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CDU/NPD Ganze Wahrheit

Christ- und Nationaldemokraten dementieren, was letzte Woche im SPIEGEL stand: »Alles Lügen« (NPD-Führer Mußgnug). Dem SPIEGEL liegt eine weitere Notiz über CDU NPD-Kooperation vor.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Bis vier Uhr in der Früh tagte das zusammengetrommelte Präsidium der Christdemokraten Baden-Württembergs. CDU-Chef Rainer Barzel wurde kontaktiert und das Bundesvorstandsmitglied Gerhard Stoltenberg. Dem CDU-Landtagsabgeordneten Bernhard Müller, 67, wurden, wie ein CDU-Sprecher mitteilte, »die Daumenschrauben« angelegt.

Grund der peinlichen Untersuchung in der Nacht vom 9. auf den 10. April waren Recherchen zu dem letzte Woche im SPIEGEL erschienenen Bericht über Informationen und Spekulationen, nach denen die im Lande für absolute Mehrheit, im Bunde gegen die Ostverträge kämpfenden Christdemokraten mit den Nationaldemokraten kooperiert haben sollen: Rückzug der rechtsradikalen Landtagskandidaten gegen klingende Münze.

Es kam nicht viel heraus hei der nächtlichen Sitzung. Christdemokraten wie Nationaldemokraten (Führer Martin Mußgnug: »Alles Lügen") formulierten Dementis -- so windige Dementis, daß die »Stuttgarter Nachrichten« anderntags fragten: »Dementis vom Dienst?«

CDU-Wahlkampfleiter Dr. Gerhard Mahler dementierte vor Journalisten, was der SPIEGEL nicht behauptet hatte:

* daß MdL Müller mit der NPD in Hannover zusammengetroffen sei -- der SPIEGEL hatte den Termin, nicht aber »den Ort der Mußgnug-Müller-Unterredung genannt; > daß der CDU die vom SPIEGEL zitierte Notiz über Aussagen einer NPD-Mitarbeiterin bekannt sei -- der SPIEGEL hatte lediglich über die Existenz dieses Papiers berichtet. Kein Wunder, daß sich in Bonn SPD-Sprecher Jochen Schulz über »das Um-den-heißen-Brei-Herumreden« in Stuttgart lustig machte und Baden-Württembergs SPD-Spitzenkandidat. Innenminister Walter Krause, die Union aufforderte, »die ganze Wahrheit« zu sagen -- vergebens. Gleichwohl schienen letzte Woche die Umstände des mysteriösen NPD-Kandidaten-Rückzugs täglich deutlicher zu werden.

NPD-Bundespressesprecher Hans-Joachim Richard bestätigte -- was von NPD-Führer Mußgnug vorher gegenüber dem SPIEGEL bestritten worden war -, daß Mußgnug mit CDU-Müller schon vor dem Rückzugsbeschluß der Nationaldemokraten im Foyer des Stuttgarter Landtags über die NPD-Absichten gesprochen hat. »Innerhalb der NPD«, so Richard laut »Frankfurter Rundschau«, habe »der Eindruck bestanden, daß der CDU-Abgeordnete Müller im Auftrag oder zumindest mit Wissen des CDU-Ministerpräsidenten Filbinger die Unterredung geführt habe«.

Politik-Redakteur Jörg Bischoff von der »Stuttgarter Zeitung« förderte überraschende Angaben über den Mußgnug-Kontaktmann Müller zutage: Der Landtagsabgeordnete habe, enthüllte das Blatt, »mindestens noch vor zwei Jahren engen Kontakt mit (dem damaligen NPD-Bundesvorsitzenden) von Thadden gepflegt und sich nach Aussagen von Gewährsleuten selbst »in Wohnungen« getroffen«.

Am Donnerstag letzter Woche gestand der Beschuldigte Müller die ihm nachgesagten Thadden-Kontakte. Zugleich bedeutete der CDU-Mann -- Träger des Großen Verdienstkreuzes, Ex-Vorsitzender des Landes-Chemieverbandes und Generalbevollmächtigter der Stuttgarter Unternehmensgruppe Lechler (die Zerstäuber und Chlorkautschuk, Folien und Werkzeugharze produziert) -, alles sei »rein privat« gewesen: Weil, so erläuterte Müller seine Eltern im Dritten Reich Adolf von Thaddens Stiefschwester vor der Verfolgung durch die Schergen des nationalsozialistischen Führers verborgen gehalten hätten, sei eine »langjährige freundschaftliche Verbindung« mit der Familie des nationaldemokratischen Führers entstanden.

Freilich: Dieser Müller-Version stehen Erkenntnisse entgegen, die sich in einer dem SPIEGEL vorliegenden Notiz niedergeschlagen haben und denen zufolge der CDU-Abgeordnete eine Serie politischer Verhandlungen mit Nationaldemokraten geführt hat. In dem Papier heißt es:

Nach Abschluß der Plenarsitzung des Landtags am 23. April 1970 bot der Abgeordnete Bernhard Müller (CDU) dem Abgeordneten Knorr (NPD) ein ausführliches Gespräch über eine mögliche Fusion der NPD mit der CDU an. Knorr reagierte zurückhaltend. Für die NPD sei der Zeitpunkt für eine Fusion noch nicht günstig. Man wolle zunächst den Ausgang der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, im Saarland und Niedersachsen abwarten, dennoch sei die NPD zu einem Gespräch bereit.

Das im Landtag verabredete Gespräch hat in der Wohnung von Müller am 13. Mai 1970 stattgefunden. Gesprächsteilnehmer für die NPD waren der Abgeordnete Knorr und ein weiterer NPD-Landtagsabgeordneter. Müller soll sinngemäß erklärt haben, daß die CDU die Große Koalition in Baden-Württemberg noch vor den Landtagswahlen in Bayern und Hessen auflösen wolle. Den NPD-Abgeordneten könnten im Falle eines Zusammengehens mit der CDU zwar keine Ministerposten angeboten werden, in Betracht kämen jedoch Positionen im öffentlichen Dienst. Er -- Müller -- werde jetzt Filbinger, Ganzenmüller* und Kiesinger über den Fortgang der Gespräche unterrichten.

Am 19. Juni 1970 und am 29. Juli 1970 fanden zwei weitere Gespräche zwischen Müller und NPD-Vertretern -- wiederum in der Wohnung Müllers -- statt. Vom ersten Gespräch waren der (jetzige) Parteivorsitzende der NPD Mußgnug und außerdem von Thadden unterrichtet, am zweiten Gespräch haben sie persönlich teilgenommen.

Müller soll bei diesen Gesprächen erklärt haben, daß die CDU jetzt vier Abgeordnete der FDP herausbrechen wolle und bei der NPD anfrage, ob die NPD in dieser Situation bereit sei, in wichtigen Einzelabstimmungen mit der CDU zu stimmen. Von NPD-Seite wurde sinngemäß geantwortet, daß man die Einzelfälle durchsprechen müsse. Von Thadden soll noch gewünscht haben, daß Müller ihm eine Verbindung zum Generalsekretär der CDU, Dr. Heck, schaffe. Müller soll das zugesagt haben. Weiter soll Müller bei diesen Gesprächen Mittel für den Wahlkampf der NPD in Aussicht gestellt haben.

Mit solchen Vorwürfen konfrontiert, erzählte Müller Ende letzter Woche

* CDU-Fraktionsvorsitzender im baden-württembergischen Landtag

dem SPIEGEL, er habe mit NPD-Leuten »persönliche Gespräche« auf eigene Initiative und keineswegs als »Kontaktmann« der CDU geführt. Allerdings, räumte Müller ein, habe sein Parteivorsitzender Filbinger davon erfahren: Der Ministerpräsident habe ihn Ende 1970 in »warnendem Ton« gefragt, »ob ich Adolf von Thadden kenne und bei mir in meiner Wohnung gehabt hätte«, worauf er (Müller) erwidert habe: »Ich lasse mir meine Gäste von niemandem vorschreiben oder verbieten.«

Zwar tritt der Industrie-Manager dem Verdacht entgegen, er habe der NPD im CDU-Auftrag Geld-Zusagen für den Fall einer Nichtkandidatur gemacht. Gleichwohl gibt er zu, daß er von Mußgnug über den Kandidaten-Rückzug informiert wurde, als darüber noch gar nicht beschlossen war.

Nicht zuletzt solche seltsamen Verhaltensweisen waren Ursache des schon seit Wochen in der Südwest-NPD kursierenden Gerüchts, der von ihrer Bundesführung als »nationales Opfer« angepriesene Kandidatenverzicht sei in Wahrheit Folge einer Geheimvereinbarung zwischen dem Thadden-Vertrauten Mußgnug und der CDU.

Am 23. März hatte NPD-Landesvorstandsmitglied Otto Heth in der »Waiblinger Kreiszeitung« diese »Version« über den Kandidaten-Rückzug der NPD in Baden-Württemberg verbreitet: »Ein ganz gemeiner Versuch innerhalb der NPD, der mit großen Geldmitteln seitens der CDU erkauft wurde ... Daher auch das Stillhalteabkommen der CDU gegen die NPD während des Wahlkampfes. -- -- 13 Mann des Parteivorstandes haben gegen den Willen der ca. 3000 Mitglieder des Landesverbandes gestimmt«

Von der Landes-CDU mit gerichtlichen Schritten bedroht, widerrief NPD-Mann Heth seine Äußerung in einem am 28. März unterzeichneten Vergleich (Vertragsstrafe: 1000 Mark). Gegen den SPD-Bundestagsabgeordneten Dr. Volker Hauff, der Heths Worte in der »Eßlinger Zeitung« zitiert hatte, erwirkten die Christdemokraten eine einstweilige Verfügung, die Hauff verbietet zu behaupten, die CDU habe den NPD-Verzicht »wahrscheinlich mit großen Geldmitteln ... erkauft« -- den zweiten Teil ihres Antrags, mit dem Hauff ferner die Feststellung untersagt werden sollte, die CDU sei mit der NPD eine »offene Koalition für die Wahl« eingegangen, hatten die CDU-Anwälte (bezeichnenderweise?) zuvor wieder zurückgezogen.

Ihrem Schriftsatz fügten die CDU-Vertreter eine eidesstattliche Versicherung ihres Wahlkampfleiters Mahler bei, in der es unter anderem heißt: »Die CDU in Baden-Württemberg hat der NPD keinen Pfennig bezahlt.«

* Am 8. April Tabak schnupfend auf dem Münchner SPD-Parteitag

Am letzten Freitag schlug Hauff zurück: In einem Antrag an das Stuttgarter Landgericht, die CDU zur Klageerhebung zu zwingen, wies er darauf hin, daß in den christdemokratischen Erklärungen von der »CDU in Baden-Württemberg« die Rede sei -- eine Formulierung, die eine NPD-Finanzierung sowohl durch die Bundes-CDU als auch durch Organisationen offenlasse, die der CDU nahestehen. Hauff: »Zum Beispiel der Wirtschaftsrat der CDU, der bekanntlich über erhebliche Geldmittel verfügt.«

Falls sich die CDU weigert, »binnen einer von dem Gericht festzusetzenden Frist« Klage gegen Hauff zu erheben, müßte die einstweilige Verfügung laut Antrag aufgehoben werden. Falls die CDU Klage erhebt, will Hauff »verlangen, daß mehrere Leute des CDU-Wirtschaftsrates unter Eid aussagen«.

Von »konkreten Hinweisen« auf Kontakte zwischen NPD und CDU-Wirtschaftsrat -- zu dessen Mitgliedern der Thadden-Freund Müller gehört -- spricht auch der baden-württembergische SPD-Vize Dr. Heinz Brückner.

Brückner zum SPIEGEL: »Wenn ich beweisen könnte, was ich weiß, dann hätte ich an der Stelle eines CDU-Mannes keine ruhige Nacht mehr.«

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