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MILITÄRSEELSORGE Gebet unterm Atompilz

aus DER SPIEGEL 12/1958

Die evangelischen Militärpfarrer und ihr Militärbischof, D. Kunst, die seit rund einem Jahr um das Seelenheil der Bundeswehrsoldaten tätig bemüht sind, müssen sich darauf präparieren, demnächst in eine schier ausweglose Situation zu geraten: Sie werden unter Umständen vor der Wahl stehen, entweder Wehrkraftzersetzung zu betreiben, oder aber die Gebote ihrer Kirche zu mißachten, an die sie als Pfarrer gebunden sind. Militärbischof D. Kunst hat beteuert, daß »selbstredend ... jeder Militärpfarrer zu dem steht, was die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland bisher gesagt hat und in Zukunft sagen wird, dies gilt auch in der Frage der atomaren Waffen«.

Nach dem Willen der »Kirchlichen Bruderschaften« soll aber die Synode - die Mitte April in Berlin tagen will - als verbindliches Bekenntnis der evangelischen Kirche postulieren, daß ein Christ sich der Sünde schuldig macht, wenn er Atomwaffen plant, baut, lagert, mit ihnen hantiert oder sie gar anwendet.

Die Bruderschaften sind Vereinigungen von evangelischen Geistlichen und Laien. Sie knüpfen an die Tradition der Bekennenden Kirche an, die sich 1934 auf der Bekenntnissynode in Barmen mit der sogenannten »Barmer Theologischen Erklärung« von der staatsfrommen Kirchenleitung und den Deutschen Christen lossagte.

Eine Entscheidung von ähnlichem Gewicht, wie sie seinerzeit die Barmer Bekenntnissynode fällen mußte, verlangen die Bruderschaften nun der bevorstehenden Synode in Berlin ab: Ende vorletzter Woche erhielten alle Synodalen einen Brief, dessen Absender die »Kirchliche Bruderschaft im Rheinland« war, und der eine auf zweieinhalb engbeschriebenen Seiten formulierte »Anfrage an die Synode« enthielt.

Die Anfrage ist von sämtlichen Bruderschaften unterzeichnet*, was bedeutet, daß viele namhafte evangelische Theologen dahinterstehen, und daß sich in der Synode, der auch zahlreiche Synodale aus der »DDR« angehören, eine starke Gruppe, wenn nicht gar eine Mehrheit, für die Forderungen der Bruderschaften aussprechen wird.

Der Hauptangriff der Bruderschaften zielt auf das arg strapazierte Argument politisierender Oberkirchenräte vom Schlage des hannoverschen CDU-Bundestagsabgeordneten Cillien, es sei von jeher ein Kernpunkt der christlichen Verkündung, daß Gott der Obrigkeit das Schwert verliehen habe, dem Bösen mit Gewalt zu wehren, auf daß in der unerlösten Welt Recht und Frieden herrschen.

»Die bisherige Diskussion«, erklären die Bruderschaften, »setzte zwar theologisch legitim ein, bei der Aufgabe des Staates ... für Recht und Frieden zu sorgen ..., übersah aber, daß damit gerade nicht jede Gewaltanwendung und jedes Mitmachen in einem Krieg uneingeschränkt gerechtfertigt ist.

»Die neuen Waffen erlauben - schon durch ihre Beschaffenheit, nicht erst durch ihren Mißbrauch - keine Unterscheidung mehr zwischen Kämpfern und Nichtkämpfern. Sie treffen wahllos alle Menschen des gegnerischen Volkes. Vom Krieg als Mittel der Rechtswahrung kann hier nicht mehr die Rede sein.«

Eine Rechtfertigung des Krieges, so bohren die Bruderschaften weiter, sei im Zeitalter der Atombombe nicht mehr möglich, da die modernen Massenvernichtungsmittel keine Unterscheidung zwischen Gut und Böse zulassen und wahllos beides treffen. »Wer sich auf den atomaren Krieg einstellt, muß bereit sein, die Vernichtung auch des eigenen Volkes von vornherein in Kauf zu nehmen.«

Nach dieser Ablehnung jeglicher Atomwaffen fordern die Bruderschaften das Bekenntnis der evangelischen Kirche, daß ihr die von Gott übertragene Aufgabe »nicht nur jegliche Billigung und Mitwirkung an einem atomaren Krieg, sondern ebenso ein stillschweigendes Geschehenlassen« verbiete.

Die Bruderschaften fragen die Synode, ob sie bindend erklären kann, daß

- »schon die Vorbereitung eines (Atom-)

Krieges ... unter allen Umständen Sünde gegen Gott und den Nächsten (ist), an der sich keine Kirche, kein Christ schuldig machen darf«, und daß

- »ein gegenteiliger Standpunkt oder Neutralität dieser Frage gegenüber christlich nicht vertretbar« ist.

Nur wenn die Synode imstande sei, die Auffassung der Bruderschaften »durch Gründe der Schrift, des Bekenntnisses und der Vernunft zu widerlegen«, wollen sie sich höherer Erkenntnis unterwerfen. Sollten die Forderungen der Bruderschaften jedoch ohne plausible theologische Begründung von der Synode verworfen werden, so stehen die Bruderschaften vor der Frage, ob sie sich - wie 1934 die Bekennende Kirche - weitgehend von der »Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)« lösen wollen.

In diese mißliche Situation wäre die EKD vermutlich nicht geraten, hätte sie es nicht außerordentlich eilig gehabt, mit der Bundesregierung einen Vertrag über die Militärseelsorge abzuschließen und sich damit auch in Sachen Atomwaffen weitgehend festzulegen.

Zwar hatte der Rat - quasi die Regierung - der EKD noch im Jahre 1950 auf dem Essener Kirchentag verkündet, »einer Remilitarisierung Deutschlands können wir das Wort nicht reden, weder was den Westen noch was den Osten anlangt«, doch schon drei Monate später hatte er sich auf den bequemen Standpunkt zurückgezogen, daß »die Frage, ob eine wie immer geartete Aufrüstung unvermeidlich ist, im Glauben verschieden beantwortet werden kann«.

Immerhin versuchte die Synode noch im Jahre 1956, den Eifer zu dämpfen, mit dem sich der Rat unter dem Vorsitz von Bischof Dibelius dem Abschluß eines Militärseelsorgevertrags widmete. Sie wies den Rat der EKD an, »endgültige Maßnahmen zur Verordnung der Militärseelsorge nicht zu treffen, bevor nicht ein von der Synode zu beschließendes Gesetz die Rechtsgrundlage schafft«.

Indes, als die Synodalen erneut zusammenkamen, hatte der Ratsvorsitzende Dibelius mit dem Bundeskanzler Adenauer längst einen bindenden Vertrag unterzeichnet. Der Synode blieb nur die Wahl, ja oder nein zu sagen. Sie entschied sich schließlich mit Mehrheit resignierend für die Billigung.

Die Frage aber, wie sich ein Militärgeistlicher zwischen seinem Beamteneid und seinem Ordinationsgelübde durchlavieren soll, haben bis heute weder der Rat noch die Synode beantwortet. Die Bruderschaften wollen die Synode nun zwingen, zur Atomrüstung eindeutig Stellung zu nehmen. Sie sind der Ansicht, daß in dieser Sache für die Kirche der »status confessionis« gegeben sei, eine Situation also, in der die Kirche ein klares Bekenntnis ablegen muß.

Dabei haben die Bruderschaften die Gewißheit, daß hinter ihrer Anfrage die evangelische theologische Elite steht, wie etwa der Berliner Theologieprofessor D. Vogel, der gleich ihnen die These vertritt: »Gerade für jenes vielberufene Lutherische Verständnis der Anwendung von Gewalt durch die Obrigkeit gegenüber dem Einbruch des Bösen zum Schutze der Gemeinschaft ist zu sagen: Die Massenvernichtungsmittel sind nicht mehr denkbar als Dienst am Menschen, so wahr sie ihn en masse inklusive der Säuglinge ausradieren.«

Der Rat der Evangelischen Kirche versucht unterdes emsig, die Tagung der Synode hinauszuzögern; käme es dort nämlich zu einem Beschluß im Sinne der Bruderschaften, so würden zumindest die Militärgeistlichen der Bundeswehr in Gewissenskonflikte gestürzt: Als Staatsbürger, und insbesondere als Staatsbeamte, die ihr Gehalt vom Bundesverteidigungsministerium empfangen, dürfen sie einen Soldaten, der mit Atomwaffen umgehen muß, nicht von seiner Pflicht abhalten.

Zugleich aber sind sie der kirchlichen Lehr- und Disziplinargewalt unterworfen und müssen sich an die Gebote halten, die ihnen Ihre Kirche mit auf den Weg gibt, also auch an den etwa gefaßten Synodenbeschluß, daß ein Christ in keiner Form mit Atomwaffen zu tun haben darf.

Theoretisch könnte der Rat der Evangelischen Kirche allerdings eine Diskussion des Atomwaffen-Themas in der Synode mit Hilfe eines formalen Kunstgriffs verhindern: Nach der Geschäftsordnung der Synode können die Bruderschaften keine Anfrage an dieses Gremium richten; dieses Recht ist den Synodalen vorbehalten.

Doch dieser Ausweg ist dem Rat bereits verbaut: Der Bonner Theologie-Professor - und Synodale Gollwitzer hat bereits beantragt, den Militärseelsorgevertrag erneut zu diskutieren und eindeutig zu klären, was Seelsorge unter dem Atompilz bedeutet.

* Theologische Sozietät in Baden, Evangelischer

Arbeitskreis »Unterwegs« von Berlin-Brandenburg, Kirchlich-Theologische Arbeitsgemeinschaft Niedersachsen in Göttingen. Kirchliche Bruderschaft Hessen-Nassau, Kirchliche Bruderschaft in Nordwestdeutschland, Kirchlich-Theologische Arbeitsgemeinschaft der Pfalz, Kirchliche Bruderschaft in Westfalen, Kirchliche Bruderschaft in Württemberg.

Wehrfreudiger Bischof Dibelius

Verschiedene Glaubensantworten ...

Theologie-Professor Gollwitzer

... auf die Atomwaffen-Frage

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