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FILM Garten der Brüste

Der amerikanische Pornofilmer Russ Meyer, seit Jahrzehnten als Kult-Regisseur anerkannt, will jetzt in die großen Kinos.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Gäbe es das deutsche Feuilleton nicht -- dem amerikanischen Pornofilmer Russ Meyer wäre ein Leben lang verborgen geblieben, daß er eigentlich ein Genie ist.

Gewiß: Auch in seinem Heimatland hatte er schon die eine oder andere schmeichelhafte Bemerkung über sich und sein Werk -- etwa »Supervixens Eruption« und »Die Satansweiber von Tittfield« -- lesen dürfen.

»Den Fürsten der Pornographie« nannte man ihn, einen »Fellini vom flachen Lande« gewissermaßen. Und welche höhere Weihen kann ein US-Regisseur erreichen denn diese: »Walt Disney der Sex-Filmer«?

Doch so recht gewürdigt und in seiner kulturhistorischen Bedeutung erkannt haben den 58jährigen Kalifornier erst die Deutschen.

Zu gelungenen Entwürfen eines »Gegenbilds zur Epoche des New Deal« soziologisierte die »Frankfurter Rundschau« den Meyer-Film »Mudhoney« (deutsch: »Im Garten der Lust") hoch, und in der »Süddeutschen Zeitung« gar rangiert der Zweizentner-Mann mit dem Clark-Gable-Bärtchen gleich nach Aischylos: Meyer vermittle »die großen Gefühle griechischer Tragödien«, wenn auch »im Playmate-Format«.

»Wenn die Kleidung der Kombattanten immer mehr von Erde verdreckt wird«, so dozierte Filmkritiker Ulrich Kurowski über einen Meyerschen Damenringkampf, dann hat das »etwas ins Letzte Gehendes, Rückkehr in den Mutterleib, Nirwana«. In dieser und der nächsten Woche läuft Meyers neuestes Werk »Im tiefen Tal der Superhexen« in 13 deutschen Städten an. Russ Meyer will erkunden, ob »Deutschland reif ist für Russ Meyer«.

Fällig jedenfalls war die Nation schon lange für den Meister der Billigpornos mit seinen irren Hillbilly-Typen, sabbernden Hirnamputierten, geilen Großmüttern und, als Meyer-Markenzeichnen, den nie länger als drei Sekunden lang bedeckten Großraumbrüsten.

Denn die Werke des »Tittenfetischisten« (Meyer über Meyer) wurden bislang nicht nur in Bahnhofskinos fürs eher einhändig genießende Publikum gezeigt. Meyer-Filme sind nebenher echte Kultfilme wie etwa »Casablanca«, »Harold und Maude« oder die »Rocky Horror Picture Show«, mit ständigen Wiederholungen in winzigen Programmkinos und einer treuen Gemeinde, die jeden Dialogfetzen nachbeten kann.

Das »Tal der Superhexen« behandelt die sexuellen Schwierigkeiten eines jungvermählten Schwachkopfs, der mit seiner Gattin nur, wie Meyer das S.187 ausdrückt, »durch den Hintereingang« in Verkehr treten kann. Geheilt wird er in der »Wanne der Wonne« genannten Badewanne einer ultrabusigen Äther-Evangelistin beim 100 000-Watt-Sender »Rio Dio Radio«, die Prozedur wird live übertragen.

Und wie bei jedem Meyer-Film kommt eine Orgie selten allein. »Bei mir«, brüstet sich Meyer, seit er 1959 mit »Der unmoralische Mister Teas« seinen ersten Nacktfilm drehte, »weiß jeder nach 15 Sekunden, woran er ist«. Denn Meyer, dessen Photographien seiner Ehefrauen Nummer eins und zwei Doppelseiten des »Playboy« schmückten, befolgt strikt sein Stilprinzip: Comic-Strip als Film.

Im samtenen Smoking spielt ein gewisser Martin Bormann (es gibt ihn in jedem Meyer-Film, eine Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen ist nicht beabsichtigt) auf dem mechanischen Klavier herum, dann schneller Schwenk auf Bormanns Turnschuhe. Als der zwecks Ausübung des Geschlechtsverkehrs in einen bereitstehenden Luxus-Sarg und eine Dame auf ihn gestiegen ist (beide singen: »Gib' mir den alten Glauben wieder"), da fällt ganz groß eine Schallplatte an dem Phallus-Zapfen des Plattentellers entlang: »Klack.« »Schlurps«, senkt sich der Vibratorstab ins Vaselinetöpfchen, und als Hauptdarstellerin Francesca »Kitten« Natividad -- privat Lebensgefährtin Meyers -- dem schlaffen Film-Ehemann mit nacktem Zeh an den Gernegroß geht, da quietscht's im Schritt des Herrn wie bei einem Gummi-Entchen.

Dies alles kennt -- so oder ähnlich -- die Gemeinde schon seit Jahren. Diesmal aber hat Meyer den ganz großen Angriff auf den guten deutschen Geschmack vor. Denn mit »Superhexen« gedenkt Meyer ("My religion is lust and profit") auch hierzulande den Durchbruch in die besseren Filmtheater zu schaffen.

Immerhin spielte der Film in den USA insgesamt 21 Millionen Dollar ein, wurde er im »Paramount Theatre« direkt gegenüber von »Grauman's Chinese Theater« in Hollywood gezeigt, »wo immer die Premieren mit Robert Redford und Barbra Streisand laufen«, schaffte er es gar auf einen Eintrag in Guinness' Buch der Rekorde: 54 Wochen lang lief der Streifen im Autokino von Elgin, Illinois. Meyer: »Ich habe den Familienmarkt erschlossen.«

Tatsächlich findet in »Superhexen« nur mehr Sex, kaum noch Gewalt statt. Schwärmen noch heute altgediente Meyer-Fans von der Szene, als eine Motorsäge den Leib eines tumben Toren zerfetzte -- die herumfliegenden Fleischbrocken wurden höchst wirkungsvoll vom Innenteil einer Melone dargestellt, für die Blutspritzer sorgte ein Küchenquirl mit Tomatenketchup -- so bescheidet sich der frischgebackene Familienfilmer heute mit -- Achtung, Gag! -- weißem Blut, das aus dem Mund eines Negers quillt.

Die neugewonnene Eindimensionalität des Regie-Stars, und das ist die Tragik des Russ Meyer, hat fatale Folgen. Nach einer halben Stunde nämlich sind die Gags verbraucht und just, wenn's dem echten Fan nach einem gepflegten Massaker gelüstet, fängt alles noch mal von vorne an.

Trotz seines neuen Credo vom Unterhaltungspornofilm für die ganze Familie ("Das große Geld ist in den großen Kinos") hält »Superhexen« immerhin noch aufrecht, was Meyers intellektuelle Fans immer wieder vor Wonne erschauern läßt: Schnelle Maschinengewehrschnitte, die immer wieder ganz kurz zeigen, was schon bekannt ist -ständig werden Zündschlüssel herumgedreht, Gangschaltungshebel bewegt, erzittern Betten auf allen Vieren.

Wie sehr das Meyers Cineastengemeinde noch immer fasziniert, bewies ein Fan in Hamburg: »Welches sind die Prinzipien Ihrer Erzählstruktur«, fragte verehrungsvoll der Meyer-Jünger.

Meyer: »Meine Filme werden häufig auf Partys gezeigt. Wenn einer in die Küche geht und Bier geholt hat, muß er beim Reinkommen wieder ein paar Leute beim Bumsen sehen.«

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