DIÄTEN Gängige Mauschelei
Der Brief, den die Bonner SPD-Abgeordneten an einem Apriltag dieses Jahres in ihrer Post fanden, las sich so harmlos und unverbindlich, daß ihn viele Volksvertreter gleich in den Papierkorb warfen. Denn Partei-Geschäftsführer Egon Bahr und Schatzmeister Wilhelm Dröscher hatten den »lieben Genossinnen und Genossen« nur hinlänglich Bekanntes mitzuteilen.
Mit der fünfzigprozentigen Aufbesserung der Aufwandsentschädigung für MdB-Assistenten auf monatlich 3865 Mark (inzwischen 4085 Mark) könne sich jeder Volksvertreter künftig neben seiner Bonner Hilfe auch noch »eine Halbtagskraft für die Wahlkreisarbeit« leisten. »Uns liegt sehr daran«, so ließen die beiden SPD-Manager wissen, »diese halbe Arbeitskraft in einen Kontakt zur jeweiligen Parteiorganisation zu bringen.«
Was vielen Abgeordenten zunächst als Banalität erschien, erweist sich mittlerweile als eine trickreiche Operation. Denn die von Bahr und Drescher vorsichtig als Kontaktpflege zwischen Bonn und den Wahlkreisen umschriebene Tätigkeit zusätzlicher Helfer läuft in Wahrheit auf handfeste Parteiarbeit hinaus. Jede Arbeitskraft in einer örtlichen SPD-Geschäftsstelle, die der Abgeordnete aus seiner Pauschale entlohnt, entlastet die Parteikasse und macht Mittel für den Wahlkampf-Fonds frei.
Rund 14 Millionen Mark jährlich sahnen alle Bonner Parteien bereits von den Bezügen ihrer Parlamentarier ab. So überweist beispielswiese ein schwäbischer SPD-Abgeordneter aus seinen Diäten* 500 Mark an die Fraktion, 360 Mark an den Landesverband, 100 Mark an den Kreisverband, 200 Mark an die Wahlkampfkasse und 120 Mark an seinen Ortsverein, zusammen 1280 Mark.
Diese Art der Finanzierung ist, obschon ungleich weniger kostspielig und
*Steuerpflichtige 7500 Mark im Monat, dazu eine steuerfreie Aufwandsentschädigung in Höhe von 4500 Mark.
straff organisiert, auch bei den anderen Bundestagsparteien üblich. Die FDP-Abgeordneten etwa führen monatlich 75 Mark an die Fraktionskasse ab, die CDU-Parlamentarier etwas weniger. Hinzu kommen bei den Liberalen und den Christdemokraten monatliche Partei-Beiträge zwischen 300 und 500 Mark. Und selbstverständlich müssen die Abgeordneten bei Wahlkämpfen noch einmal kräftig in ihre Tasche fassen.
Die christdemokratische Opposition hat unter ihrem ehemaligen Vorsitzenden, dem jetzigen Bundestagspräsidenten Karl Carstens, überdies ein System entwickelt, Mittel, die von ihren Volksvertretern nicht für die Bezahlung von Assistenten ausgeschöpft werden, der Fraktionsarbeit zugute kommen zu lassen: Die Gelder werden auf Umwegen für die Entlohnung zusätzlicher Hilfskräfte der Fraktion verwandt.
Ganz allgemein gilt: Die Parteien nehmen, was sie kriegen können. Und weil, wer knausert, um sein Mandat bangen muß, ist die Zahlungsmoral der Volksvertreter hoch.
Geflissentlich wird dabei von allen übersehen, daß die Parteienfinanzierung aus den öffentlichen Bezügen der Abgeordneten spätestens seit dem Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. November 1975 eindeutig unzulässig ist. »Anderen Zwecken als dem der Unterhaltssicherung. beispielsweise einer Mitfinanzierung der Fraktion oder politischen Partei oder der Beteiligung an Wahlkosten«, entschieden die Karlsruher Richter, »hat die Entschädigung nicht zu dienen.«
Der SPD-Abgeordnete Adolf Müller-Emmert, von Beruf Staatsanwalt, lehnt die gängige Finanz-Mauschelei denn auch ab. Sein Vorschlag: »Wenn die Parteien im Rahmen ihrer berechtigten politischen Arbeit Mittel benötigen, sollen sie auch den Mut haben, das öffentlich zuzugeben. Diese Mittel sind dann in ehrlicher Weise im Haushalt auszuweisen.«
Doch daran denkt niemand: Im stillen, und sei es jenseits der Legalität, kassiert es sich halt leichter als im Rahmen eines parlamentarischen und damit öffentlichen Verfahrens. Bereitwillig setzen daher viele SPD-Unterorganisationen derzeit die listigen Anregungen der Parteizentrale in die Tat um.
Der Vorstand des Bezirks Niederrhein dekretierte kürzlich, die Abgeordneten hätten sich künftig samt ihren Hilfskräften statt in eigenen Wahlkreisbüros in den Parteigeschäftsstellen anzusiedeln. Begründung: »Die Einrichtung zusätzlicher Büros führt nur zur Verwirrung bei den Bürgern und unnötigen Kosten und erscheint daher unzweckmäßig.«
Am 13. August legte die Geschäftsführung der baden-württembergischen SPD auf einer Präsidiumssitzung in Dornstetten, Heimat des Landesvorsitzenden Erhard Eppler, ein Papier vor, das deutlich macht, mit welch rigorosen Methoden die Bonner Obergenossen ihre neuen Finanzierungspläne durchzudrücken versuchen.
Sollten die 26 baden-württembergischen SPD-Abgeordneten ihre Halbtagskräfte nicht den Parteigeschäftsstellen zuordnen, werden, so die Stuttgarter Vorlage, »laut Wilhelm Dröscher sämtliche Zuschüsse des Parteivorstandes an die Bezirke zum 31. Dezember 1977 gestrichen«. Wenn jedoch ab 1. Oktober neue Halbtagskräfte in den Dienst der besonders schwach organisierten Südwest-SPD gestellt würden, könne Epplers Vorstand für 1977 mit zusätzlichen 100 000 Mark, für 1978 bis 1980 sogar mit 500 000 Mark jährlichen Extras aus Bonn rechnen.
Dieser von dem sonst pingeligen Eppler mitgetragene Finanzierungsplan stößt inzwischen selbst bei stets zahlungswilligen Abgeordneten wie Peter Conradi auf Protest. Auf einer Sitzung der baden-württembergischen Landesgruppe will er in dieser Woche den Widerstand organisieren.
Conradi: »Ich halte es für legitim, daß die Abgeordneten Geld an die Partei zahlen, ich halte es nicht für legitim, wenn die Partei auch noch über die Mitarbeiter der Mandatsträger verfügen will.«