FUSIONSKONTROLLE Furchtbar schwierig
Karl Schiller mußte mal zum Arzt -- und eines der wichtigsten Gesetzesvorhaben der sozialliberalen Koalition wurde wieder einmal verschoben.
Am Mittwoch vorletzter Woche hatten die Regierungspartner ein Koalitionsgespräch über die geplante Fusionskontrolle vereinbart. Der Wirtschaftsminister und sein Staatssekretär Philip Rosenthal wollten gemeinsam mit Sprechern der beiden Fraktionen bei einem Mittagessen in der Parlamentarischen Gesellschaft in Bonns Dahlmannstraße über den seit drei Monaten vorliegenden Referentenentwurf für ein neues Gesetz gegen Wettbewerbs-Beschränkungen beraten.
Doch die Abgeordneten blieben unter sich. Denn außer Schiller, der just um die Mittagszeit medizinischen Beistands bedurfte, fehlte auch sein Staatssekretär. Er war durch. ein Mißverständnis wieder ausgeladen worden.
Die SPD-Abgeordneten Helmut Lenders und Hans-Jürgen Junghans berieten daraufhin mit den wirtschaftspolitischen Sprechern der FDP-Fraktion Werner Mertes und Gerhard Kienbaum nur noch über Verfahrensfragen. Das Ergebnis formulierte SPD-Vertreter und Gewerkschafts-Sekretär Lenders so: »Die FDP arbeitet jetzt.«
Eigentlich sollte das Gesetz, über das die Liberalen nun beginnen nachzudenken, schon im Sommer dieses Jahres verabschiedet werden. Noch im Jahreswirtschaftsberich·t vom vergangenen Januar schrieben die Koalitionspartner: »Die Bundesregierung wird dem Parlament noch in der ersten Hälfte des Jahres 1910 einen Gesetzentwurf vorlegen, der den Schutz vor Mißbrauch von Marktmacht verstärken ... soll.«
Der Entwurf, den Schillers Wettbewerbsexperte, Ministerialrat Wolfgang Kartte, bereits im November 1969 in einer ersten Rohfassung formuliert hatte, geriet freilich in die Mühlen der Lobby und ihrer parlamentarischen Freunde. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) etwa hatte behauptet, dieses Gesetz führe zur »Revolution der marktwirtschaftlichen Ordnung« (BDI-Wettbewerbsexperte Arno Sölter).
Denn Kartte hatte vorgesehen, daß der Wirtschaftsminister alle Fusionen wieder auflösen kann, bei denen eines der beteiligten Unternehmen
* 10 000 Beschäftigte hat oder
* im Jahr mindestens eine Milliarde Mark umsetzt und
* die vereinigten Unternehmen zusammen einen Marktanteil von über 40 Prozent erreichen.
Der Entwurf, der dem BDI als Weg zur »Wettbewerbsbewirtschaftung« erschien, wurde vom Gewerkschaftsflügel der SPD-Bundestagsfraktion als »zu schwach und inkonsequent« (Lenders) abqualifiziert. Und der DGB schrieb: »Die hier vorgeschlagene Form ist keine Präventivkontrolle« wie sie von den Gewerkschaften gefordert und von der Bundesregierung bei ihrem Amtsantritt in Aussicht gestellt wurde.«
Gesetzestexter Kartte änderte daraufhin seinen Entwurf. Von den Vorschlägen der Gewerkschaften und der SPD-Fraktion übernahm er die Forderung, daß nicht der Wirtschaftsminister, sondern das Kartellamt die Fusionen kontrollieren soll. Und überdies sieht er nun eine echte präventive Kontrolle der Zusammenschlüsse vor. Danach sollen Großunternehmen künftig vor einem beabsichtigten Zusammenschluß beim Kartellamt um Erlaubnis nachsuchen müssen.
Denn die Gewerkschaften hatten geargwöhnt, daß eine nachträgliche Entflechtung, wie sie im ersten Entwurf beabsichtigt war, völlig nutzlos sei. »Wenn erst einmal Fakten gesetzt sind«, so der Wettbewerbsexperte des DGB, Peter Peschel, »ist im Nachgang meistens gar nichts mehr zu machen.«
Um die Industrie zu besänftigen engten Schillers Beamte den Kreis, der unter die künftige Fusionskontrolle fallen sollte, beträchtlich ein. Nach dem derzeit vorliegenden Papier kann das Kartellamt nur noch solche Fusionen von vornherein verbieten, an denen zwei Unternehmen mit mindestens jeweils einer Milliarde Mark Umsatz beteiligt sind.
Die Gewerkschaften fanden daraufhin, ihre Forderungen seien nur ungenügend erfüllt worden. Vor drei Wochen überreichte DGB-Vertreter Peschel dem Gesetzes-Schneider im Bundeswirtschaftsministerium einen eigenen Entwurf zu den Paragraphen 22 bis 24 des Kante-Papiers. Darin verlangte er, daß alle Fusionen, die zu Großunternehmen mit 500 Millionen Mark Umsatz führen, der präventiven Fusionskontrolle unterliegen »Wir werden der bisherigen Regelung, daß nur die Fusion von zwei Umsatz-Milliarden kontrolliert werden soll«, so Peschel, »auf keinen Fall zustimmen.«
Denn die Gewerkschaftsfunktionäre hatten ausgerechnet, daß etwa die Gummi-Industrie, das gesamte Verlagswesen, die Zementindustrie und auch die Glasindustrie bei der bisher vorgesehenen Regelung sich ungehindert weiter konzentrieren könnten. Wenn etwa Axel Springer mit Bertelsmann fusioniert hätte, wäre dieser Zusammenschluß nicht unter die präventive Fusionskontrolle gefallen.
Auch die Unternehmer waren immer noch nicht zufrieden. Selbst der erheblich verwässerte Entwurf, so behauptete der BDI-Ausschuß für Wettbewerbsordnung, würde »die Anpassung der Strukturen der deutschen Unternehmen an die Erfordernisse des internationalen Wettbewerbs hemmen« und überdies »notwendige Rationalisierungsmaßnahmen und technologische Entwicklungen verhindern«.
Die Hearings, die das Bundeswirtschaftsministerium im vergangenen Jahr mit internationalen Wettbewerbsexperlen und Unternehmern veranstaltet hatte, ergaben jedoch, daß technische Gründe für die Unternehmenszusammenschlüsse nur eine ganz geringe Rolle spielen. Meist versprechen sich die Firmen, die sich zu größeren Unternehmen zusammenschließen, von der Fusion Finanzierungsvorteile, eine bessere Management-Struktur und nicht zuletzt mehr Macht am Markt.
Außerdem stellten die Wettbewerbsforscher fest, daß die meisten Unternehmen ihre Betriebe, die angeblich aus technischen Gründen vergrößert werden müssen, keineswegs weiter ausbauen. »Man kann es nicht so einseitig sehen«, folgert Kartte, »wie es uns die Wirtschaft weismachen will.«
Die FDP, von der es abhängt, welche Form das Gesetz am Ende haben wird, hatte zwar auf Ihrem Nürnberger Parteitag »eine Verschärfung der Mißbrauchsaufsicht über marktbeherrschende Unternehmen und eine vorbeugende Fusionskontrolle« gefordert. Aber Freidemokrat Gerhard Kienbaum, wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion, ließ bereits verkünden, daß »eine rein nationale Lösung« des Problems unangemessen sei. Genau das gleiche behaupten die Unternehmerverbände. Der Deutsche Industrie- und Handelstag etwa forderte, die deutsche Regierung solle auf ein eigenes Gesetz verzichten und statt dessen auf eine europäische Fusionskontrolle warten, die wohl nie kommt.
Dennoch hoffen die Sozialdemokraten, mit ihrem Fraktionspartner noch handelseinig zu werden. »Der gute Wille«, so entnahm SPD-MdB Lenders dem Koalitionsgespräch der vorletzten Woche, »ist bei allen Beteiligten vorhanden.« Im Februar nächsten Jahres wollen sich die Wettbewerbsexperten beider Parteien wieder treffen. Im März soll dann der Referentenentwurf kabinettsreif sein.
»Es kommt ins Laufen«, hofft Kartellreferent Kartte vom Bundeswirtschaftsministerium und warnt gleichzeitig vor einer weiteren Verzögerung seines Gesetzes. Kartte: »Kartellnovellen in der Rezession zu machen, ist furchtbar schwierig.«