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UMWELT Gas auf der Koppel

Mit einer Millionenspende will ein Chemie-Unternehmen in einem Kölner Vorort Bürgerproteste gegen Lärm und Gestank zudecken.
aus DER SPIEGEL 1/1975

Kurt Schneider, Geschäftsführer der Erdölchemie GmbH in Köln-Worringen, meint es nur gut mit den Menschen: »Wir wollen den Leuten hier eine Freude machen.«

Freuen sollen sich die rund 10 000 Worringer Bürger an einer neuen Mehrzweck-Halle, deren Kosten von 2,5 Millionen Mark die Chemiefirma glatt übernehmen will -- vorausgesetzt, die Vorortbewohner lassen sich auf die Bedingungen ein, die das sich so edel präsentierende Unternehmen stellt. »Die geplanten Ausbauvorhaben«, so lauten die Konditionen, »müssen natürlich realisiert werden können.«

Um diese Erweiterungspläne jedoch -- Bau von fünf neuen Anlagen, die Äthylen und Benzol, aber auch Krach und Gestank produzieren werden -- ist heftiger Streit entbrannt« seit sich zu Worringen eine »Interessengemeinschaft gegen Industriebelästigung« etabliert hat. Offenbar wurde dabei auch ein seltsames Stück Ansiedlungspolitik der Stadt Köln.

Die Aufklärung besorgten Richter des Kölner Verwaltungsgerichts. Ursprünglich nur mit einer Klage der Interessengemeinschaft gegen den Bau einer Anlage zur Herstellung von Isopren* befaßt, stießen sie während des dreijährigen Verfahrens bald auf Grundsätzliches. Durch »Fehlerhaftigkeit der Bauleitplanung"« rügten die Richter, seien in Worringen Industrie- und Wohngebiet »mit Billigung und Förderung der Stadt Köln« zu nah aneinandergerückt. Dies aber sei »mit den Grundsätzen einer geordneten städtebaulichen Entwicklung nicht zu vereinbaren«.

Plangeschädigt sind vor allem die Bürger: Anfang der sechziger Jahre waren sie an den Nordrand Kölns gezogen, »weil es hier noch Kornfelder und Rehe zu sehen gab« (so ein Neu-Worringer). Statt Natur sahen die Ansiedler jedoch alsbald, wie der einst weit entfernte Werkzaun des Chemie-Unternehmens immer näher rückte.

Das Rattern von Pumpen und Zischen von Ventilen drang in die Idylle -- so laut, daß der zulässige Nachtlärmpegel für Wohngebiete (40 Dezibel) um bis zu fünfzig Prozent überschritten wurde. Überdies litten die mählich zu Industrie-Anrainern gewordenen Siedler nun auch unter Gerüchen, über die die Essener Anstalt für Immissions- und Bodennutzungsschutz bündig befand: »Nicht zumutbar.«

Zusätzlich bedrängt fühlten sich viele Worringer, als 1971 in dem mittlerweile 220 Hektar großen Chemiewerk zweimal Ammoniak ausströmte. Einmal trieb Wind die Gasschwaden auf eine Pferdekoppel« wo einige Stuten verendeten, ein andermal zur nahegelegenen Autobahn, wo Polizisten mit Gasmasken die Autofahrer zum schnellen Durchfahren der Gefahrenstelle antrieben. »Beim nächsten Mal«, so Hermann Mertens, Vorsitzender der Interessengemeinschaft, »bläst der Wind vielleicht auf unsere Siedlung.«

Doch nicht die Gefahr weiterer Unfälle gab den Ausschlag, daß die Verwaltungsrichter die vorläufige Genehmigung zum Bau der Isopren-Anlage aufhoben. Entscheidendes Kriterium waren die zu erwartenden Lärm- und Geruchsbelästigungen, denn Industrie- und Wohngebiet sind an manchen Stellen nur mehr 450 Meter auseinander -- genau die Entfernung, die das Gewerbeaufsichtsamt den Kölner Stadtplanern für ihre Worringer Bauleitpläne 1968 vorgeschrieben hatte.

Die Verwaltungsrichter jedoch legten einen weit strengeren Maßstab an: einen Erlaß des NRW-Sozialministers Werner Figgen von 1972, der den Schutzabstand zwischen Wohnsiedlungen und Werken der Großchemie auf 2000 Meter festgesetzt hatte. Nun klagt Kölns Baudezernent Werner Baecker: »Vorgänge aus den sechziger Jahren kann man doch nicht mit Verordnungen messen, die Jahre später erlassen wurden.« Und für Geschäftsführer Schneider zeichnet sich »eine Katastrophe« ab, »wenn so etwas Schule macht«.

Unerwartete Hilfe erhielt der Betrieb von der 2700 Mann starken Belegschaft. Denn kaum hatte die Geschäftsführung laut an »Auswanderung« (Schneider) gedacht und Alternativ-Standorte bei Dörpen und bei Antwerpen ins Gespräch gebracht, trat Betriebsratsvorsitzender Hermann Diehl auf den Plan: »Was nutzt es uns, in Worringen Schwarzwaldluft als Arbeitslose zu genießen?«

Verständnis fanden Betriebsräte und Belegschaft auf einer Protestveranstaltung in Düsseldorf bei Figgens Staatssekretär Paul Arnold Nelles, der sich für die geplanten Chemie-Investitionen in Höhe von 1,1 Milliarden Mark einsetzen will und eine Radikalkur empfahl: »Entzerrung« -- also Umsiedlung der betroffenen Bewohner.

Die Stadt Köln sucht erst einmal Bedenkzeit. »Durch ein weiteres Gutachten«, so Dezernent Baecker, »wollen wir jetzt abklären, wie stark die Belästigungen wirklich sind.« Vielleicht, so mögen das Unternehmen und die Kommune hoffen, wirkt der Köder mit der Mehrzweckhalle für Sport und Kultur. können Spiele den Mief, Lieder den Lärm lindern.

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