Herzegowina und der Imam als Patron der Wahhabiten, wie sie genannt werden. Sie selbst bezeichnen sich als Salafiten, nach einer ultrakonservativen Strömung des sunnitischen Islam.
Halilovic kennt die Vorwürfe und auch die dazugehörigen Denkmuster: Wahhabiten gleich al-Qaida gleich weltweites Terrornetz. Er sagt, er habe damit nichts zu tun, könne aber »keinem Muslim verbieten, bei mir nach seinem Ritus zu beten«. Den Generalverdacht gegen die Fahd-Moschee erklärt er sich so: »Den Westen irritiert, dass jetzt viele Muslime zu ihrem Glauben zurückkehren, anstatt wie früher an der Moschee vorbei in die Bar zu schleichen, um dort Alkohol zu trinken und Schweinefleisch zu essen.«
Der »Westen« - in den Augen vieler Bosnier ist das seit 1992 ein Schmähwort, weil die Uno mit ihrem Waffenembargo damals den militärischen Widerstand der Muslime im Krieg gegen die serbischen Aggressoren massiv erschwerte. Erst vier Jahre und 100 000 Tote später machte die Weltgemeinschaft, auf Druck und unter Führung der USA, dem Gemetzel ein Ende. 80 Prozent der toten Zivilisten im Bosnien-Krieg waren Muslime.
Das Trauma sitzt tief bei den traditionell weltlichen Muslimen Bosniens. Das erleichtert den Islamisten ihr Spiel - sie erklären die Angriffe christlicher Serben und Kroaten rückwirkend zum »Kreuzzug« Ungläubiger und sich selbst zur verlässlichen Schutzmacht muslimischer Bosnier.
Imam Halilovic stand im Krieg als Kommandeur der 4. Muslimischen Brigade an der 155-Millimeter-Haubitze. In schwarzer Kampfkleidung, mit wucherndem Bart und ums Haupt gewundenem Schal. Er sah die ersten Gotteskrieger aus arabischen und nordafrikanischen Staaten kommen und mit ihnen die Saat, die inzwischen aufgegangen ist: das Gedankengut der Salafiten, islamischer Fundamentalisten, die sich am vermeintlich einzig reinen Ursprung ihrer Religion orientieren und alle neueren Traditionen des Islam ablehnen.
Sarajevo, das ist die Schnittstelle zwischen Orient und Okzident im Herzen Europas, zwischen Islam, katholischer und orthodoxer Kirche, zwischen osmanischem und österreichisch-ungarischem Erbteil. Würden Sarajevos Muslime als Mittler zwischen den Welten ausfallen, Europa hätte einen Sprengsatz mehr.
Noch ist Bosniens Hauptstadt eine Metropole mit gutbestückten Bars, Konzerten und schreiender Reklame für Reizwäsche. Pluderhose und Rauschebart bei Männern oder Ganzkörperschleier bei Frauen sind Ausnahmen im Straßenbild. Die letzten Berichte über Scharia-Milizen, die in Parks am Stadtrand gegen öffentliches Küssen einschritten, liegen zwei Jahre zurück.
Doch gut drei Prozent aller muslimischen Bosnier - das wären über 60 000 Männer und Frauen - haben sich laut einer Umfrage aus dem Jahr 2006 zum Wahhabismus bekannt, und weitere zehn Prozent bekunden Sympathie für die frommen Moralhüter. Weil aber die Radikalen und ihre arabischen Gönner seit den Terroranschlägen am 11. September 2001 unter verschärfter Beobachtung stehen, scheuen sie das Licht.
Einzeln oder in kleinen Gruppen kommen sie abends eiligen Schritts aus den von Granateinschlägen zernarbten Wohnblocks rund um die Fahd-Moschee, in der nun weniger Andrang herrscht als mittags beim großen Freitagsgebet, so dass die Fünfte Kolonne des Propheten sich fast schon unter sich fühlen darf.
Sie beten anders, mit gespreizten Beinen, Reihen eng geschlossen, »damit der Teufel nicht durchkann«. Sie verweigern Mitbetenden den rituellen Friedensgruß »Salam« am Ende, sprechen kein Wort, wollen nicht Teil der »Dschamaat« sein, der Gemeinschaft, und verlassen die Moschee geschlossen vor den anderen.
Was »halal« und »haram« ist, recht und unrecht, darüber müssen sich von den bärtigen Missionaren nun die Alten in Sarajevos Moscheen belehren lassen - als wären sie und ihre Vorfahren mehr als ein halbes Jahrtausend lang einem Irrglauben erlegen. Aus Protest dagegen hat der Imam der altehrwürdigen Kaisermoschee für alle Gläubigen vorübergehend die Pforten des Gotteshauses verriegelt - erstmals in ihrer fast 450-jähriger Geschichte.
Der Kulturkampf tobt auch im Verborgenen, in Internet-Foren bosnischer Web-Seiten wie »Studio Din«. Hier lernen die Erben des offiziell gottlosen, sozialistischen Jugoslawien die salafitische Heilslehre kennen. Sie stellen Fragen, die sich um den Alltag drehen - Musikhören, Rauchen, Geld verdienen; aber auch Fragen nach Kleidungs- und Moralvorschriften.
Die Antworten ihrer Prediger im Web sind eindeutig: »Musik ist verboten im Islam, Instrumenten zu lauschen eine Sünde.« - »Rauchen ist verboten im Islam.« - »Wer als Putzfrau in einer Bank arbeitet, die Zinsen vom Kunden erhebt, leistet Beihilfe zur Sünde. Nicht anders als Putzfrauen in Bars und Bordellen.«
Über die Web-Seite Studio Din, die auch von Exil-Bosniern besucht wird, heißt es in einer Studie des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg vom Oktober: Spuren aus dem Forum, in dem auch der Dschihad, der Heilige Krieg, als direkter Weg zu Allah diskutiert wird, verwiesen immer wieder auf Besucher der »wahhabitischen König-Fahd-Moschee« in Sarajevo - ins Reich des Imam Halilovic also.
Droht da im muslimisch dominierten Teil der noch immer zerrissenen Republik Bosnien-Herzegowina, acht Monate nach Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union, eine radikale, gewaltbereite Parallelgesellschaft?
Es gibt Anzeichen dafür. Ein »potentiell tödliches Virus« hat Resid Hafizovic diagnostiziert, Professor an der Islamischen Fakultät. Der Chef der Föderalen Polizei räumte ein, dass Gefahr von einem »Terrorismus unter islamistischen Vorzeichen« drohe, und zitierte Hinweise, dass Selbstmordattentäter begonnen hätten, sich mit Sprengstoffgürteln auszurüsten.
»Sie haben alles, um sich in die Luft zu sprengen; ob sie es tun, hängt von den Befehlen ihrer Führer ab«, sagt Esad Hecimovic, der Autor eines Standardwerks über Mudschahidin in Bosnien-Herzegowina. Im vergangenen März schon hatten Beamte der Anti-Terror-Spezialeinheit fünf Männer verhaftet, darunter vier Salafiten in Sarajevo.
Der bosnische Anführer der Gruppe, ein ehemaliger Kämpfer aus der Brigade »al- Mudschahidin«, soll über Sponsoren in Deutschland und Österreich verfügen, mit deren Hilfe er Sprengstoff erwarb. Im Zusammenhang mit den Verhaftungen entdeckte die Polizei in unwegsamen Gebirgsgegenden Lager für Waffen und Militärausrüstung, die zu Kampfsportübungen benutzt wurden.
Weil Drahtzieher des 11. September 2001 wie Chalid Scheich Mohammed in Bosnien aktiv waren, wuchs ab 2002 der internationale Druck auf die Regierung in Sarajevo. Stiftungen wurden geschlossen, Büroräume des bis dahin von den USA protegierten saudischen Hochkommissariats durchsucht. Der Qaida-Veteran Ali Hamad aus Bahrain und der gebürtige Syrer Abu Hamza sitzen derzeit noch am Stadtrand von Sarajevo in Abschiebehaft. Abu Hamza gilt in Sicherheitskreisen als Geldschleuser zwischen arabischen Sponsoren und bosnischen Salafiten. Für jede Frau, die sich vollständig verhüllt, sollen 500 Euro, ein durchschnittliches Monatsgehalt, ausgelobt sein.
Die Islamisten durchdringen langsam, aber stetig den festen Boden, auf dem die Gesellschaft Sarajevos einst stand. Männer wie der stille, bärtige Taxifahrer zum Beispiel, der Tag für Tag auf Fahrgäste an der Brücke wartet, wo im Juni 1914 Habsburgs Thronfolger ermordet wurde. Am Abend des 24. September 2008 steht er plötzlich in der ersten Reihe, mitten unter denen, die dem Polizeikordon vor der Akademie der Künste »Allahu akbar« entgegenschleudern und Besuchern des ersten bosnischen Schwulen-und-Lesben-Festivals
an den Kragen gehen.
Wahhabiten prügeln vereint mit gewöhnlichen Hooligans los, acht Menschen werden verletzt, alle folgenden Veranstaltungen werden abgesagt. Srdjan Dizdarevic, der Präsident des bosnischen Helsinki-Komitees, spricht danach von einer Niederlage der Zivilgesellschaft, von »faschistischer Rhetorik« im Vorfeld und von Erinnerungen an »Pogrome zu Zeiten Adolf Hitlers«.
Tatsächlich liefern Politiker aller Lager die Hintergrundmusik zu einer Radikalisierung, die nicht nur den säkularen Charakter Bosniens, sondern die staatliche Einheit der Muslime, Serben und Kroaten insgesamt bedroht. Es sind Lokalpolitiker, die streng nach Konfessionen aufgeteilte Schulklassen fördern - und im Dezember 2008 erstmals in staatlichen Kindergärten Sarajevos ein Zutrittsverbot erwirkten: für den christlichen Weihnachtsmann, bisher auch bei muslimischen Kindern als »Väterchen Frost« verehrt.
Vor allem die Spitzen von Staat und Parteien stehen einer Aussöhnung der Kriegsgegner im Weg. Der Serbe Nikola Spiric, Premier des schwachen bosnischen Gesamtstaats, sagt, es drohe die endgültige Spaltung. Er sei machtlos, solange seine Republik vom Hohen Repräsentanten der Weltgemeinschaft wie ein Protektorat verwaltet werde. »Mir sind Hände und Füße gebunden, ich bin das Maskottchen, die Mail-Adresse, an die die Internationalen ihre Post schicken können.«
Ein paar Häuser weiter, im Präsidentenpalast, sitzt Haris Silajdzic, der muslimische Vertreter im höchsten Staatsgremium. Tatkräftig war er als Außenminister und Premier zu Kriegszeiten, in jahrelangen Machtkämpfen ist der einstige Beau inzwischen verwittert. Dennoch zählt er weiterhin zu den trickreichsten Anwälten der muslimischen Anliegen im Vielvölkerstaat.
Von einer Islamisierung Sarajevos, ja Bosniens, will Silajdzic nichts wissen - wichtiger sei, dass den Muslimen nach dem »Genozid« in den neunziger Jahren Gerechtigkeit widerfahre. Während vor der Tür bereits das halbe Kabinett auf ihn wartet, schraubt Silajdzic sich noch eine Marlboro in die Zigarettenspitze und sagt, als »überzeugter Europäer« hoffe er, dass der Westen begreife, was hier, in dieser Republik, auf dem Spiel stehe: »Bosnien ist ein kleines Land, aber ein großes Symbol.«
Wo Sarajevo sein Gravitationszentrum hat, genau an der Grenze zwischen dem osmanischen und dem habsburgischen Teil der Altstadt, liegt das wiedereröffnete Hotel Europa, ein archetypischer Ort für die einst als »Jerusalem des Balkans« gerühmte Stadt. Ober servieren hier unter Kristalllüstern türkischen Mokka aus Kupferkännchen. Ein älterer Herr in der Ecke wird nicht müde, Europas Geistesgeschichte von Kant über Hegel mit dem Wesen des bosnischen Islam in Einklang zu bringen.
Mustafa Spahic ist Professor an der traditionsreichen Gazi-Husrev-Beg-Koranschule, der ältesten im Land. Er saß in jugoslawischer Zeit fünf Jahre wegen islamischer Betätigung im Gefängnis - gemeinsam mit Alija Izetbegovic, dem späteren Präsidenten Bosnien-Herzegowinas. Sarajevo, die Stadt zwischen Orient und Okzident, Europas Hochburg des islamischen Geisteslebens, lasse sich nicht zur Filiale saudi-arabischer Eiferer machen, sagt Spahic.
Seine Überzeugung unterfüttert er mit einem Gleichnis: »Wer unsere Pflaumenbäume hier fällen will, weil man aus den Früchten Sliwowitz machen kann, und wer stattdessen Dattelpalmen pflanzen will, weil schon der Prophet Datteln aß, dem sagen wir: Datteln wachsen bei uns nicht.« Bosniens Obermufti, Mustafa Ceric, lasse es an klaren Worten fehlen, sagt Spahic: »Er kommt seinen Pflichten nicht nach. Er fährt durch Deutschland und sammelt einen Preis nach dem anderen ein, anstatt sich mit den Radikalen hier auseinanderzusetzen.«
Ceric, das Oberhaupt aller bosnischen Muslime, ist Träger des Theodor-Heuss-Preises 2007. Nirgendwo wird er mehr geschätzt als in Deutschland, nirgendwo heftiger angegriffen als in den Gelehrtenzirkeln seiner Heimat. Für dieses Missverhältnis, sagen Cerics Kritiker, gebe es Gründe: Die Deutschen erhofften sich vom Obermufti Ausbildung und Export liberaler Imame, um ihrer eigenen Probleme mit den Islamisten Herr zu werden.
»Du bist schuld« steht unter einer Fotomontage, die den Obermufti mit übertrieben wallendem Vollbart zeigt - als obersten »Wahhabiten«. Die polemische Anklage erschien auf der Titelseite der Zeitschrift »Dani«, und Ceric hat sich in einem Anfall von Selbstironie entschieden, sie als Exponat in einer Ecke seines eigenen Empfangszimmers zu plazieren - genau gegenüber dem gerahmten Toleranzedikt des Sultans Mehmed II. aus dem Jahr 1463.
Ceric, der »Homo duplex«, wie sie in Sarajevo spotten, der Mann mit den zwei Gesichtern, trägt an diesem Morgen sein zornrotes zur Schau. Er hat es satt, sich zu Dingen äußern zu müssen, die er noch nicht einmal beim Namen nennen mag: Wahhabismus, Salafismus, Terrorismus. »Bevor wir anfangen«, sagt er, »wissen wir eigentlich, wovon wir da reden?«
Die Nervosität des Obermufti ist verständlich: Denn die Unterstützung im Westen für ihn, den zu Hause muslimisch-national Auftretenden, hintertreibt ein Ziel, das im Dayton-Abkommen von 1995 unter Federführung des Westens ausdrücklich festgeschrieben wurde: den Fortbestand eines multiethnischen, nicht eines islamisch dominierten Staats Bosnien-Herzegowina.
Wie sehr er selbst im liberalen bosnischen Islam wurzelt, daran hat Ceric nie Zweifel aufkommen lassen. Dass er sich gleichzeitig nicht scheut, enge Kontakte ins Salafiten-Lager zu pflegen, nicht nur zum einstigen Osama-Bin-Laden-Mentor Scheich Salman al-Auda aus Saudi-Arabien, sorgt für Kritik. »Völlig unbegründet«, wie Ceric letztgültig urteilt: »Wir wollen uns als islamische Gemeinschaft nur öffnen.«
Tatsächlich ließ er unlängst ausgerechnet für eine Frau und ihr Filmteam die Pforten der König-Fahd-Moschee öffnen - des im saudischen Monumentalstil aus graubraun gesprenkeltem Marmor gefügten Klotzes, der wie ein Ufo samt Antennen in Minarettform zwischen Hochhäusern am Stadtrand von Sarajevo gestrandet zu sein scheint.
Die Regisseurin Jasmila Zbanic, für ihren Erstling »Esmas Geheimnis« bei der Berlinale 2006 mit dem Goldenen Bären geehrt, hat in der Fahd-Moschee Szenen ihres neuen Films drehen dürfen: »Auf dem Weg« ist eine Liebes- und Dreiecksgeschichte, die um einen aus dem Gleichgewicht Geratenen kreist, der im Salafismus neuen Sinn zu finden versucht.
Der Mann, der für diese Rolle mit seinem Leben Modell stand, heißt Nermin Karacic. Er war Frontkämpfer im Krieg und wurde zum Islamisten. Der Berlinale-Siegerin Zbanic, die zur abgeschotteten Welt der Salafiten Zugang suchte, hat er Augen und Türen geöffnet, Codes entschlüsselt und Leute zugeführt.
»Das ist gewissermaßen mein Film«, sagt Karacic: »Ich war ja einer von denen.« Und dann zieht er, der inzwischen zu nackenlang gegeltem Haar wieder Cargo-Hosen und Outdoor-Jacke trägt, zum Beweis seiner Wandlung einen nur wenige Jahre alten Führerschein aus der Tasche, darauf ein Passbild: die gleichen stechenden Augen, doch das Haupthaar raspelkurz und der Bart bis zum Brustbein reichend.
Karacic war ein einflussreicher Führer der bosnischen Salafiten. Er stand an der Spitze von »al-Furkan«, einer Kadertruppe, die von den Saudis, wie er sagt, »kofferweise mit Cash« versorgt wurde - unter den duldsamen Augen der Amerikaner. Die schlugen erst nach dem 11. September 2001 Alarm. Wegen wiederholter »Observierung von US-Botschaft und Uno-Gebäuden in Sarajevo« und »Verbindungen zu al-Qaida«, so das US-Finanzministerium, wurde al-Furkan zum Teil des globalen Terrornetzes erklärt und von den bosnischen Behörden verboten.
»Ich schwöre bei Gott, dass ich von al-Qaida nichts wusste«, sagt Karacic. Es gibt bis heute kein Urteil gegen ihn.
Wenn demnächst der neue Film der Berlinale-Siegerin anläuft, mit all den nachgestellten Szenen aus seinem Leben, dem Trainingscamp der Salafiten, das er leitete, und der Fahd-Moschee, wo inzwischen der Imam die Auslöschung Israels predigt: Wird Nermin Karacic stolz sein, dass er diese Welt hinter sich ließ?
Da zögert der schmale Mann plötzlich, blickt übers Flussufer zu den Stellungen, wo er einst als Scharfschütze Schicht im Kampf gegen die Serben schob, und sagt: »Es ist nicht wirklich so, dass ich auf alles spucken würde, was war.« Ohne die Hilfe der Mudschahidin hätte er damals im Krieg kein »Licht mehr am Ende des Tunnels« gesehen.
Und auch im Glauben, sagt Karacic, sei er den Waffenbrüdern aus der Fremde verbunden geblieben: »Ich fühle weiter als Salafit.«