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RECHTSEXTREME Ganzes Ungeziefer

Die NPD, Wahlsieger unter den Splitterparteien, saniert sich aus der Staatskasse. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Der Mann nannte sich Hufschmied und sprach mit verstellter Stimme. Demnächst würden, drohte er telephonisch dem bayrischen Innenminister, »sämtliche Ministerien« und »vor allem das Maximilianeum« in die Luft fliegen. In den Münchner Isar-Auen gingen Bereitschaftspolizisten mit Maschinengewehren in Stellung.

Der Landtagsbrand blieb aus, der anonyme Anrufer wurde gefaßt: Karl Feitenhansl, Gärtnergehilfe und Anführer einer »Vaterländischen Union«. Ein Münchner Amtsgericht verknackte ihn zu drei Monaten Gefängnis, die Richter: »Der Angeklagte ist als Politiker nicht ernst zu nehmen.«

Dieses Vorurteil suchte Feitenhansl, 14 Jahre später, an Ort und Stelle zu entkräften. Als NPD-Abgeordneter rückte er 1966 ins Maximilianeum ein und schrieb bis 1970 an der Geschichte des Freistaats mit, wie seine einzige schriftliche Anfrage erweist: »Nach welchen Grundsätzen werden die Ferkeleinfuhren von Baden-Württemberg nach Bayern abgewickelt?« Vorletzten Sonntag kam der Im- und Export-Fachmann noch einmal zu politischem Glanz.

Aus den Bundestagswahlen ging er in Fürth als bayrischer NPD-Matador (ein Prozent der Zweitstimmen) hervor. Wie im Fränkischen haben die Rechtsextremen diesmal im ganzen Bundesgebiet ihren Zweitstimmenanteil mehr als verdoppelt (1983: 0,24 Prozent, 1987: 0,6 Prozent) und alle anderen Splitterparteien wie etwa die »Patrioten für Deutschland« oder die »Mündigen Bürger« weit hinter sich gelassen.

Kein schlechtes Geschäft: Wer die 0,5-Prozent-Hürde überspringt, kassiert staatliche Wahlkampfkostenerstattung; die 226298 Zweitstimmen (1983: 91095) bringen der NPD rund 1,4 Millionen Mark. »Ein respektabler Erfolg«, bilanziert der NPD-Vorsitzende und Rechtsanwalt Martin Mußgnug, 50, der in Rottweil-Tuttlingen 2,3 Prozent Erststimmen erzielte.

Der Vize-Chef des Fußball-Clubs 08 Tuttlingen hat schon bessere Zeiten gesehen: 1968 zog er, die NPD hatte 9,8 Prozent geholt, in den Stuttgarter Landtag ein. Dann folgte, nach dem republikweiten Erschrecken über das braune Wachstum, Niederlage auf Niederlage. In Bund und Ländern kämpfte sich die Mini-Partei, die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes derzeit rund 6100 Mitglieder hat, auf 0,2 Prozent herunter und stand ständig vor der Pleite.

Empfindsame Gemüter wie die Grünen-Vorstandssprecherin Jutta Ditfurth fürchten nun, daß Deutschland allmählich wieder erwacht: »Da muß man aufpassen.« Rechtsextremismus-Experten jedenfalls, wie der hessische Verfassungsschutz-Chef Günther Scheicher, haben den NPD-Anstieg schon seit längerem »erwartet«. Bereits bei der Europa-Wahl vor knapp drei Jahren nämlich hatten Mußgnugs Mannen fast 200000 Stimmen (0,8 Prozent) und damit eine runde Million Mark Staatsgelder eingesammelt. Wieder halbwegs solvent, investierten die Rechtsextremen in ihr sogenanntes »Amt für Presse und Information«, Mußgnug gab die Zielgruppe vor: »Wir Nationaldemokraten appellieren nicht an die Schwulen, die Lesben und das ganze Ungeziefer, sondern an die ganz Normalen, an die Anständigen.«

Die erblickte die Stuttgarter Propagandazentrale vor allem in den Wählerschichten, die vom Stahlhelmflügel der Union durch Attacken gegen Entspannungspolitik. Scheinasylanten und Abtreibung schon vorgewärmt waren. Auch den Wende-Zeitgeist, geprägt durch die Historiker-Diskussion über eine Revision deutscher Vergangenheitsbetrachtung und die Wiederbelebung von Nationalbewußtsein, suchte die NPD zu nutzen. So zog sie (Motto: »Dein Herz für Deutschland") für ein einig Groß-Deutschland, gegen »Mord« am ungeborenen Leben und gegen »Überfremdung« in die Schlacht - die Vertriebenen, Ausländerstopp-Initiativen und sogar christliche 218-Gegner fest im Blick.

Ergebnis: Kräftige Zuwächse verbuchte die NPD diesmal weniger in den einschlägig bekannten bäuerlich-bräunlichen Landstrichen Baden-Württembergs, Niedersachsens und Hessens, sondern in größeren Städten wie Nürnberg, Frankfurt oder München - zum Verdruß der rechten Konkurrenz.

Die »Republikaner«, die bei der bayrischen Landtagswahl im Herbst 1986 auf Anhieb drei Prozent schafften, ärgern sich nun, daß sie zur Bundestagswahl nicht angetreten sind - ein satter Staatszuschuß wäre ihnen wohl sicher gewesen. Geschäftsführer Harald Neubauer, der selber Wahlenthaltung übte: »Ich könnte mich ohrfeigen, daß ich nicht mehr nach vorn vorgeprescht bin.«

Ein anderer NPD-Rivale hat dagegen die Reihen mit Mußgnugs Truppe wieder dichter geschlossen: Gerhard Frey, Herr über acht rechte Sammlungsbewegungen mit mehr als 10000 Mitgliedern und über das größte rechtsextreme Verlagsimperium ("Deutsche National-Zeitung«, »Deutscher Anzeiger«, »Deutsche Wochen-Zeitung") mit einer wöchentlichen Auflage von 120000. Frey, der sonst gegen den von der NPD propagierten »Sonderweg« eines neutralen Großreichs Deutschland anschreibt, forderte seine Anhänger erstmals auf, mit »beiden Stimmen für die NPD« auf den »Nationalmasochismus maßgeblicher Politiker der Union« zu antworten.

Das läßt den NPD-Chef hoffen, »daß weitaus höhere Wahlergebnisse nun möglich sind«. Einer der Hoffnungsträger ist der Elektriker Volker Sachs, Jahrgang 1935, der sich wie ein anderer Polit-Prominenter auf die Gnade der späten Geburt beruft: »Ich bin nicht NS-belastbar.«

Im hessischen Wölfersheim, wo er der NPD bei den Kommunalwahlen 1985 schon drei Mandate beschert hatte, holte Sachs das NPD-Rekordergebnis von 10,5 Prozent Erst- und 6,9 Prozent Zweitstimmen. Verfassungsschützer Scheicher: »Der Mann gilt in seinen Kreisen als Führer-Gestalt. »

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