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SPD Ganz der alte

Zwei Wochen vor dem 6. März trat Wahlkämpfer Helmut Schmidt aus der Reserve - mit ökonomischen Konzepten für Kanzlerkandidat Vogel und den Rest der Welt.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Am Rande der Routinesitzung des SPD-Parteipräsidiums am Montag letzter Woche in Bonn bat Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel seinen einstigen Kabinettschef Helmut Schmidt um Wahlhilfe besonderer Art: ob er damit rechnen und damit werben könne, daß ihm - im Falle seiner Kanzlerschaft - Schmidt als »Berater in weltwirtschaftlichen Fragen« zur Seite stehe. Diplom-Volkswirt Helmut Schmidt (Bergedorf) war einverstanden.

Noch nicht einmal vier Monate nach seinem Verzicht auf eine erneute Kanzlerkandidatur erklärte sich Schmidt bereit, als »One-Dollar-Man« eines Regierungschefs Vogel wieder ins Rampenlicht zu treten. Hartnäckig hatte der 64jährige, der sich vor kaum zwei Jahren einen Herzschrittmacher einpflanzen ließ, seit seinem Abschied vom Amt auf der Rolle des »elder statesman« beharrt. Doch nun zieht es den Pensionär wieder in die Arena.

In diesem Jahr ist er bereits während sieben Monaten mit Reisen und Vorträgen ausgebucht, die ihm pro Auftritt bis zu 20 000 Dollar einbringen. Der Ex-Kanzler rüstet sich, demnächst vielleicht wie die Altstars Henry Kissinger, Muhammad Ali und Liz Taylor im Auftrag seiner Regierung in spezieller Mission von Hauptstadt zu Hauptstadt zu jetten.

Schmidt wäre sich selbst untreu geworden, hätte er Vogels Offerte abgelehnt. Reisen nach Mexiko, USA, Japan, Spanien, Belgien und in die Schweiz, Gespräche mit Politikern, Bankern und Industriellen haben ihn, sollte er je gezweifelt haben, längst wieder zur Überzeugung gebracht, daß in obersten Staatsämtern ein zweiter Ökonom seines Kalibers nicht zu finden sei, weder in Washington noch in London, Paris oder Tokio, schon gar nicht in Bonn. Schmidts These: Es gebe keine »vernünftigen Leute« in den Regierungen. Noch nie habe es einen solchen Mangel an Fachleuten in Top-Positionen gegeben.

Nachts im Zug, nach Wahlkampfreden in Süddeutschland, gibt er preis, was er von der heimischen Szene nach seinem Abgang hält: »Ich denke, die Wähler erwarten von den Politikern schon gar keine Lösungen mehr. Sie erwarten das nicht von Kohl und nicht von Vogel. Von mir hätten sie's vielleicht erwartet.«

Am Mittwoch voriger Woche gewährte Schmidt Einblick in das, was von ihm noch zu erwarten ist. In Bonn präsentierte er einen 81 Seiten langen Aufsatz, der gleichzeitig in englischen, französischen, italienischen, japanischen und deutschen Blättern abgedruckt wurde. Der ehemalige Kanzler erteilte darin Handlungsanweisungen an die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten westlichen Industrienationen, die sich im Mai in Williamsburg (USA) zum nächsten Weltwirtschaftsgipfel treffen, »wie eine weltweite Wirtschaftsdepression vermieden werden kann«.

Von den USA fordert er, Zinsen und Haushaltsdefizite zu senken; Paris und S.61 Rom sollen endlich für ökonomische Stabilität sorgen, und Bonn, London, Tokio, Den Haag, Oslo, Wien und Bern müßten schleunigst ihre Wirtschaft auf Expansionskurs trimmen.

Was Schmidt als Kanzler und Miterfinder der Ökonomie-Gipfel nicht erreichte - eine weltweit abgestimmte wirtschafts-, finanz- und währungspolitische Kooperation -, legt er nun seinem Kollegen als Zukunftsaufgabe vor. Und weil alles so schön in den Wahlkampf paßt (Schmidt: »Ein nicht gerade unglücklicher Zufall"), nahm er die »Vernissage« (Schmidt) seines Werks in Bonn zum Anlaß, dem Kanzlerkandidaten Vogel weltökonomischen Beistand zu leisten. Sein Sanierungskonzept, so Schmidt, sei die Erläuterung zu dem, »was Vogel meint, wenn er von einem internationalen Solidaritätspakt redet«.

Mit seiner Wahlhilfe für den Kanzlerkandidaten, der bislang Mühe hatte, wirtschaftspolitische Kompetenz nachzuweisen, ließ sich Schmidt freilich viel Zeit. Anders als bei den Landtags- und Bürgerschaftswahlen in Hessen und Hamburg war der Ex-Kanzler bis dahin im Bundestagswahlkampf sehr zurückhaltend aufgetreten. Intern machte er immer wieder deutlich, daß er nicht mehr, wie in Hessen und Hamburg, der Ausputzer der SPD sei.

Im SPD-Präsidium versuchten Genossen den Ruheständler vergeblich zu überreden, im Interesse Vogels den Wählern noch einmal laut und einprägsam die Ballade vom Verrat des Hans-Dietrich Genscher vorzutragen. Statt dessen ließ er sich bei der Eröffnung des Bonner Büros der frisch gegründeten Körber-Stiftung seines Industriellenfreundes Kurt A. Körber mit jenem Liberalen ablichten, der einer der Initiatoren des Koalitionswechsels gewesen war: Alt-Bundespräsident Walter Scheel. Viele Sozialdemokraten empfanden das Bild als Provokation.

Kein Gehör beim Alt-Kanzler fanden auch jene Sozis, die Schmidt aufforderten, Vogel von Anfang an dort zu unterstützen, wo er Schwächen zeigt: in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Zugleich konnte es sich Schmidt nicht verkneifen, in Gesprächen mit Reportern Vogels Engagement für eine rigorose Umweltpolitik zu schmähen. Warf der Kandidat die Frage auf, ob es nicht besser gewesen wäre, mehr Geld gegen den sauren Regen als für den Brutreaktor in Kalkar aufzuwenden, knurrte Schmidt, wieder ganz der alte: Vogel wisse ja noch nicht einmal den Unterschied zwischen einem Schnellen Brüter und einem Hochtemperatur-Reaktor.

In der Bremer Stadthalle fiel es dem Kanzlerpensionär am Samstag vorletzter Woche vor über 5000 Sozialdemokraten sichtlich schwer, das Rednerpult für Vogel freizumachen. Er hatte, wie fast immer, sein Publikum mit seinen routiniert-gelangweilt vorgetragenen Belehrungen und Polit-Sottisen begeistert. Bitterkeit klang durch, als er in den Saal rief, er habe soeben erfahren, daß jetzt der Mann eingetroffen sei, »auf den wir schon den ganzen Nachmittag lang gewartet haben - Jochen Vogel«.

Während der Kandidat redete, saß ihm in der ersten Reihe ein Schmidt gegenüber, der ständig Autogramme gab, vor sich hinstarrte oder im Zeitlupentempo hin und wieder applaudierte.

Verständlich, warum Vogel lange gezögert hat, sich den Beistand Schmidts zu sichern. Zu lange vielleicht wollte er den Eindruck vermeiden, er habe es nötig, von Schmidt an die Hand genommen zu werden.

Sollte Vogel nach dem 6. März tatsächlich Kanzler werden, käme er schon aus Selbstachtung nicht darum herum, die Zusammenarbeit mit seinem One-Dollar-Man präzise abzugrenzen. Beispielsweise müßte er dann entscheiden, ob er Helmut Schmidt nur Vorarbeiten zum Wirtschaftsgipfel überläßt oder ob er ihn mit an den Verhandlungstisch nach Williamsburg nimmt.

Aber auch wenn die SPD die Wahl verliert, wird Schmidt sich selbst reaktivieren - nicht nur als Weltökonom. Schon Anfang Mai will sich der Außenpolitiker Helmut Schmidt wieder zu Wort melden. Als Gast von Nato-Oberbefehlshaber General Rogers wird er auf der Nato-Tagung »Shapex '83« in Brüssel - wie einst Kissinger - das Hauptreferat »Perspective on Alliance Defense« halten. Der Auftritt soll, ähnlich wie die Londoner Rede 1977, eine neue Wegmarke Schmidtscher Sicherheitspolitik setzen.

1977 hatte er die Raketenlücke entdeckt, die zwei Jahre später zum Nato-Doppelbeschluß führte.

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