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»FÜR DEN PAPST ZUM MORD BEREIT«

Mehrfach hat sich Martin Luther gegen Ende seines Lebens über seine 1517 veröffentlichten Thesen und seine damalige Haltung gegenüber Papst und Kirche geäußert. Der 1541 erschienenen Schrift »Wider Hans Worst« und der 1545, ein Jahr vor Luthers Tod, veröffentlichen »Vorrede« zum ersten Band seiner lateinischen Schritten sind folgende Auszüge entnommen":
aus DER SPIEGEL 45/1967

Man muß wissen, daß ich damals, als ich an diese Sache heranging, ein Mönch und ein ganz unsinniger Papist war. Ich war so trunken, ja beinahe ertrunken in den Lehren des Papstes, daß ich ganz und gar bereit gewesen wäre -- wenn ich gekonnt hätte -, alle zu töten oder beim Mord derer mitzuhelfen und ihn zu billigen, welche auch nur mit einer Silbe den Gehorsam gegenüber dem Papst verweigerten.

So wird man in diesen meinen früheren Schriften viele und große Zugeständnisse an den Papst finden, die ich in den späteren und jetzt für höchste Gotteslästerung und Greuel halte und verdamme.

Ich war zuerst allein und sicherlich ganz ungeschickt und viel zu ungelehrt, so große Dinge zu behandeln. Denn durch Zufall, ohne meinen Willen und ohne Absicht bin ich in diesen Streit geraten. Gott ist mein Zeuge! Im Jahre 1517 wurde also der Ablaß in dieser Gegend um schändlichen Gewinnes willen verkauft (verkündigt, wollte ich sagen). Ich war damals Prediger, ein (wie man sagt) junger Doktor der Theologie, und fing an, den Leuten abzuraten und sie zu ermahnen, sie sollten den Ablaßschreiern kein Gehör schenken; sie hätten Besseres zu tun. Und ich glaubte dabei ganz gewiß, daß ich den Papst als Schutzherrn hätte, auf den ich damals mein ganzes Vertrauen setzte, weil er in seinen Dekreten das unverschämte Treiben der Quästoren (so nennt er die Ablaßprediger) ganz klar und deutlich verdammt.

Alsbald schrieb ich zwei Briefe: den einen an den Erzbischof Albrecht von Mainz, der die Hälfte der Ablaßgelder erhielt (die andere Hälfte bekam der Papst, was ich damals nicht wußte), den anderen an den Ordinarius bd (wie man ihn nennt), den Bischof zu Brandenburg, Hieronymus, und bat sie, der Unverschämtheit und Gotteslästerung der Ablaßkrämer Einhalt zu tun. Aber das arme Mönchlein wurde nicht beachtet. Da man mir kein Gehör schenkte, veröffentlichte ich den Disputationszettel

* Aus: »Martin Luthers 95 Thesen. Mit den dazugehörigen Dokumenten aus der Geschichte der Reformation«, herausgegeben von Kurt Aland. Furche-Verlag, Hamburg; 124 Seiten; 4,80 Mark.

(die 95 Thesen) und zugleich die deutsche Predigt »Von Ablaß und Gnade«; kurz darauf auch die »Erläuterungen« (Resolutiones), in welchen ich dem Papst zu Ehren darauf hinsteuerte, den Ablaß zwar nicht zu verdammen, doch die guten Werke der Liebe ihm vorzuziehen.

Das hieß den Himmel herabstürzen und die Welt in Brand stecken. Ich werde beim Papst verklagt, nach Rom zitiert, und das ganze Papsttum erhebt sich gegen mich, einen einzelnen Mann.

Derselbe Tetzel führte nun den Ablaß umher und verkaufte Gnade ums Geld, so teuer oder wohlfeil er's mit aller Kraft vermochte. Zu der Zeit war ich Prediger allhier (in Wittenberg) im Kloster und ein junger Doktor, neu aus der Esse gekommen, hitzig und begeistert in der Heiligen Schrift. Als nun viel Volk von Wittenberg dem Ablaß gen Jüterbog und Zerbst usw. nachlief, und ich (so wahr mich mein Herr Christus erlöst hat) nicht wußte, was der Ablaß wäre -- wie denn kein Mensch wußte -, fing ich vorsichtig zu predigen an, man könnte wohl Besseres tun, das zuverlässiger wäre als Ablaß lösen ...

Da schrieb ich einen Brief mit den Thesen an den Bischof zu Magdeburg, vermahnte und bat, er wollte dem Tetzel Einhalt tun und solch ungehörige Sache zu predigen verbieten, es möchte Unheil daraus entstehen. Solches gebühre ihm als einem Erzbischof. Diesen Brief kann ich noch heute vorlegen. Aber mir ward keine Antwort. Desgleichen schrieb ich auch dem Bischof zu Brandenburg als dem Ordinarius, an dem ich einen sehr gnädigen Bischof hatte. Darauf antwortete er mir, ich griffe der Kirche Gewalt an und würde mir selbst Kummer machen; er riete mir, ich ließe davon. Ich kann wohl denken, daß sie alle beide gedacht haben, der Papst würde mir, solchem elenden Bettler, viel zu mächtig sein

(Die Thesen) liefen schier in vierzehn Tagen durch ganz Deutschland, denn alle Welt klagte über den Ablaß, besonders über Tetzels Artikel. Und weil alle Bischöfe und Doktoren stillschwiegen und niemand der Katze die Schelle anbinden wollte (denn die Ketzermeister vom Predigerorden hatten alle Welt mit dem Feuer in die Furcht gejagt ...) da ward der Luther ein Doktor gerühmt, daß doch einmal einer gekommen wäre, der dareingriffe.

Der Ruhm war mir nicht lieb, denn, wie gesagt, ich wußte selbst nicht, was der Ablaß wäre, und das Lied wollte meiner Stimme zu hoch werden.

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