NORDSEE Ganz cool
Die einen laden auf grauem Umweltpapier ein, reisen mit Bahn oder Privatwagen an und tagen in der Technischen Hochschule. Die anderen kommunizieren auf Bütten oder per Telex, rollen in schwarzen Dienstkarossen herbei und versammeln sich im Haus der Bürgerschaft.
In ein und derselben Stadt, in Bremen, und beinahe zur selben Zeit, Ende dieser und Mitte nächster Woche, sind zwei verschiedene Konferenzen demselben Thema gewidmet: dem Schutz der Nordsee vor schleichendem Umwelttod.
Im Bremer Parlamentsgebäude beginnt am Reformationstag eine »Internationale Nordseeschutz-Konferenz«. Bonns Umweltminister Friedrich Zimmermann hat dazu Kollegen sowie Fachleute aus allen Nordsee-Anliegerstaaten geladen.
Zur konkurrierenden »Aktionskonferenz Nordsee« treten bereits vier Tage zuvor 400 Umweltschützer und Umweltwissenschaftler zusammen, die dem Zimmermann-Palaver mit Mißtrauen entgegensehen: Die Ministersitzung sei, so ein Aktionskonferenz-Sprecher, als »reine Alibiveranstaltung« angelegt, auf der Fragen »nach der Speisenfolge und der Kleiderordnung« Vorrang hätten.
Die Aktionskonferenz-Planer - darunter Vertreter von »Greenpeace« und »World Wildlife Fund«, der »Naturfreunde-Internationale« und der holländischen »Werkgroep Noordzee« - wiederum werden von den Offiziellen beargwöhnt: Zu den alternativen Nordseeschützern zählen Ökologisten, die bei Schiffs- und Straßenblockaden auch schon mal Gesetze übertreten haben.
Zwar will die Zimmermann-Runde eine »Nordseeschutz-Erklärung« verabschieden und die Alternativ-Konferenz ein »Nordsee-Memorandum«. Doch schon vor Beginn des Bremer Doppels steht fest, was letztlich herauskommen wird: wenig oder nichts. Denn die einen, die Offiziellen, wollen nicht handeln; nationaler Eigensinn verhindert gemeinsame Aktionen. Die anderen, die Nichtoffiziellen, wollen zwar, aber können nicht handeln - mangels Kompetenz.
So werden, steht zu fürchten, auf beiden Tagungen allenfalls Worte Wellen werfen. Die See zwischen Kanal und Kattegat, Cuxhaven und den Shetland-Inseln, mehr als doppelt so groß wie das Bundesgebiet, wird weiter dahinsiechen.
Zwar sind sich alle Nordsee-Anrainerstaaten und die EG einig, so Zimmermanns Parlamentarischer Staatssekretär Carl-Dieter Spranger, »daß rasch gehandelt werden muß, um dieses einmalige marine Ökosystem Nordsee mit seinem einzigartigen Wattenmeer und den Küstengebieten zu erhalten«. Doch wenn es um den nationalen Dreck geht, nutzen alle Staaten ungehemmt die Nordsee als Müllkippe Europas.
Ungeheure Mengen von Schadstoffen aller Art werden, zumeist mit staatlicher Billigung, in das EG-Meer gelenkt. Hauptquellen sind die Schmutzfrachten der Flüsse und der Dreck in der Luft, die _(Auf einem Bundesgrenzschutz-Boot auf der ) _(Nordsee. )
Müllentsorgung durch Abkippen (Verklappen) und durch Abwassereinleitungen. Öl- und Chemietanks von Schiffen werden auf dem Meer gereinigt, und auch die Ölförderung in der Nordsee verschmutzt das Gewässer jedes Jahr mit schätzungsweise 100 000 Tonnen - so viel, wie ein großer Tanker laden kann.
Direkt im Meer versenkt werden übers Jahr noch immer rund 80 Millionen Tonnen Unrat, darunter Klär- und Baggerschlämme, Industrie- und Chemiemüll. Wissenschaftler schätzen, daß mit dem Müll mehrere hunderttausend Tonnen Metalle, vom Arsen bis zum Quecksilber, und mehr als tausend Tonnen giftiger Halogenierter Kohlenwasserstoffe in die Nordsee gelangen.
Geschädigt und zum Teil vom Aussterben bedroht sind schon zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, in denen sich die gefährlichen Substanzen anreichern. Strände sind mit Plastikmüll und Ölklumpen verdreckt, Zehntausende Seevögel sterben jedes Jahr den Öltod.
Auf all das haben die Wissenschaftler des Bonner Sachverständigenrats für Umweltfragen bereits vor gut vier Jahren in einem Sondergutachten hingewiesen. In einer Fortschreibung des Gutachtens kam das Deutsche Hydrographische Institut (DHI) diesen Sommer zu dem Schluß, daß weite »Teile des Küstenmeeres« und die Flußmündungen »übermäßig starken Belastungen ausgesetzt sind«. Damit sei »die Nordsee als Ganzes erheblich gefährdet«.
Eine Dauerbedrohung vor allem für das Weltwunder Wattenmeer stellt, so das DHI, die »Großschiffahrt« dar: »Täglich« könne sich »ein Unfall eines Öltankers oder Chemikalientransporters ereignen« - mit tödlichem Ausgang für die Artenvielfalt an der Küste. »Ähnliche Folgen«, warnt das DHI, »könnte ein Betriebsunfall bei der Exploration oder Förderung von Erdöl haben.«
Unfälle dieser Art hat es schon mehrfach gegeben. Tanker, die jedes Jahr rund eine halbe Milliarde Tonnen Rohöl und Erdölprodukte auf der Nordsee transportieren, kollidierten und verseuchten die See. Kenternde Bohrinseln verursachten, etwa im März 1980 vor Norwegen, Ölpest. Auch Frachter wie die französische »Mont Louis«, die radioaktive Ladung tonnenweise kreuz und quer über das Meer schippern, sind gegen Havarien nicht gefeit.
Während solche Katastrophen nur durch den Einsatz moderner Technik zur Gefahrenabwehr verhindert werden können, ist der schleichenden Vergiftung der See allenfalls mit einer politischen Wende beizukommen. Damit der »German Ocean«, wie die Engländer das Meer nennen, nicht dahinstirbt wie der deutsche Wald, fordert Bonns Zimmermann etwa, *___die Schadstoffzufuhr durch Flüsse, Küstengewässer und ____über die Luft drastisch zu senken, *___die Ölverschmutzung auf See durch Schiffe und ____Ölbohrinseln zu stoppen, *___die Beobachtung, Verfolgung und Bestrafung von ____Meeres-Umweltsündern zu verschärfen.
Zumindest teilweise wäre all dies zu erreichen, wenn die Nordsee, wie schon die Ostsee und das Mittelmeer, zu einem Sondergebiet erklärt würde. »Das bedeutet«, erläutert Staatssekretär Spranger, »einen völligen Stopp für die Einleitung von Öl und Chemikalien.«
Soviel Sauberkeit aber geht einigen EG-Staaten zu weit. Die Engländer etwa, von deren Küste der Dreck auf Grund der vorherrschenden Strömungen in die Nordsee gespült wird, geben sich ganz cool. »Die Briten sind«, sagt ein Bonner Umweltbeamter, »ein kühl und pragmatisch denkendes Volk.« Deutlicher drückt sich ein Hamburger Nordsee-Experte aus: »Die versuchen alles zu blockieren. Es gibt keinen Umweltbereich in der Nordsee, wo die nicht bremsen.«
Gegen eine »Special Area« Nordsee stemmen sich aber auch Norwegen und Belgien. Frankreich, so ein deutscher Verhandlungsteilnehmer, »laviert so dazwischen«.
Bei solchem Dissens in der Sache können die Minister, die auf einstimmige Entscheidungen angewiesen sind, in Bremen allenfalls nach dem Geleitzugsystem vorankommen: Das langsamste Schiff bestimmt die Geschwindigkeit.
Von einem Erfolg ist da nicht einmal Zimmermann überzeugt. Vorsorglich kündigte er für den Fall eines Scheiterns der Konferenz einen »Alleingang für Schutzmaßnahmen« an. Dabei ist schon, wie die Veranstalter der Gegenkonferenz spotten, die Tagesordnung »gestrickt nach europäischer Norm: Konfliktstoff wird ausgeklammert, atmosphärische Verbesserungen sollen geschaffen werden, politischer Konsens um jeden Preis ist gefragt - selbst um den Preis der Erfolglosigkeit«.
Jene Themen, die von den Ministern ausgeklammert werden, stehen im Mittelpunkt der »Aktionskonferenz": umweltschädigende Industrieansiedlungen an der Küste und Eingriffe ins Wattenmeer, Offenlegung von Genehmigungen für industrielle Abfallproduzenten und Umweltverträglichkeitsprüfungen.
»Wir halten es für Augenwischerei«, erklären die Veranstalter der »Aktionskonferenz«, »über Maßnahmenkataloge zu sprechen, wenn von vornherein wirksame Schritte zur Rettung der Nordsee als nicht konsensfähig und unabdingbare Kontrollen als nicht durchsetzbar eingestuft werden.« Die nichtstaatlichen Verbände sowie die Wissenschaftler der Alternativ-Konferenz durften Zimmermann zwar Vorschläge unterbreiten, eingeladen zum Ministertreffen aber wurden sie nicht.
»Der Mißerfolg der Ministerkonferenz«, fürchtet Gerd Walter, Vorsitzender der SPD-Gruppe im EG-Parlament, »ist programmiert": Am Ende werde Bonns Umweltminister, wie im Fall des Kohlekraftwerks Buschhaus oder bei der Einführung des abgasarmen Autos, dastehen wie schon so oft - als Ankündigungsminister. _(Mitglieder der Umweltschutzorganisation ) _("Greenpeace« bei einer Aktion gegen die ) _(Verklappung von Dünnsäure. )
Auf einem Bundesgrenzschutz-Boot auf der Nordsee.Mitglieder der Umweltschutzorganisation »Greenpeace« bei einerAktion gegen die Verklappung von Dünnsäure.