Österreich Gar vielerlei
Kein sozialdemokratischer Staat wird auch nur einen einzigen Schilling ins faschistische Griechenland investieren«, schwor Österreichs Ex-Vizekanzler Bruno Pittermann, Präsident der Sozialistischen Internationale, am 29. März 1968. Dabei umarmte er mit Nachdruck die blonde Melina Mercouri, die Wien zur ersten Station ihrer musikalischen Protesttournee gegen das Athener Militärregime gewählt hatte.
Vier Jahre später investiert das sozialdemokratische Österreich 1,2 Milliarden Schilling im faschistischen Griechenland, 67 Prozent-Anteil an einem 78-Millionen-Dollar-Projekt. Die Steyr-Daimler-Puch AG -- Mehrheitsaktionär ist die staatliche Creditanstalt -- verpflichtete sich vertraglich, auf griechischem Boden für die griechischen Generäle Nutzfahrzeuge aller Art zu bauen. Und eines Tages wird sie ihnen vielleicht auch Waffen liefern. Athens Gegenleistung: Zehn Jahre lang darf Steyr Ackerschlepper und Lastwagen in Griechenland exklusiv bauen.
»Ich bin nicht zimperlich«, kommentierte Steyr-Generaldirektor Karl Rabus den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses -- 13. April, 13 Uhr. Der Dreizehner, sagt er, war schon immer seine Glückszahl.
Zimperlich war Rabus denn auch nicht. Das Werk, das Steyr in der staatlich geförderten Industriezone Saloniki baut, ist die größte Auslandsinvestition eines österreichischen Unternehmens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und zugleich eines der größten Industrievorhaben in ganz Griechenland. In 70 000 Quadratmeter Werkhallen sollen 4000 Arbeiter ab 1974 pro Jahr 5000 Traktoren von 32 bis 140 PS, weiter 3000 Lkw von 5 bis 14 Tonnen Nutzlast, 1500 stationäre Motoren, 30 000 Mopeds, 1500 Motorräder und 80 000 Fahrräder erzeugen. Bau-Investition der neuen Steyr-Hellas-Gesellschaft: 34 Millionen Dollar.
In zweijährigen zähen Verhandlungen hatten die Steyrer so angesehene Konkurrenten wie Daimler-Benz und Ford auspunkten können. Das erklärt Rabus teils politisch -- »weil Österreich ein Kleinstaat ist« -- und teils wirtschaftlich: »Weil die Steyr-Werke eine Art Gemischtwarenladen sind, d. h. gar vielerlei erzeugen«. Das vielerlei Kriegsgerät, das Steyr ebenfalls erzeugt -- es reicht von Europas billigster Maschinenpistole bis zu Europas teuerstem Schützenpanzer -, möchte Rabus bagatellisieren: »Vorläufig schmieden wir für Griechenland keine Waffe.«
Athener Verhandlungspartner erinnern sich freilich daran, wie der Steyr-Manager die militanten Waren in seinem Sortiment herauszustreichen wußte. Wohl zu Recht wurde dabei der Eindruck erweckt, daß die Österreicher genügend Know-how besitzen, um auch Waffen liefern zu können.
Das heutige Allround-Werk an der Grenze zwischen Nieder- und Oberösterreich begann nämlich vor 119 Jahren als reiner Kriegsbetrieb. Damals rüstete das k.u.k. Heer vom Vorderlader auf den Hinterlader um.
In den letzten Jahren verkaufte die Waffenschmiede der neutralen zweiten österreichischen Republik fast ausschließlich Fahrzeuge, Wälzlager und Jagdstutzen ins Ausland. Bestseller: das Mannlicher-Schönauer-Gewehr, das seit 1903 fast unverändert blieb. Rabus: »Damit schlagen wir an Produktionszeit sogar den VW-Käfer.«
Was an martialischem Gerät aus Steyr kommt, schießt heute primär für Österreich, das gilt sowohl für die Sturmgewehre vom Typ StG-58 wie auch für die neue, extrem preisgünstige Steyr-Maschinenpistole, die bereits für knapp 200 Mark zu haben ist.
Daß Steyr für den Nato-Staat Griechenland vorläufig keine Waffen produzieren will, erklärt sich aus der österreichischen Neutralität. »Wir nehmen selbstverständlich Rücksicht auf die Stellung Österreichs zwischen Ost und West«, formuliert Rabus.
Keine Rücksicht hingegen wollte der Steyr-General auf die Gefühle Bruno Pittermanns und anderer alter SPÖ-Funktionäre nehmen. Nach der Athener Vertragsunterzeichnung zwang er den sozialistischen Wiener Handelsminister Staribacher zu einer demonstrativen Freundschaftsgeste für die bislang gemiedenen Obristen: Er verlangte eine Einladung der Kreisky-Regierung für Vize-Minister Choriatopoulos, dem die Industrie Griechenlands untersteht.
Das Treffen fand Anfang Mai unter beinah perfekter Geheimhaltung statt. Auch dabei wurde natürlich übers Geschäft geredet. Die Steyr-Direktoren bedrängten im Stammwerk den Gast. Maschinengewehre in den Händen: »Die sind gut für die griechische Armee, Herr Minister.« TV- und Radioreporter waren von dem Staatsbesuch ausgeschlossen, die sozialistischen Zeitungen schwiegen. Und die Gastgeber ließen ihren Besucher nur ganz kurz in Schönbrunn spazierengehen, ehe sie ihn zu einer Weinreise ins abgeschiedene Burgenland schickten.
Ergebnis: Keiner der vielen in Wien studierenden Exilgriechen kreuzte den Weg des Gastes. »Selbst der Mercouri-Küsser Pittermann«, mutmaßt ein Beamter des Handelsministeriums, »hat von allem erst nach der Abreise des Choriatopoulos erfahren.«