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ABGEORDNETE Ganze Arbeit

Achtzehn Tage gehörte der Rendsburger Polizeihauptmeister Fleischner (SPD) dem Kieler Landtag an. Nun geht der 51jährige in Pension; er nutzte eine Lücke im Gesetz.
aus DER SPIEGEL 36/1971

Paul Rohloff, bis April dieses Jahres Präsident des Kieler Landtages, spendete den Parlamentariern zum Abschied zwiespältiges Lob: »Die Abgeordneten waren fleißig, eher zu fleißig«, und darunter habe »die Qualität der Gesetze gelitten«.

Hundert Tage später, Mitte August. nutzte ein Parlamentarier ein schlechtes Gesetz, um sich -- 51 Jahre alt -- zur Ruhe zu setzen: Der Rendsburger Polizeihauptmeister Ernst Fleischner, Bürgervorsteher und SPD-Ortsvorsitzender. der im April 1971 für den im Wahlkampf an Überanstrengung gestorbenen SPD-Landtagsabgeordneten Peter Empen für nur 18 Tage ins Parlament nachgerückt war, hat sich noch immer nicht zum Dienst zurückgemeldet.

Sein frühes Rentner-Dasein verdankt Fleischner dem schleswig-holsteinischen »Gesetz über die Unvereinbarkeit von Amt und Mandat«, nach dem Landesbeamte beim Einzug in den Landtag pensioniert werden. Stellt der Beamte nach Ausscheiden aus dem Parlament keinen Antrag auf Übernahme in das frühere Dienstverhältnis, dann »verbleibt er« -- so das Gesetz -- »im Ruhestand«.

Fleischners Idylle wurde freilich Ende vorletzer Woche jäh von der lokalen Jungen Union gestört, die ihm vorrechnete, er wolle sich »weit über 100 000 Mark« (rund 5000 Mark pro Abgeordneten-Tag) vorzeitige Pension zahlen lassen, obwohl »er normalerweise als Polizeibeamter noch neun Jahre hätte seinen Dienst versehen können«.

Da begehrten, weil es ums Geld geht, die sonst eher bedächtigen Holsteiner auf. »Wenn Sie ein Ehrenmann sind«, so postulierte eine Dame telephonisch. »mussen Sie sich noch heute erschießen.« Schriftlich befand eine anonyme »Genossin D. O.«, Fleischners Verhalten sei »eine Frechheit sondergleichen«. und die Frau des Bürgervorstehers wurde im Kaufmannsladen dreist gefragt, ob »die hunderttausend Mark schon eingegangen« seien.

Den jahrelang mit Ermittlungen gegen Automatenknacker und Fahrraddiebe beschäftigten Polizisten der Gehaltsgruppe A 9 (monatlich etwa 1600 Mark brutto) zieht es jedoch nicht in die Revierwache zurück. Pfiffig wandte der vorschriftenkundige Pensionär ein, daß er »sich gesetzmäßig verhält«, und empfahl Kritikern als »richtige Adresse« ihrer Beschwerden »den Gesetzgeber«.

In der Kreisstadt kursierende Vermutungen, er habe sich beruflich freistellen wollen, um die vakante Stelle des hauptamtlichen Senators (Stadtrat) -- monatliche Dotation: etwa 3500 Mark -- zu erlangen, weist der Bürgervorsteher zurück.

Fleischners SPD-Genossen bleibt nichts anderes übrig, als im Landtag einem bereits von den Rendsburger CDU-Honoratioren Werner Hahn und Otto Bernhardt angekündigten Antrag auf Novellierung des Amts- und Mandatsgesetzes zuzustimmen, wonach aus dem Parlament ausscheidende Beamte analog der Bundesregelung zum Dienstantritt aufgefordert und entlassen werden, sofern sie sich nicht termingerecht am angestammten Schreibtisch einfinden.

Die CDU-Kontrahenten des Bürgervorstehers wollen nach der Sommerpause im Landtag darauf dringen, daß diesmal »ganze Arbeit« (Bernhardt) geleistet wird. Eine Lex Fleischner erwartet der Polizist dennoch nicht: »Meine Pensionierung war ein Verwaltungsakt, und ich habe ein Recht auf meinen Besitzstand.«

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