Gaus und die Nation
Rechtzeitig zum Beginn einer Klausur der deutschlandpolitischen Experten der Bundesregierung trafen am vorigen Mittwoch Tickermeldungen über den ersten amtsfremden Vorstoß des neuen Berliner Wissenschaftssenators Günter Gaus in Bonn ein. Der bisherige Bonner Missionschef in Ost-Berlin hatte in einem »Zeit«-Interview verlangt, darauf zu »verzichten, den Begriff der Nation weiter zu verwenden«. Dies gehöre »zu dem Lernprozeß, den wir bei uns beginnen müssen, wenn wir zu neuen konzeptionellen Ansätzen für unsere DDR-Politik kommen wollen«.
Die Empörung in der Klausur-Runde war einhellig. Die fünf Staatssekretäre, darunter Gunter Huonker vom Kanzleramt und Bonns künftiger Ost-Berlin-Statthalter Klaus Bölling, sahen in dieser Äußerung den ersten Racheakt des wider seinen Willen vom Kanzler entlassenen Gaus an seinem bisherigen Bonner Arbeitgeber. Huonker: »Die Nation ist eine zentrale Sache der S.15 deutsch-deutschen Politik -- und wird es bleiben.« Gaus habe im übrigen nicht mehr als Staatssekretär der Bundesregierung gesprochen. Auch in der SPD-Fraktion gab es Ärger bis hin zu Herbert Wehner, obwohl gerade er immer wieder gerügt hatte, die Bundesregierung versetze sich in der Deutschlandpolitik zu wenig in die Lage der DDR.
Wehners Vertraute, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Marie Schlei, lobte zwar die Gaussche Analyse als »äußerst hilfreich«. Sie distanzierte sich aber scharf von der Diskussion um die »Nation": »Diese Forderung schlägt alles kaputt.« Überdies befürchtete Marie Schlei, die vom neuen Berliner Bürgermeister Hans-Jochen Vogel als Kandidatin für den SPD-Landesvorsitz in Berlin umworben wird, Auswirkungen auf den bevorstehenden Wahlkampf in der Halbstadt: »Ein Hickhack um den Begriff ''Nation'' wäre in Berlin schädlich.«
Gaus selber muß am Dienstag Rede und Antwort stehen. Er nimmt an einer Sitzung von SPD-Spitzenpolitikern in Bonn teil. Dort soll über die künftige Deutschlandpolitik beraten werden, beispielsweise ob der Kanzler in diesem Jahr seinen Besuch in Ost-Berlin nachholen soll.
Inzwischen schob Gaus in der »Frankfurter Rundschau« eine Interpretationshilfe nach: Allein die Überschrift des »Zeit«-Gesprächs ("Die Elbe -- ein deutscher Strom, nicht Deutschlands Grenze") erhelle, »wes Geistes Kind der Interviewte Günther Gaus ist«. Immerhin habe er »sechseinhalb Jahre an dem Interview gearbeitet«.
S.14Beim Abschiedsbesuch von Gaus letzten Donnerstag in Ost-Berlin.*