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ITALIEN Für alle Fälle

Nach der Verhaftung der Mailänder Verlegerbrüder Rizzoli und ihres Generaldirektors steht Italiens größte Verlagsgruppe bankrott zum Verkauf.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Jungverleger Angelo Rizzoli, 39, hatte das Ende seiner Karriere vorausgeahnt. »Wir gehen unter«, antwortete der bärtige Dauphin der Verlagsdynastie 1981 einem Chefredakteur seiner Gruppe, der ihn gefragt hatte, wie es weitergehen solle mit all den roten Zahlen.

Für den Chef der mächtigsten italienischen Medienfabrik (9400 Angestellte, 6 Tages-, 13 Wochenzeitungen und 11 Monatszeitschriften) endete das Spiel vom großen Verleger im Morgengrauen des vorletzten Freitags. Finanzpolizisten in Uniform führten ihn in Handschellen aus seiner Mailänder Luxuswohnung.

Außer Angelo Rizzoli wurden an diesem schwarzen Freitag auch der jüngere Bruder Alberto Rizzoli, 37, und der Generaldirektor der Verlagsgruppe, Bruno Tassan Din, 47, verhaftet. Die drei prominenten Herren werden des betrügerischen Bankrotts beschuldigt, weil in der Bilanz des Verlages 52 Millionen Mark spurlos verschwunden sind. Die Mailänder Prominentenverhaftung beherrschte für Tage Italiens Medien. Aber ein Mitgefühl für das »Ende eines Verlegertraums« ("La Repubblica") wollte nicht aufkommen.

»Wir haben zehn Jahre lang mitansehen müssen, wie ein großes Verlagshaus und ein märchenhaftes Vermögen durch Inkompetenz und abenteuerliche Politmanöver verplempert wurden«, urteilte ungerührt die Turiner »Stampa«.

Der Selfmademan Angelo Rizzoli senior, Großvater der verhafteten Rizzolis, hatte es redlich vom Handwerker zum Großindustriellen gebracht und hinterließ seinen Erben ein Vermögen von 640 Millionen Mark.

Was er anfaßte, machte er zu Geld. Und mit dem Geld kam das Prestige: Anfang der 30er Jahre druckte er die Enzyklopädie »Treccani«, investierte die Gewinne in die Filmproduktion und konnte auch unter dem Faschismus weiterverdienen, nachdem er beizeiten erklärt hatte, er habe mit der »Politik nichts am Hut«.

Sein Lieblingsenkel Angelo war da ganz anderer Meinung. Als der Doktor der politischen Wissenschaften 1974 Italiens größte Tageszeitung, den »Corriere della Sera« (Auflage: 600 000) kaufte, verkündete er großspurig: »Über die Politik werde ich zum größten Verleger der Mittelmeerländer.«

Doch er kaufte eine Katze im Sack. Denn die Besitzer der »Editoriale Corriere«, an der ein Dutzend Zeitungen und Zeitschriften hingen, verwehrten ihm den Einblick in die negativen Bilanzen des Unternehmens.

Allein für den Kaufpreis von 80 Milliarden Lire (damals 320 Millionen Mark) mußte die florierende Verlagsgruppe Rizzoli Editore spa alle Reserven lockermachen und obendrein noch hohe Bankkredite aufnehmen. Doch die knappe Kalkulation »stand schon wenige Wochen S.133 nach dem Kauf kopf« (Rizzoli), weil die Bankzinsen in der italienischen Wirtschaftskrise von 6 auf 21 Prozent kletterten.

Außerdem witterte ein Teil des Rizzoli-Clans - mit 49 Prozent Großaktionär der Verlagsgruppe - Gefahr und sprang frühzeitig ab. Angelo Rizzoli zahlte die Verwandtschaft aus und führte die Geschäfte zusammen mit seinem Vater Andrea und seinem Bruder Alberto weiter.

Mit einer Finanzspritze von 40 Millionen Mark suchte sich zunächst der Staatsmanager Eugenio Cefis, Chef des Chemieriesen Montedison, einen Zugriff auf die wichtigste Zeitung des Landes zu sichern - um so eine Waffe gegen den Vormarsch der Kommunisten in die Hand zu bekommen, denen das Geldbürgertum durchaus zutraute, bei den Wahlen von 1976 die regierende Democrazia Cristiana zu überflügeln. Doch als die KPI das nicht schaffte, zog sich Cefis, der Rizzoli weitere Gelder für den »Corriere« zugesagt hatte, vorzeitig wieder zurück.

Rizzoli mußte nach neuen Geldgebern Ausschau halten. Beim Bittstellen in den Banken bewährte sich ein neuer Manager des Hauses, Bruno Tassan Din, der von Montedison gekommen war.

»Wunder-Bruno« Tassan Din bekam auch tatsächlich bei den Staatsbanken Geld für Rizzoli. Aber zugleich ritt er seinen Verleger in jene finanzielle und moralische Pleite hinein, mit der das Haus schließlich zum Spielball der Großbanken und damit auch politischer Lobbys und Parteien wurde.

Das politische Intrigenspiel um den »Corriere della Sera« begann 1977. Bis dahin hatte die »italienische Times« ("Süddeutsche Zeitung") unter der Leitung ihres Chefredakteurs Piero Ottone zunehmend Verständnis gezeigt für die beginnende Zusammenarbeit zwischen Democrazia Cristiana und Kommunisten, die Italien aus seiner Dauerkrise führen sollte. Die konservativen Leser folgten der Zeitung nicht mehr, der »Corriere« verlor Auflage.

Der Kurs des Blattes änderte sich radikal, als 1977 die Rückzahlung von 170 Millionen Mark an Bankkrediten fällig wurde, die Rizzoli für den Kauf des »Corriere della Sera« aufgenommen hatte. Neuer Chefredakteur wurde Franco Di Bella. Eine Bank schoß mehr als die Hälfte des Betrages vor, verschärfte aber zugleich die Zinsbedingungen.

Das angeschlagene Verlagshaus ging, angeführt von Tassan Din, gleichwohl auf Expansion, führte »L'Occhio« (das Auge) ein, die erste italienische Boulevardzeitung nach dem Vorbild von »Bild«, erwarb Provinzzeitungen im ganzen Land, kaufte private TV-Sender und lancierte Weltbestseller wie Oriana Fallacis »Ein Mann«.

Den dynamischen »New Look« des Mailänder Verlagsimperiums finanzierte mittlerweile der katholische Banco Ambrosiano. Tassan Din hatte sich nämlich der geheimen Freimaurerloge »Propaganda 2« (P 2) angedient, die den Banco Ambrosiano praktisch kontrollierte.

Die Loge kaufte sich aber nicht ohne Hintergedanken in die Medienfabrik Rizzoli ein. Logenmeister Licio Gelli, der über den internationalen Waffenhandel südamerikanische Militärdiktaturen stützte, sah der Zusammenarbeit von Christdemokraten und Kommunisten mit Besorgnis entgegen und wollte nicht zuletzt über das Rizzoli-Imperium das Steuer politisch nach rechts reißen.

Doch ausgerechnet ein Logenbruder durchkreuzte die Pläne des toskanischen Matratzenvertreters Gelli: der Mailänder Bankier Roberto Calvi. Er war zwar mit Hilfe der P 2 vom kleinen Angestellten zum Chef des Banco Ambrosiano aufgestiegen, fühlte sich nun aber stark genug, das geheime Bündnis mit seinen Gönnern zu brechen.

Calvi zwang Rizzoli-Generaldirektor Tassan Din, die 140 Milliarden Lire, die das Verlagshaus dem Banco Ambrosiano schuldet, in eine 40prozentige Beteiligung umzuwandeln. Damit hatte er den »Corriere« in der Hand und konnte die Zeitung zu seiner Verteidigung gegen die Loge und die Justiz benutzen, die ihm 1981 wegen illegalen Kapitalexports den Prozeß machte.

Im Frühjahr 1981 aber explodierte der P-2-Skandal, und nun kam heraus, daß Angelo Rizzoli und sein Generaldirektor Tassan Din (seit 1978) ebenso wie »Corriere«-Chefredakteur Franco Di Bella und führende Autoren des Blattes Mitglieder der Geheimloge waren.

Die Journalisten inklusive Di Bella wurden gefeuert, der Jungverleger und sein Generalbevollmächtigter Tassan Din jedoch blieben an ihren Plätzen. Die beiden räumten ihre Stühle nicht einmal, als im Juni vorigen Jahres Rizzoli-Aktionär Roberto Calvi nach dem Bankrott seiner eigenen Bank in London unter einer Themsebrücke erhängt aufgefunden wurde und damit auch Angelo Rizzoli klar sein mußte, daß das Spiel aus und das Ende einer »Familientragödie« (Rizzoli) nahe war.

Die unter Staatsaufsicht gestellte Calvi-Bank forderte ab Herbst 1982 den Verkauf des »Corriere«, weil sie wenigstens einen Teil ihres Geldes zurückholen wollte. Von seinen Hauptgläubigern in die Enge gedrängt, forderte Angelo Rizzoli im Oktober selbst die Zwangsverwaltung für seine Gruppe an. Die amtlichen Prüfer aber fanden prompt ein Loch in der Bilanz: 29,6 Milliarden Lire, rund 52 Millionen Mark, sind zwischen 1976 und 1979 abgezweigt worden.

Angelo Rizzoli will sie zum Teil für fehlgeschlagene Börsenaktionen und die Auszahlung seines ebenfalls verhafteten Bruders Alberto verwendet haben. Der Mailänder Untersuchungsrichter aber verdächtigt den »Corriere«-Verleger und seinen Generalbevollmächtigten, vor dem letzten Akt ihres »skrupellosen Bankrotts einer perfekten Maschine« ("Il Giornale nuovo") noch Gelder für einen ruhigen Lebensabend beiseite gelegt zu haben.

»Was wäre Italien ohne diesen 'Corriere'«? appelliert der derzeitige Chefredakteur Alberto Cavallari an seine geschrumpfte Leserschaft - nach dem P-2-Skandal sank die Auflage des »Corriere« um weit über 100 000 Exemplare. Die Leser, so bittet er, sollten dem zum Verkauf stehenden Blatt Mut machen »bei seinem Ritt durch die Wüste«.

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