SPD Ganz weiche Stelle
Wenn Bundeskanzler Helmut Schmidt neuerdings von seinen Parteifreunden militärisch knapp »absolute Sauberkeit in personellen und finanziellen Dingen« fordert und die Juso-Chefin Heidemarie Wieczorek-Zeul im Jargon der Linken »mehr Transparenz der Parteistrukturen« verlangt, dann haben der Regierungschef und seine innerparteiliche Oppositionsführerin ausnahmsweise dieselben Genossen im Visier: die Filzokraten und Ämterhäufler in der SPD,
Denn seit sich in den sozialdemokratisch regierten Großstädten Hamburg, Berlin, Bremen und Frankfurt Filz- und Korruptionsskandale mehren, stehen Ansehen und Glaubwürdigkeit jener Partei auf dem Spiel, die einst angetreten war, mehr Demokratie zu wagen.
»Die Verquickung von öffentlichen und privaten Interessen«, meint der Bremer SPD-Vorsitzende Henning Scherf, sei gerade für die Sozialdemokraten besonders peinlich: »Bei den Konservativen setzt man diese Interessen-Identität sowieso voraus, bei uns ist das aber eine ganz weiche Stelle.«
Parteichef Willy Brandt will es deshalb nicht länger bei bloßen Sauberkeits-Appellen lassen. Auf dem sogenannten »kleinen Parteitag der SPD« im Januar, zu dem Spitzengenossen aus den Bezirken, Bonner Kabinettsmitglieder, Bundestagsabgeordnete, Kommunal- und Landespolitiker geladen sind, soll auf seinen Vorschlag hin eine spezielle Arbeitsgruppe Filzokratie berufen werden.
Ihre Aufgabe ist es, Vorschläge auszuarbeiten, wie künftig den Parteifreunden liebgewordene Pfründe und unkontrollierbare Machtfülle beschnitten werden können. Auf dem Bundesparteitag im November 1977 soll das sozialdemokratische Plenum dann Ämterhäufung verbieten und Interessenverfilzung ausschalten.
Brandt orientiert sich dabei am »Modell Austria« seines Wiener Freundes Bruno Kreisky. Die österreichischen Sozialisten haben schon in diesem Jahr auf Betreiben ihres Kanzlers und Parteivorsitzenden »a bisserl Kulturrevolution«, wie Kreisky selbst es nennt, gemacht und auf ihrem letzten Parteitag die wegen der vielen staatseigenen Betriebe besonders häufige »Ämterkumulation« rigoros abgeschafft.
Laut Paragraph 54 A des Organisationsstatuts dürfen »Vertrauenspersonen der SPÖ neben ihrem Beruf grundsätzlich nicht mehr als eine entgeltliche Funktion« ausüben. Einmal jährlich müssen zudem alle sozialistischen »Mandatäre« ihrem jeweiligen Landesparteisekretariat sämtliche Funktionen bekanntgeben.
Eine ähnliche, freilich weit weniger streng gefaßte Meldepflicht steht auch im Organisationsstatut der deutschen Sozialdemokraten. Jede »Abmachung mit einem außerparlamentarischen Interessenten«, die mit »persönlichen Vermögensvorteilen« verbunden ist, heißt es in Paragraph 11, muß »gegenüber der Partei und dem Präsidenten der entsprechenden Parlamente offengelegt werden«.
Doch »wer richtet sich schon nach dieser Vorschrift?« fragt die Juso-Vorsitzende Wieczorek-Zeul. Eine in die Satzung einzureihende »Erklärungsfrist« soll da mehr Ehrlichkeit sichern helfen. Alle sozialdemokratischen Mandatsträger werden dann zu einem bestimmten Stichtag ihrer Partei bekanntgeben müssen, welche Ehrenämter und Zusatzjobs sie neben ihrer SPD-Funktion haben.
Auch den Vorschriften des Paragraphen 13 der SPD-Satzung soll künftig mehr Geltung verschafft werden. Er schreibt vor, daß Genossen 30 Prozent ihrer »in Wahrnehmung öffentlicher Ämter und Mandate« kassierten Tantiemen an die Partei abgeben werden müssen.
In einer Fragebogenaktion läßt Parteichef Brandt nun in den Bezirken nachforschen« ob diese Bestimmung tatsächlich befolgt wird. Ein Funktionär der Bonner SPD-Zentrale ahnungsvoll: »Da wird es manche böse Überraschung geben.«
Der oft anmaßende Umgang einiger Genossen mit der Macht plagt den Parteivorsitzenden nicht erst, seit CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf die Verfilzung zwischen Sozialdemokraten und Gewerkschaften im Ruhrgebiet zum Wahlkampfthema erhob. Den Wunsch, die eigene Partei »stärker zu durchlüften«, hegt der Spitzengenosse spätestens, seit sich in den SPD-regierten Großstädten eine Tendenzwende zugunsten von CDU und CSU abzuzeichnen begann.
»Das Erscheinungsbild der Sozialdemokraten und ihrer Partei auf lokaler oder regionaler Ebene«, so konstatierte jüngst die Nachwahlanalyse des Parteivorstandes, »schlägt früher oder später ... auch auf die Bundestagswahlergehnisse durch.« Und weiter: »Wo die Wahrnehmung öffentlicher Ämter nicht mehr für die Bürger jederzeit spürbar und sichtbar als Dienst für die Mitbürger erkennbar ist«, wende sich der Verdruß an der Bürokratie »gegen die Sozialdemokraten in öffentlichen Funktionen«.
In Berlin beispielsweise, wo sich die Sozialdemokraten mit dem »Steglitzer Kreisel« (Kosten: 330 Millionen Mark) ihr Filzokratie-Denkmal errichteten und durch miese Personalschiebereien bundesweit in Verruf gerieten, verloren sie bei den letzten Wahlen zum Abgeordnetenhaus fast acht Prozent. In Berlin auch wurde die SPD zu einei Laufbahnpartei des öffentlichen Dienstes. Rund zwei Drittel der sozialdemokratischen Fraktionsmitglieder sind zugleich Angehörige des öffentlichen Dienstes und kontrollieren sich als Parlamentarier selber.
Auch in Hamburg verschwimmen dank der Parteibuchwirtschaft die Grenzen zwischen Legislative und Exekutive. Brave Parteifunktionäre werden mit hochdotierten Jobs belohnt« glücklose Spitzenpolitiker wie der frühere Wirtschaftssenator Helmuth Kern mit gutbezahltem Staatsjob (Jahresgehalt: 195 000 Mark) für den Verlust politischer Ämter entschädigt. Die Quittung für diesen »Kaufmannssozialismus": Bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen verloren die Sozialdemokraten 10,4 Prozent.
Doch SPD-Chef Brandt verspricht sich von seinem Feldzug gegen Vetternwirtschaft und Ämterpatronage nicht nur Wirkung auf mißmutig gewordene Wähler. Er möchte, wenn erst einmal die Oligarchie der Multifunktionäre gebrochen ist, der jüngeren Parteigeneration und den benachteiligten Frauen eine Chance geben, zu Amt und Würden zu gelangen. »Die Abschaffung der Filzokratie«, erläutert Kritiker Scherf, »ist nicht nur eine moralische Position, sondern eine wichtige Strukturfrage für die Partei.«
Anders als sein Vorbild »Kaiser Bruno« (Brandt über Kreisky), der das Verbot der Postenkumulation ohne Flügelkämpfe in seiner weitaus friedlicheren SPÖ durchsetzte, muß sich Brandt freilich auf den geballten Widerstand der mächtigen Mandatssammler gefaßt machen. »Denn die Ämterhäufung«, behauptet das linke
SPD-Vorstandsmitglied Wolfgang Roth, »ist doch vor allem ein Problem der Rechten.«
Die schon oft erhobene Forderung von Genossen, Mehrfachmandate für Sozialdemokraten zu verbieten, ist bislang nicht durchgedrungen. Und die linken Flügelgenossen Henning Scherf und Norbert Gansel zogen bislang vor, ein geplantes Buch über die Machtverfilzung in ihrer Partei gar nicht erst zu schreiben. »Wir hätten uns«, entschuldigt sich Scherf, »dann den Vorwurf der Illoyalität eingeheimst.«
Macht Willy Brandt nun wirklich ernst, dann muß er sich mit prominenten Kommunal- und Landespolitikern anlegen, die, wie der Kölner Oberbürgermeister John van Nes Ziegler, bis zu einem Dutzend Ehrenämter und Aufsichtsratsposten wahrnehmen.
Musterbeispiel eines Ämterhäuflers ist auch der schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete und DGB-Landesvorsitzende Johann Sierks. Er hockt in sechs Aufsichtsräten, dazu im Verwaltungsrat der Wohnungbaukreditanstalt und im Beirat der Landeszentralbank Hamburg, ist nicht nur Vorsitzender der Genesendenhilfe eV., sondern zugleich auch Vorstandsmitglied des Großhamburger Bestattungsinstituts.
Die SPD-Multis kommen vorwiegend aus dem altgedienten Mittelhau der Partei wie etwa der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Heinz-Werner Meyer, der acht Pöstchen, darunter einige gutdotierte, gesammelt hat.
Ergiebigste Pfründe ist, neben den kommunalen Unternehmen, der Gewerkschaftsmoloch Neue Heimat, in dessen Aufsichtsräten außer zahlreichen Stadtverordneten, Bürgermeistern und lokalen Parteigrößen fünf Bundestagsabgeordnete und 16 Landtags- oder Bürgerschaftsabgeordnete sitzen
Schwierig wird die Entfilzung vor allem bei den Oberbürgermeistern etlicher Großstädte. Sie sind nämlich gesetzlich zur Ämterhäufung verpflichtet. Der Frankfurter OB Rudi Arndt zum Beispiel besetzt von Amts wegen sechs Vorstandsposten in den Aufsichtsräten kommunaler Betriebe. Das hat ihn als stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden der Flughafen Frankfurt AG in die Spendenaffäre um die Kaufleute Klingbeil und Abela hineingezogen.
Daß niemand per Gesetz oder gegen seinen Willen zum Postensammeln verpflichtet werden sollte, ging den Sozialdemokraten bislang freilich immer erst dann auf, wenn die Würdenträger ihrer Partei in Skandale verwickelt wurden: Der neue hessische Ministerpräsident Holger Börner konnte großmütig auf den Vorsitz des Verwaltungsrates bei der Hessischen Landesbank verzichten, weil nach der Helaba-Pleite und dem Sturz seines Vorgängers Albert Osswald die Satzung der Landesbank. die eine solche Ämterkoppelung vorsah, unverzüglich geändert worden war.
Auch im SPD-Landesverband Bremen sollen »wirtschaftliche Interessen einzelner Unternehmen mit den politischen Interessen der Sozialdemokraten« nicht länger »verquickt« werden. Dort hatte der Bremerhavener Vielfachfunktionär Werner Lenz seinen politischen Einfluß als Fraktionschef und Unterbezirksvorsitzender für Geschäftsinteressen seines Brötchengebers »Neue Heimat Nordsee« ausgenutzt und in Bremerhaven eine viel zu große und viel zu teure Müllverbrennungsanlage errichten lassen.
Der Bremer Bürgermeister und SPD-Präside Hans Koschnick ("Hier geht es nicht um Müll, sondern um Multifunktionen") will nun gemeinsam mit Parteichef Willy Brandt dafür sorgen, (laß es künftig »klare Inkompatibilitäten«, zu deutsch: Unvereinbarkeiten, zwischen bestimmten Parteiämtern gibt. Im Prinzip soll sich kein Mandatsträger oder Funktionär mehr selbst kontrollieren können, der Parteibasis sollen weitaus mehr Kontroll- und Mitspracherechte eingeräumt werden.
Es wird zudem erwogen, die Zahl der Partei-Ämter, denen sich Genossen widmen dürfen, grundsätzlich auf zwei zu beschränken, so daß ein Sozialdemokrat -- neben allen möglichen anderen Funktionen -- nicht zugleich auch Ortsvereins- oder Unterbezirksvorsteher und Mitglied des Parteivorstandes sein darf. Schließlich wollen Brandt und seine Saubermänner ihren Parteifreunden die Lust am Ämterhäufeln auch dadurch verleiden, daß sämtliche Nebeneinkünfte aus Aufsichts- und Beiratspositionen hei der SPD-Kasse oder einem gemeinnützigen Fonds abzuliefern sind.
Der Bremer Anti-Filzokrat Scherf hört schon heute das Wehgeschrei der Geschröpften: »Das geht noch auf Hauen und Stechen.«