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BONN / CSU-SKANDAL Gauner und Ganoven

aus DER SPIEGEL 47/1970

Zwei Tage vor der Hessenwahl, am 6. November morgens um neun Uhr, erschienen im Bundeshaus-Büro des FDP-Abgeordneten Karl Geldner zwei Abgesandte der National-Liberalen Aktion (NLA) des FDP-Renegaten Siegfried Zoglmann.

Der nordrhein-westfälische NLA-Vize Franz Mader und sein Schatzmeister Anton Beyer boten dem Bäckermeister aus Schillingsfürst bei Ansbach in Mitteifranken zwei Berater-Verträge mit der Papiertüten-Firma Beyer OHG aus Lippetal in Westfalen an: für vier Jahre insgesamt 400 000 Mark.

Eine halbe Stunde später waren die drei Herren zu Gast in der Bonner Wohnung des CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß, Löwenburgstraße 34, wo sie außer vom Hausherrn auch von dem CSU-Landesgruppenchef Richard Stücklen und dem Stücklen-Stellvertreter Hermann Höcherl erwartet wurden. Es ging um den Übertritt Geldners von der FDP zur CSU. Unklar blieb, ob der FDP-Mann direkt oder erst auf dem Umweg über Zoglmanns NLA zur CSU stoßen sollte.

Pro forma spielte Bäcker Geldner mit. Er nahm Stücklen zur Seite und gestand seinem langjährigen Schafskopf-Partner: »Richard, ich bin ja nur ein kleiner Handwerksmeister, du mußt mir das schon schriftlich geben.«

Karl Geldner hatte die Falle gestellt, Stücklen und Strauß tappten hinein. Die beiden CSU-Spitzenpolitiker bescheinigten dem FDP-Abgeordneten nach einer Bedenkzeit am letzten Donnerstagnachmittag mit ihren Unterschriften, was sie dem vermeintlichen FDP-Verräter schon am 6. November mündlich offeriert hatten: »Für den Fall eines Übertritts in die CSU« wollten sie »dafür Sorge tragen, daß er durch einen Stimmkreis oder eine Absicherung auf der Landesliste, gegebenenfalls durch beides zusammen, eine sichere Aussicht erhält, wieder in den nächsten Bundestag zu kommen«. Großzügig verlängerten sie die politische Überlebensgarantie noch »über das Jahr 1977 hinaus«.

Dem bislang weithin unbekannten Freidemokraten gelang so der Beweis, um den sich Bundeskanzler Willy Brandt sowie andere SPD- und FDP-Prominente bisher vergeblich bemüht hatten -- daß die rechte Opposition dabei sei, mit allen Mitteln die Bonner Regierungskoalition auszukaufen.

Letzten Freitag ging die Mine hoch, die Geldner mit Wissen der SPD- und FDP-Spitzen gelegt hatte. Arglos hatte sich Stücklen die Nachricht von dem angeblichen neuen FDP-Überläufer als späten Höhepunkt einer Nürnberger Wahlpressekonferenz aufgespart. Sein Pressesprecher Norbert Schäfer: »Das ist die Sahne im Kaffee.«

Zur gleichen Zeit enthüllte FDP-Fraktionschef Wolfgang Mischnick, der nur auf die Nachricht von Stücklens Rohrkrepierer in Nürnberg gelauert hatte, das 400 000-Mark-Spiel der Opposition. Er ließ Geldner bekennen: »Ich bin und bleibe Mitglied der FDP und ihrer Bundestagsfraktion.«

Der politische Skandal hatte nach Geldners Erinnerung bereits im Juni dieses Jahres begonnen. Schon damals, so Geldner, seien Werber an ihn herangetreten: »Ich hatte keine Ruhe mehr, bis auf vier Wochen -- in meinem Urlaub.« Damals auch hatte ihm Beyer einen ersten 400 000-Mark-Beratervertrag angeboten, den Geldner zum Schein unterschrieben haben will, auf den Beyer aber auch kein Geld zahlte.

Geldner hatte Mischnich schon im Juni von dem Ansinnen der NLA-Leute unterrichtet und ihm versprochen, »ein Exempel zu statuieren«.

Zwei Tage vor der hessischen Landtagswahl hielt der Franke den Termin für günstig, seinen Coup zu landen. Vor Strauß und der gemischten CSU/NLA-Runde spielte der Freidemokrat seine Rolle perfekt. Er schützte Gewissensnot vor und machte geltend, daß er die »Eigentums- und Mittelstands-, aber auch die Ostpolitik« der sozialliberalen Koalition nicht länger mitverantworten könne.

Unklar blieb an jenem Tage noch, ob die CSU-Herren bereit waren, dem künftigen Bundesgenossen -- wie Geldner es unter vier Augen von Stücklen forderte -- das politische Überleben schriftlich zu garantieren.

Der für die Christenunion politisch attraktive Termin zwei Tage vor der Wahl in Hessen verstrich ungenutzt.

Endlich, am Donnerstag letzter Woche, um elf Uhr, sollte der Handel zwischen Geldner und der CSU perfekt gemacht werden. Vorher freilich hatte der Freidemokrat bei dem Bonner Notar Franz J. Dumoulin einen Text hinterlegt, den er mit seinem Fraktionschef Mischnick abgesprochen hatte.

Geldner gab darin zu Protokoll, daß seine politischen Erklärungen zugunsten von CSU und NLA nicht ernst gemeint seien, sondern lediglich dem Versuch dienten, die politischen Praktiken der Opposition zu entlarven.

Am Donnerstagmorgen in der Lobby des Bundestags lockte Geldner den CSU-Mann Stücklen mit der Offerte, er wolle unter Umgehung der NLA nunmehr direkt der CSU beitreten.

Zwischen 17 und 18 Uhr wickelten Stücklen und Geldner im Dienstzimmer des CSU-Landesgruppenchefs dann ein Zug-um-Zug-Geschäft ab:

* Geldner leistete Unterschrift unter drei von der CSU vorbereitete Papiere -- an die FDP-Fraktion über seinen Austritt, an den Bundestagspräsidenten über den geplanten Fraktionswechsel und an die Öffentlichkeit über die Motive seines angeblichen Gesinnungswandels.

* Geldner empfing dafür die von ihm verlangte und inzwischen von Strauß und Stücklen unterschriebene Garantie-Urkunde für sein Verbleiben in der CDU/CSU-Fraktion des Bundestags bis ans Ende der siebziger Jahre.

Akribisch hielt Stücklen Geldners Versprechen, direkt zur CSU zu stoßen, in dem Papier fest. Mit blauem Filzstift strich er in dem vorbereiteten Text die Wörter »als Hospitant«, die Geldner die Möglichkeit gegeben hätten, in der CSU-Landesgruppe wie Zoglmann nur als Gast aufzutreten.

Eigenhändig auch datierte der CSU-Landesgruppenchef den Kontrakt auf den 6. November zurück -- jenen Tag, an dem die Herren sich bei Strauß getroffen hatten, jenen Tag auch, an dem Beyer für Geldner die 400 000-Mark-Verträge ausgefertigt hatte.

Die für Geldner bestimmten Durchschriften der Texte über seinen Wechsel von der FDP zur CSU steckte Stücklen in ein Kuvert, ließ es auf Geldners Wunsch siegeln und übergab es dem vermeintlich neuen Parteifreund. Der trug den Umschlag alsbald zu seinem FDP-Fraktionsgeschäftsführer Werner Mertes.

Zugleich schickte Geldner an den Bundestagspräsidenten Kai-Uwe von Hassel einen Brief, in dem er deutlich machte, daß sein Parteiwechsel fingiert und nur dazu bestimmt sei, die CSU bloßzustellen. Die Falle war zugeschnappt. Geldner triumphierte: »Dieser 13. November sollte der schwarze Freitag der Union werden.«

Die CSU-Wahlkämpfer waren empfindlich getroffen. Sie hatten gehofft, die FDP in Geldners Heimat Mittelfranken am 22. November mit der Abwerbung aus dem Rennen zu werfen -- gerade In dem Regierungsbezirk, wo die Liberalen ihre Hauptchance sehen, mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen zu gewinnen und so wieder in den Bayrischen Landtag einzuziehen.

Statt dessen versetzte der fränkische Hinterbänkler mit dem Nachweis, daß die Strauß-Partei und ihre außerparlamentarischen Freunde mit dem Versprechen finanzieller und politischer Pfründe an die Macht kommen wollen, der CSU einen moralischen Tiefschlag.

Ahnungslos, weil weit von Bonn entfernt, hatte sich die CSU-Führung beim Wahlkampf In Franken noch Stunden nach dem Bonner Eklat Ihrer Sache sicher gewähnt. Landesgruppen-Geschäftsführer Leo Wagner: »Ich kenne noch andere bei der FDP, die ähnliche Gewissensnot leiden wie Herr Geldner.« Parteichef Strauß kündigte bereits »eine Umstrukturierung der politischen Landschaft« an und prophezeite, »dieser Gärungsprozeß« werde sich fortsetzen. Erst als die politischen Stallwachen der CSU ihre Oberen telephonisch erreicht hatten, schlug der Triumph in ohnmächtige Wut um. CSU-Generalsekretär Max Streibl bezichtigte in München die Freidemokraten des »politischen Gangstertums«, Franz Josef Strauß nannte sie in Bad Tölz »Gauner und Ganoven«.

Dann kehrte Strauß den alten Strauß hervor und verdächtigte aufs Geratewohl: »Herr Mischnick soll es sich sehr sorgfältig überlegen, damit wir nicht einmal nachschauen, woher er kommt mit seinem Studium in Dresden.«

In Wahrheit hat Wolfgang Mischnick, der sich nie als Akademiker ausgegeben hat, ein halbes Semester in Dresden studiert: 1942 als verwundeter Unteroffizier der Reserve.

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