POLIZEI-AKTION Gedämpftes Echo
Zwei Staatsanwälte und 49 Kripobeamte schwärmten aus, um die Ehre des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt zu retten. Vier Stunden lang besetzten und durchsuchten sie an sechs Orten zugleich Redaktion, Vertrieb und Druckerei der »Echo-Verlag-GmbH« in West-Berlin.
Das Urteil des West-Berliner »Tagesspiegel« über diese Polizeiaktion war zweisilbig: »Skandal«. Die »Süddeutsche Zeitung« befand in der letzten Woche: »Ein schlechter Dienst für Berlins Regierenden Bürgermeister und seine Partei.«
Mit zweifelhaften Methoden war die Justiz gegen ein Presseorgan vorgegangen, das durch Attacken auf Brandt von sich reden machte.
Seit Anfang August veröffentlichten die im »Echo-Verlag«, einem Zwölf-Mann-Betrieb, erscheinenden Zeitungen »7 Uhr Blatt am Sonntag Abend« (Auflage laut Verlagsangabe: 65 000) und »Wochen-Echo« (Auflage laut Verlagsangabe: 32 000) Fortsetzungsberichte über die Emigrationsjahre des Bürgermeisters. Themen waren etwa so aufregende und brandneue Dinge, ob Brandt im spanischen Bürgerkrieg auf seiten der Roten Brigaden und während der Besetzung Norwegens mit der Waffe in der Hand gegen Deutsche kämpfte.
Brandt hatte sich gegen solche Anwürfe längst zur Wehr gesetzt. Schon im Mai 1959 war dem Echo-Verlag durch Landgerichtsurteil verboten worden, bestimmte Behauptungen dieser Art aufzustellen. Als das »7 Uhr Blatt« in der neuen Kampagne dieses Jahres die alten Beschuldigungen trotz gerichtlichen Verbots wiederholte, belegte das Landgericht Berlin - auf Antrag Brandts - am 24. September 1964 den Echo-Verlag mit einer Prozeßstrafe von 5000 Mark.
Der Geschäftsführer des Verlags, Lothar Brenner, 38, publizierte jedoch weiterhin seine Beschuldigungen und gab Willy Brandt noch dreimal Gelegenheit, weitere Bestrafungsanträge zu stellen (über die noch nicht entschieden ist).
Aber als der Echo-Verlag ankündigte, er werde demnächst das in Fortsetzungen veröffentlichte Material in einer Broschüre auf den Markt bringen, stellte der Regierende Bürgermeister Strafantrag. Er befürchtete, die Broschüre könne bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr als Geheimwaffe eingesetzt werden.
Denn die Berliner SPD vermutete, daß im Echo-Verlag widerhalle, was von CSU-Seite hineinposaunt worden sei. Echo-Herausgeber Lothar Brenner über seinen politischen Standort: »Ich bin politisch unabhängig, tendiere aber zur CDU. Nicht zur Berliner CDU, die ist mir zu lasch. Mehr zur CSU.« Und Brenner, gibt zu, von »einer Bank aus dem bayrischen Raum« Überweisungen erhalten zu haben.
Dazu der »Tagesspiegel": »Brenner ist Anfang 1962 in den Echo-Verlag eingestiegen, weil er Zuwendungen von Interessenten versprechen konnte. Hilfe kam damals und später direkt von der CSU aus München.«
Tatsächlich deckt sich das von Brenner veröffentlichte Material zum Teil mit Behauptungen, die der Strauß -Freund Dr. Hans Kapfinger in seiner »Passauer Neuen Presse« und in seinem inzwischen eingegangenen Wochenblatt »Aktuell« einst veröffentlichte.
Seinen Strafantrag - wegen Beleidigung, Verleumdung und politischer übler Nachrede - stellte Willy Brandt am 22. Oktober. Der Antrag richtete sich gegen Brenner als Verlagsgeschäftsführer, Chefredakteur und namentlich zeichnenden Autor der fraglichen Beiträge sowie gegen Unbekannt - gegen alle namentlich noch festzustellenden Mittäter, Anstifter und Gehilfen«.
Brandt-Anwalt Dr. Ernst Reichardt unterrichtete den Generalstaatsanwalt beim Landgericht Berlin, Dr. Lothar Münne per Telephon. Reichardt heute: »Ich habe sicherstellen vollen, daß diesem Antrag angesichts der Person des Antragstellers die notwendige Beachtung gewidmet wird.«
Am 4. November - West-Berlins Justizsenator Wolfgang Kirsch (FDP) war gerade in Westdeutschland, um einen Vortrag über Staatsschutz und Pressefreiheit zu halten - begann die Polizeiaktion: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ ein Richter auf Probe, Assessor Heinrich Krohn vom Amtsgericht Tiergarten, zwei Beschlüsse:
- Die eine Order verfügte die Beschlagnahme derjenigen Zeitungsexemplare, an deren Inhalt Brandt Anstoß genommen hatte.
- Der andere Beschluß ordnete die
»Beschlagnahme von Aufzeichnungen Belegen, Korrespondenz und Geschäftsunterlagen« an, soweit diese über die »finanzielle oder inhaltliche Ermöglichung, Unterstützung oder Gestaltung der Artikelserie sowie der (geplanten) Broschüre ... durch unbekannte Mittäter oder Gehilfen Aufschluß geben«.
Der erste Beschluß war rechtlich einwandfrei: Schriften strafbaren Inhalts, die im Falle einer Verurteilung »unbrauchbar« zu machen sind, können beschlagnahmt werden. Mit der zweiten Anordnung dagegen begab sich Assessor Krohn auf ein juristisches Minenfeld.
Als deutliche Mahnung an übereifrige Richter hat das Bundesverfassungsgericht bereits wiederholt festgestellt: »Bei jeder strafprozessualen Maßnahme, die in den (durch das Grundgesetz) geschützten Bereich der Presse eingreift, bedarf es einer Abwägung zwischen den Erfordernissen einer freien Presse und denen der Strafverfolgung.«
Dennoch ließ der Assessor das gesamte Presseunternehmen überrollen, obwohl Anlaß nur der Verdacht von Beleidigung und übler Nachrede war. Um Brenner, dessen Autorenschaft unbestritten war, zu überführen, bedurfte es keiner Hausdurchsuchung. Seine Tat lag schwarz auf weiß gedruckt vor.
Ausdrücklich verbietet die Strafprozeßordnung in Paragraph 97 Absatz 5 die Beschlagnahme von Schriftstücken »zu dem Zweck, die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns einer Veröffentlichung ... strafbaren Inhalts zu ermitteln« - soweit sich das Material im Gewahrsam eines Zeitungsmannes befindet, der ein Zeugnisverweigerungsrecht hat.
Die Klippen dieser Vorschrift, die das Redaktionsgeheimnis gewährleisten soll, wurden von der Berliner Justiz »unterlaufen« ("Süddeutsche Zeitung"). Generalstaatsanwalt Dr. Münn zum SPIEGEL: »Das Beschlagnahmeverbot gilt nur für Zeitungsleute, die als Zeugen gehört werden sollen, nicht dagegen für beschuldigte Redakteure.« Im übrigen - so Münn - habe die Durchsuchung nicht »zu dem Zweck« gedient, Gewährsleute zu finden, sondern ausschließlich »Geldgeber, die an diesem Stil interessiert sind«.
Dazu der »Tagesspiegel": »Wie kann beispielsweise das finanzielle Ermöglichen« eines Zeitungsartikels eine Mittäterschaft begründen? Ist eine Lebensmittel-Filiale, die ... inseriert, vielleicht Mittäter, wenn ein Redakteur etwa einen Politiker beleidigt, weil ihr Inseratengeld das mit ermöglicht?«
Außerdem: Die stundenlange Durchsuchung des Echo-Verlags durch eine halbe Kompanie Polizisten verletzte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel (wonach der Staat nur so weit in die Rechte des Bürgers eingreifen darf, als es nach den Umständen des Einzelfalles erforderlich ist). Sie durchbrach das Redaktionsgeheimnis und machte das Zeugnisverweigerungsrecht der Zeitungsleute zunichte, die nicht beschuldigt waren.
Aus der Strafprozeßordnung folgt zwingend, daß kein Schriftstück beschlagnahmt werden darf, das sich im Besitz von nicht beschuldigten Redakteuren befindet. Die Polizei begnügte sich jedoch nicht damit, die Arbeits- und Privaträume des Beschuldigten Brenner zu durchsuchen, sie dehnte ihre Schnüffeleien auf den gesamten Pressebetrieb aus. Die Polizei nahm persönliche Korrespondenzen, Notizbücher und sogar Leserbriefe mit.
Für diese umfassende Durchsuchung hatte die vage Vermutung des Assessors Krohn ausgereicht, »unbekannte Mittäter oder Gehilfen« müßten am Werk gewesen sein, um die Artikelserie finanziell oder inhaltlich zu ermöglichen.
Aus Paragraphen der Strafprozeßordnung konstruierte der Richter auf Probe Nachschlüssel für Redaktionsräume - obwohl das Grundgesetz die Freiheit der Presse verbürgt.
Journalist Brenner, telephonisch vorgewarnt, war bei der Durchsuchung nicht anwesend. Er tauchte bis zum Abschluß der Polizeiaktion unter - und mit ihm das wichtigste Material.
Berliner Kriminalbeamte, beschlagnahmte Echo-Zeitungen: Justiz im Minenfeld