Zur Ausgabe
Artikel 12 / 69

Galgen oder Guillotine

aus DER SPIEGEL 41/1964

Wenn es noch nach Konrad Adenauer ginge, müßte in Deutschland wieder gehenkt oder geköpft werden. Wie immer hat er die Mehrheit der Bundesbürger auf seiner Seite. Drei von vier Deutschen sind für die Todesstrafe.

In den dunklen Morgenstunden des letzten Donnerstag wurde in Bonn der Taxi-Fahrer Karl-Heinz Koch, 28, Vater von drei Kindern, mit einem Stilett niedergestochen. Es war der 182. Taxi-Mord seit Kriegsende.

Noch am selben Tag kündigte der CDUBundestagsabgeordnete und Funktionär Friedrich Kühn, 57, aus Hildesheim an, daß er seiner christdemokratischen Fraktion in dieser Woche einen Antrag zur Wiedereinführung der Todesstrafe für gewisse Gewaltverbrechen vorlegen will.

Fraktionskollege Konrad Adenauer, in dessen Wahlkreis die Bluttat begangen worden war, unterstützte im fernen Urlaubsort Cadenabbia mit gebrochener Rippe, den kühnen Rächer: »Ich bin bei bestimmten Verbrechen für Wiedereinführung der Todesstrafe, weil die Entwicklung die Wiedereinführung der Todesstrafe notwendig macht.«

Derselbe Konrad Adenauer hatte am 6. Mai 1949 als Präsident des Parlamentarischen Rates zur Abstimmung über Artikel 102 des damals zu schaffenden Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland aufgerufen: »Ich bitte diejenigen, die dem Artikel zustimmen, die Hand zu erheben.« Das amtliche Protokoll verzeichnet nicht, wie viele Ratsmitglieder der Aufforderung folgten (angeblich 53 von 65); es hat nur des Präsidenten Fazit festgehalten: »Der Artikel ist angenommen.« Er gilt noch heute und lautet:. »Die Todesstrafe ist abgeschafft.«

Seitdem ist in der Bundesrepublik die Quote der Gewaltverbrechen nicht stärker angestiegen als in Ländern, wo Köpfe für den Sieg des Rechts rollen. Der Fall Maria Rohrbach (SPIEGEL 26/1961) bewies, daß die Todes-strafe mindestens zu einem Justizmord geführt hätte.

Dennoch erhob sich in der Republik bei besonders abscheulichen Bluttaten vor allem bei Kindesmorden - immer wieder, immer lauter der Ruf nach der Todesstrafe für Kapitalverbrechen.

70 bis 80 Prozent der Bundesbürger würden sie -laut Meinungsumfragen - begrüßen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte der juristische Fachverlag Dr. N. Stoytscheff (Darmstadt) eine Sonderbefragung von 7000 Prominenten. Die entschiedensten Gegner der Todesstrafe unter ihnen, waren Bundes- und Länderminister: Von 20 waren 17 dagegen, drei dafür. Im Lager der Anhänger der Todesstrafe führten Generaldirektoren, Direktoren und Industrielle: 262 waren dafür, 86 dagegen. Bemerkenswert die Einstellung der Richter: 364 dafür, 293 dagegen.

Zur stärksten organisierten Lobby für die Todesstrafe aber entwickelt sich das Taxi-Gewerbe. Die immer zahlreicheren Opfer aus seinen Reihen führten nicht, zu Selbstschutz-Maßnahmen: Ein von Daimler-Benz entwickelter Taxi-Typ, der durch Trennung des Fahrers vom Fahrgast Überfälle im Wagen unmöglich macht, fand keine Abnehmer: Er war den Taxi-Besitzern zu teuer, für Fahrten mit der eigenen Familie zu unbequem und erschwerte den Wiederverkauf des Wagens. Statt dessen forderten die Taxi-Männer die Todesstrafe.

Zur Beerdigung des Hamburger Taxi-Fahrers Hans-Werner Laps (181. Taxi-Mord) im vergangenen Monat waren 1500 Droschken aus dem Bundesgebiet in Sternfahrt zur Hansestadt gerollt: Allein aus Hannover kamen über 100, von denen manche noch am Nachmittag desselben Tages - vor dem Volksparkstadion geparkt - die Forderung nach der Todesstrafe auf ihren Scheiben trugen; drinnen spielte der HSV gegen Hannover 96.

Auch nach dem 182. Taxi-Mord forderten die Droschkenfahrer letzte Woche in einem Telegramm an Bundesjustizminister Bucher wieder die Todesstrafe. Doch der Bundestag, der das Grundgesetz nur mit Zweidrittelmehrheit ändern kann, wird in absehbarer Zeit keinem entsprechenden Antrag folgen: Zwar ist die CSU fast geschlossen dafür, aber, schon CDU und FDP sind gespalten, und die, Rechtsschwenkung der SPD) ist noch nicht so weit vollzogen, daß sozialdemokratische Befürworter der Todesstrafe sich exponieren möchten.

Das Pendel zwischen der biblischen Forderung »Auge um Auge« und dem christlichen Gebot »Du sollst nicht töten«, zwischen George Bernard Shaws Vorschlag zur Behandlung »menschlichen Ungeziefers« ("Tötet, tötet, tötet, tötet, tötet sie") und Arthur Koestlers Definition der Todesstrafe ("Sie trennt die Barmherzigen von den Unbarmherzigen") neigt also in der Bundesrepublik noch zur Barmherzigkeit.

Aber schon machte sich ein so überzeugter Anhänger der endgültigen Rache der Gesellschaft wie der CSU-Vizepräsident des Deutschen Bundestags und Gaullist Richard Jaeger Gedanken über Vollstreckungsmethoden: »Vermutlich wird man nicht den Galgen, sondern die Guillotine wählen.«

Zur Ausgabe
Artikel 12 / 69
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten