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DRITTE WELT Füße im Wasser

In den Oasen der arabischen Welt sterben die Dattelpalmen. Die Dattel, das Brot der Beduinen, ist nicht mehr gefragt.
aus DER SPIEGEL 40/1983

In der Nacht rollten die Militärkolonnen aus Bagdad über die syrische Grenze. »Was habt ihr geladen?« wollten die syrischen Grenzposten wissen. »Geheim«, antworteten die irakischen Fahrer. Obwohl Irak und Syrien damals, im Oktoberkrieg 1973, Waffenbrüder gegen den Erzfeind Israel waren, ließen die Männer aus Bagdad ihre Laster nicht inspizieren.

Die Iraker gingen in Stellung, richteten ihre Waffen auf die von Israel besetzten Golanhöhen und gruben sich ein. Die Ladeflächen ihrer Transportfahrzeuge

blieben noch immer fest verzurrt. Erst in einer Gefechtspause lüfteten die arabischen Brüder das irakische Geheimnis: Die Mitbringsel waren keine Wunderwaffen, sondern Datteln.

Da die irakischen Kämpfer nur wenig Zutrauen zu Nachschub und Versorgung besaßen, hatten sie sich vorsichtshalber mit Datteln ausgerüstet.

Datteln - im Nahen Osten und Nordafrika sind sie Lebensspender und Luxusgeschenk, Viehfutter und Armeleutespeise. »Mit einer Handvoll Datteln täglich haben wir überlebt«, erzählt ein Libanese über die Hungerzeiten seines Landes nach dem Zweiten Weltkrieg.

Abd el-Asis Ibn-Saud, der Stammvater der Saudi-Dynastie, begründete seinen Reichtum um die Jahrhundertwende mit den anfangs spärlich fließenden Einnahmen aus den Dattelhainen von Riad, der heutigen Hauptstadt.

Im Fastenmonat Ramadan sind irakische Datteln eine Delikatesse - nach Sonnenuntergang zu genießen. Wenn Libyens Oberst Muammar el-Gaddafi sich zum Fasten und Meditieren in die Wüste zurückzieht, nimmt er den Koran und Datteln mit.

Kaum ein arabischer Geschäftsmann, der nicht hübsch verzierte Kästchen mit kandierten oder mit einer grünen Mandelpaste überzogenen klebrigen Datteln mit den besten Wünschen an männliche Kunden verschenkt; denn Datteln, so weiß jeder Araber, stärken Kraft und Männlichkeit.

Ob Dattelkuchen, -honig, -sirup, -essig oder der den Moslems verbotene Dattelschnaps, die süße Frucht ist in den arabischen Ländern so lebenswichtig wie hierzulande das Brot. »Wer eine Dattelpalme pflanzt«, so wird von Mohammed überliefert, »spendet Schatten in der Hölle der Wüste und hilft einem hungernden Bruder, zu überleben.«

Dennoch könnte es mit der Herrlichkeit der vom Propheten gepriesenen Vielseitigkeitsfrucht bald vorbei sein, denn das Überleben der »Fürsten des Pflanzenreiches«, wie der schwedische Naturforscher Carl von Linne die Dattelpalme im 18. Jahrhundert bezeichnete, scheint gefährdet.

Ein Palmensterben in arabischen Wüsten beunruhigt die Wissenschaftler ähnlich wie das Waldsterben in Mitteleuropa. Mögen auch die Ursachen verschieden sein, die ökologischen Folgen sind hier wie dort verheerend.

Denn kein Baum ist dem Wüstenklima und salzigen Boden so angepaßt wie die »Phoenix dactylifera«, eine mehr als 5000 Jahre alte Kulturpflanze. Eine gesunde Palme hat die »Füße im Wasser, das Haupt im Feuer des Himmels«, so ein Beduinensprichwort.

In ihrem Schatten gedeihen empfindliche Gewächse wie Tomaten, Zwiebeln, Auberginen, Getreide und Luzerne. Wenn ein Palmenhain verrottet, bricht jedesmal ein uraltes, ausgeklügeltes Landwirtschaftssystem zusammen.

Jede sterbende Oase verschlimmert die allgemeine Versorgungslage in den arabischen Staaten, von denen viele ihre Bevölkerung nur durch teure Lebensmittelimporte ernähren können. Aufforstung wie in den Ländern der Sahelzone und Neuanpflanzungen etwa in Ägypten geraten unter den extremen Klimabedingungen zur Sisyphusarbeit.

Die Gründe für das Palmensterben sind vielseitig: *___Der Petro-Dollar lockte die Oasenbauern aus den ____abgelegenen Palmenhainen in die glitzernde moderne Welt ____der Ölstaaten. Allein in Ägypten fehlen drei Millionen ____Landarbeiter, die lieber in den Golfstaaten Teller ____waschen oder Häuser hochziehen als Datteln zu pflücken. ____Die Bäume verkommen. *___Wo Autos und Flugzeuge die Kamele abgelöst haben, sind ____Tankstellen und Benzinlager eine bessere Erwerbsquelle ____für die Oasenbewohner als Landwirtschaft und ____Karawanserei. Denn Datteln, Hauptnahrung für die ____Nomaden und ihre Lasttiere, sind nicht mehr gefragt. *___Der Geschmack der Bevölkerung hat sich geändert. ____Lagerten früher 30 bis 40 Kilo Datteln in jeder ____ägyptischen Vorratskammer, wurden die Kinder mit heißer ____Milch und eingeweichten Datteln großgefüttert, so ____ziehen die Araber heute amerikanische Softdrinks, ____Schokolade, Pralinen, Kekse und andere meist ____importierte Süßigkeiten der einfachen Kost ihrer Väter ____vor.

Noch erzielen die 17 Produktionsländer von Algerien bis zum Jemen rund 350 Millionen Mark für den Export von 250 000 Tonnen Datteln, doch auch in den Erzeugerländern ist der Dattelbedarf stark zurückgegangen. Und weil die Datteln aus der Mode kommen, verrotten die Palmenhaine.

»Wenn die Oasenbauern aber ihre Palmen vernachlässigen«, erklärt Tropenlandwirt Gustav Espig, »dann werden die Bäume krank.« Wenn niemand die abgestorbenen Palmwedel herausschneidet und verbrennt, siedeln sich darunter Schädlinge wie der Nashornkäfer an, breiten sich Pilze aus.

Oft nützen auch Pestizide nichts, denn viele Schädlinge sind widerstandsfähig. Und wenn erst einmal der gefürchtete Pilz Botriodiplodia theobromae die Palmen befällt, ist nichts mehr zu retten, dann bricht der Palme das Herz - »coeur qui penche«, heißt deshalb die Krankheit, Herzfäule.

Um das Palmensterben zu bekämpfen, gründeten 17 Dattel-Länder ein Forschungszentrum in Bagdad. Aber gerade der Irak, wo die schönsten und saftigsten Datteln wachsen, ist besonders geschädigt. Ein Viertel seiner Palmenhaine am Schatt el-Arab wurde im irakischiranischen Krieg von Stalinorgeln zerschossen oder verbrannt. Die Dattelpflücker mußten als Soldaten an die Front. Ganze Dorfgemeinschaften wurden im Kriegsgebiet aus ihren Palmenhainen vertrieben und umgesiedelt, die Hälfte der Ernte, so schätzen die Experten im Palmeninstitut, kann in diesem Jahr nicht eingebracht werden.

Das alte arabische Sprichwort »Er trägt die Datteln nach Basra« (etwa: Eulen nach Athen tragen) gilt heute nicht mehr, denn der berühmte Dattelhafen von Basra wurde von Chomeinis Kriegern in Schutt und Asche gelegt.

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