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DENKMAL Ganz schön gedoktert

In Baden-Baden soll eine Gedenkstätte des russischen Dichters Turgenjew abgerissen werden - für Tiefgaragen und Bürogebäude. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Das romantische Holzhäuschen aus dem vorigen Jahrhundert, mit bröckeligen Wänden und Räumen voller Gerümpel einer benachbarten Baustelle, paßt nicht recht in die Gegend: Gleich gegenüber in Brenner's Park-Hotel, dem bundesweit berühmten Baden-Badener Prachtbau, pulst das richtige Leben.

Kein Wunder, daß der Eigentümer von Häuschen wie Hotel, der Bielefelder Konzern-Besitzer Rudolf August Oetker, den alten Holzbau wegbaggern lassen will. Über einer Tiefgarage sollen dann nutzbringende Bauten entstehen. Damit aber endet ein fast 20jähriger Kampf von traditionsbewußten Bürgern.

Mit dem Abriß verschwindet nämlich eine Gedenkstätte für den russischen Dichter Iwan Sergejewitsch Turgenjew, der fünf Jahre lang, von 1863 bis 1868, in Baden-Baden lebte und arbeitete.

Turgenjew, Klassiker der Weltliteratur ("Väter und Söhne"), hatte damals vier Zimmer im Haus eines Ofensetzers gemietet, in dessen Garten das Holzhaus stand. Dort empfing der zu den meistgelesenen russischen Dichtern zählende Autor die Dichterkollegen Fjodor Michailowitsch Dostojewski oder Theodor Storm, dort schrieb er an seinem in Baden spielenden Roman »Rauch«.

Der adlige Literat, ein »Sapadnik« (Westler) unter den russischen Denkern seiner Zeit, hatte sich im Gefolge seiner großen Liebe, der verheirateten Sängerin Pauline Viardot, in der damaligen Sommermetropole Europas niedergelassen. »Turgenjew spielt für Baden-Baden die Rolle, die Dostojewski für Bad Homburg ausfüllte«, sagt der frühere Leiter der örtlichen Kunsthalle, Klaus Gallwitz.

Als Oetker 1969 die beiden Häuser kaufte, damit niemand »gegenüber dem Parkhotel eine Würstchenbude« aufmachte, ahnten Turgenjew-Fans schon Böses. Sie protestierten gegen einen möglichen Abriß.

Busladungen mit Angehörigen der sowjetischen Botschaft in Bonn schlossen sich den Protesten vor Ort an, so daß die Stadt, dem Steuerzahler und Arbeitgeber Oetker sonst gern zu Diensten, den Konzernherrn um vorläufige Zurückhaltung bat.

Die Kontrahenten einigten sich schließlich auf einen Kompromiß: Das Ofensetzerhaus wurde »wegen Baufälligkeit« abgerissen, in dem Gartenhäuschen hingegen sollte das Turgenjew-Andenken gepflegt werden.

Zwar stand, anders als beim Ofensetzerhaus, nie ganz zweifelsfrei fest, ob Turgenjew auch in dem Gartenhäuschen seine Zeit verbracht hatte.

Aber Oetker versprach, das schönere Gartenhäuschen zu erhalten, vielleicht »ein Museum oder Cafehaus russischen Stils« daraus zu machen. Die Proteste verstummten. Der Hotelbesitzer überließ den Fall dem Zahn der Zeit. Aus der Turgenjew-Bleibe wurde ein Lehrstück für Geschichtslosigkeit.

Viele Jahre blieb es still um die Schillerstraße 17. Zwar wies die obere Denkmalschutzbehörde in Karlsruhe, auf Drängen des Turgenjew-Bewunderers Wolfgang A. Peters, die Stadt an, über die Erhaltung des Holzhauses zu wachen. Aber Stadt wie Konzern kümmerte das nicht. Auch vom Cafehaus oder Museum war nicht mehr die Rede. Statt dessen wucherten Parkgaragen ringsumher aus der Erde.

Als das Haus mehr und mehr verrottete, stieg schließlich der Oetker-Anwalt Klaus Froebel »mal in die Archive«, und siehe da, er fand heraus, daß im Laufe der Jahre an dem Gartenhaus »ganz schön herumgedoktert worden ist«. Seine heutige Form habe das »sogenannte Turgenjew-Gartenhäuschen« lange nach dem Tod des Dichters erhalten, zu dessen Lebzeiten sei die Datscha schlicht »ein Waschhaus« gewesen.

Die Forschungsarbeit des Juristen bewirkte schließlich die Abrißgenehmigung der Baubehörde. Auch der Denkmalpfleger Karl Friedrich Ohr aus Karlsruhe mochte nun, »ob des schlechten baulichen Zustands«, für das »an sich erhaltenswerte Objekt« kein Veto mehr einlegen.

Mehr Erfolg hatten Turgenjew-Freunde in Frankreich. Als in Bougival bei Paris ein

Immobilienmakler eine Turgenjew-Datscha ähnlich der in Baden-Baden für ein Rugby-Feld niederwalzen wollte, griff der Staat ein. Die französische Turgenjew-Datscha ist heute ein Museum.

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