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VATIKAN / OSTPOLITIK Funke aufgeblitzt

aus DER SPIEGEL 14/1971

Im Vorzimmer des Marschalls Tito in seiner Residenz auf Brioni trafen sich unvermutet zwei Männer aus verschiedenen Welten: Tseng Tao, Maos Botschafter in Belgrad, und Monsignore Agostino Casaroli, 56, Sekretär des Rates für öffentliche Angelegenheiten der katholischen Kirche, »Außenminister« und Ost-Experte des Papstes. Beim Warten auf den Marschall lernten sich der Diplomat und der Geistliche am 26. August 1970 kennen. Es war der erste Kontakt zwischen päpstlicher und Pekinger Diplomatie seit über zwanzig Jahren.

Casaroli war nach Unterzeichnung eines Abkommens über die Wiederaufnahme der seit 1952 unterbrochenen diplomatischen Beziehungen zwischen Jugoslawien und dem Kirchenstaat zu Tito gefahren. Tags darauf lobte die Beigrader »Politika« den »positiven Wandel in der katholischen Kirche während der letzten Jahre«.

Von Ende Februar bis Anfang März dieses Jahres reiste Casaroli, im Vatikan als »Heiliger 007« bekannt, wieder nach Osten -- nach Moskau. Es war der erste Besuch eines amtlichen Abgesandten des Papstes in der Sowjet-Union. Als offizieller Zweck dieser Moskau-Reise galt die Unterzeichnung des Atomsperrvertrages; wahres Ziel des Vatikan-Ostboten jedoch war

>die Anknüpfung offizieller Beziehungen zwischen dem Zwergstaat und der UdSSR einerseits und der römischen Kurie und dem Moskauer Patriarchat andererseits;

* Bei der Unterzeichnung des Atomsperrvertrages am 25. Februar 1971.

die Wiederherstellung der katholischen Hierarchie in den von der Sowjet-Union annektierten Republiken Litauen und Lettland und ehemaligen polnischen Ostgebieten. Casaroli wollte auch über größere Kultfreiheiten für die angeblich 3,5 Millionen Katholiken in der UdSSR und über die Errichtung eines katholischen Bistums in Moskau verhandeln.

Zum Besuch des päpstlichen Abgesandten verzeichnete die Moskauer Nachrichtenagentur »Nowosti« »eine beträchtliche Veränderung in der politischen und sozialen Doktrin der katholischen Kirche«. Casaroli erklärte in Moskau: »Ein Funke ist aufgeblitzt.«

Ob aber der Funke in der ostpolitischen Offensive des Vatikan auch zünden wird, Ist bisher nicht sicher, In Moskau konnte Casaroli zwar mit dem Vize-Außenminister Kosyrew konferieren, aber Außenminister Gromyko ging einem Treffen mit dem hohen Vatikan-Diplomaten aus dem Wege.

Zwar durfte Casaroli in Moskaus einziger katholischer Kirche Samt-Louis-des-Français eine Messe zelebrieren, aber sein Gesprächspartner Kosyrew bezeichnete sich als nicht zuständig für die »religiösen Argumente« seines Gastes. Und der Vorsitzende des Rates für Angelegenheiten der Religionen, Kurojedow, wich dem päpstlichen Emissär aus: Er war nicht bereit, im Gespräch auf die Lage der Katholiken in der UdSSR einzugehen. Erst am Schluß lieh Kurojedow Casaroli »aufmerksames Gehör« -- so ein Vatikansprecher über die Unterredung.

Denn dem Kreml ist nicht daran gelegen, seine Gläubigen einer Hierarchie zu überlassen, die sich seinem Einfluß entziehen könnte.

Zwar schenkte Metropolit Pimen -- seit dem Tode des Patriarchen Alexij Interimschef der Russischen Orthodoxen Kirche -- dem Erzbischof Alexijs Brustkreuz für den Papst, aber auch der sowjetischen Staatskirche liegt nichts an einer stärkeren Einflußnahme der römischen Kurie in Rußland, denn sie hofft auf Zulauf von konvertierten Katholiken.

Nur bei zwei Themen beschränkten sich Casarolis Gesprächspartner nicht aufs Zuhören: Moskau hatte die Unterzeichnung des Atomsperrvertrages durch den Kirchenstaat gewünscht, um sich bei allen Gegnern des Vertrages auf das Beispiel des Papstes berufen zu können. Moskau wünscht sich auch päpstlichen Beistand für die Einberufung einer europäischen Sicherheitskonferenz. Casaroli hatte angedeutet, sie »könnte sehr nützlich sein, wenn sie gut vorbereitet wird«.

Schon früher zeugten Sowjet-Besuche im Vatikan davon, daß ideologische Differenzen außenpolitisches Einvernehmen nicht ausschließen:

* Johannes XXIII. empfing 1963 den Chruschtschow-Schwiegersohn Adschubej nebst Gattin;

* Paul VI. gewährte dem Sowjet-Außenminister Gromyko Audienzen. Der sowjetische Staatspräsident Podgorny durfte -- ein einmaliges Privileg -- 1967 am Beratungstisch des Papstes sogar rauchen.

Für die Sekundierung sowjetischer Außenpolitik erhofft sich der Vatikan das Plazet für eine liberalere Kirchenpolitik und eine gewisse Restauration kirchlicher Strukturen in Osteuropa,

Dort blieb ein Erfolg nicht aus:

* 1964 unterzeichnete Casaroli ein Agreement mit der ungarischen Regierung. Seither hat der Papst in Ungarn wieder ein Mitspracherecht bei der Einsetzung von Bischöfen.

* 1965 schloß er ein Abkommen mit der Prager Regierung, das die Einsetzung des Apostolischen Administrators Bischof Tomasek auf dem seit der Absetzung des Kardinals Beran 1951 vakanten erzbischöflichen Stuhl von Prag ermöglichte. Nach der Besetzung der CSSR 1968 sind allerdings Priester ins Amt gekommen, auf deren Bestallung der Vatikan keinen Einfluß mehr hatte. Seit vorigem Mittwoch verhandeln Vatikan und Prag wieder miteinander: über die Neubesetzung vakanter Bischofsstühle und eine bessere Priesterausbildung.

Die Beispiele Ungarns und Jugoslawiens griff Anfang Februar 1971 Ignacy Krasicki, römischer Korrespondent der polnischen Zeitung »Zycie Warszawy«, auf. Sie zeigten, so der Pole, daß eine Loyalität der Episkopate »zur sozialistischen Ordnung« die Kontakte zur Apostolischen Hauptstadt normalisieren könnten.

In Polen jedoch ist das Verhältnis zwischen der dort besonders starken Kirche und den Kommunisten problematischer als sonst irgendwo im Ostblock. Jerzy Turowicz, Chefredakteur des katholischen Wochenblatte. »Tygodnik Powszechny«, sah es anders als Krasicki: »Das Beispiel Jugoslawiens

eignet sich freilich nicht dazu, mechanisch nachgeahmt zu werden, weil sich die Situation in unserem Lande von der in Jugoslawien sehr stark unterscheidet ...«

Anders als in Jugoslawien -- anders auch als in der Gomulka-Ara -- braucht die neue polnische Führung nicht nur das Wohlwollen, sondern sogar die Unterstützung der Kirche, die aus den polnischen Dezember-Unruhen gestärkt hervorgegangen ist.

Als Köder kündigte die Regierung Jaroszewicz dem Klerus am 25. Januar 1971 die Übertragung des ehemals deutschen Kirchenbesitzes in den »West- und Nordgebieten« an.

Die polnischen Bischöfe aber forderten zwei Tage nach der Regierungsankündigung in einem Hirtenbrief »wahre Demokratie« und tadelten die »Arroganz« der bisher Regierenden. Sie beteten, »daß es uns gelingt, ihnen zu verzeihen«.

Das kühlte die Beziehungen wieder ab. Erst am 3. März, einen Tag nach dem Ende von Casarolis Moskau-Mission, empfing der zögernde Premier Jaroszewicz den Primas der Kirche Polens, Stefan Kardinal Wyszynski. Es war das erste Treffen des Kirchenfürsten mit einem Vertreter der polnischen Führung seit elf Jahren und dauerte drei Stunden. Zwei Tage darauf kündigte der Generalrat des Episkopats »Perspektiven einer schrittweisen Normalisierung zwischen Staat und Kirche« an.

Solange die innerpolnischen Beziehungen zwischen Staat und Kirche nicht geklärt sind, will sich der Vatikan offenbar zurückhalten. Casaroli, der 1967 in Polen war, sparte jetzt einen Besuch an der Weichsel aus.

Dafür schickte Wyszynski Mitte März seinen Stellvertreter, Kardinalerzbischof Wojtyla von Krakau, und den Apostolischen Administrator der Erzdiözese Breslau, Kominek, nach Rom, um den Papst zur Einrichtung polnischer Diözesen in den Oder-Neiße-Gebieten zu bewegen und um eine Einladung für Paul VI. zu einer Polenreise zu erneuern. Wichtige Voraussetzung für die Errichtung polnischer Diözesen: die Überschreibung des Kircheneigentums.

Die beiden Polen halten sich noch in Rom auf. Eine Papst-Reise nach Polen allerdings kommt vorerst nach Ansicht des Vatikans nicht in Frage. »Der Papst spürt«, so ein Vatikan-Diplomat, »daß der Augenblick noch nicht günstig ist.«

Vor dem Papst wird vermutlich sein Ost-Botschafter Casaroli auch nach Polen kommen -- obwohl der Widerstand gegen einen Furt der ungleichen Kontrahenten auf beiden Seiten wächst. Vatikanische Konservative sehen im Ostlandfahrer Casaroli einen Verräter der Kirche. Orthodoxe Kommunisten wiederum wittern einen Verrat an ihrer Lehre.

Zu Zeiten Lenins und Stalins, tadelte Albaniens Nachrichtenagentur Ata Casarolis Besuch in Moskau, habe der sowjetische Staat den Vatikan, »dieses Zentrum des Obskurantismus und der Reaktion«, nie anerkannt, sondern seine Machenschaften stets entlarvt. Wenn die Sowjets heute Kontakte aufnähmen, sei das ein Beweis für die Wandlung der UdSSR in einen »obskurantistischen Staat«.

Am Montag dieser Woche durfte Casaroli im Vatikan einen alten Bekannten begrüßen. »Wir sind darüber informiert«, meldete das Vatikan-Bulletin unter Nr. 233/71, »daß Seine Exzellenz, Herr Josip Broz Tito ... dem Wunsch Ausdruck gegeben hat, dem Heiligen Vater einen offiziellen Besuch abzustatten. Seine Heiligkeit wird denselben Herrn am nächsten Montag, dem 29. März, empfangen.«

Ostexperte Casaroli, der die westlichen Weltsprachen fließend spricht, beherrscht die Grammatik von fünf Ostsprachen. Die Meldung, nun lerne er Chinesisch, schränkte Casaroli gegenüber dem SPIEGEL ein: Er studiere es nicht, er habe nur Interesse am Chinesischen.

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