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POLIZEI Gefährliche Komplimente

Für den Umgang mit Ausländern sind deutsche Polizisten schlecht gerüstet. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Es war ein Routineeinsatz. Die Polizeibeamten Frank Giesler, 24, und Dieter Rudolf, 22, wurden am Abend des 27. Dezember ins Villinger Hochhausviertel »Rundling« gerufen, um Streit zwischen einem Postbeamten und dem Arbeitslosen Cevat Karacayli, 34, zu schlichten.

Der Türke weigerte sich, die Rate für einen neugekauften Staubsauger zu bezahlen,

die der Mann von der Post nach Dienstschluß in dessen Wohnung kassieren wollte.

Doch die beiden Ordnungshüter konnten die Situation nicht entschärfen - im Gegenteil. Statt den aufgebrachten türkischen Familienvater zu beruhigen, nahmen sie ihn in den Schwitzkasten. Dann forderten sie Verstärkung an.

Als die Kollegen nach einer knappen Viertelstunde eintrafen, war der Fall auf andere Art erledigt: Polizist Frank Giesler hatte den Vater von sechs Kindern unversehens erwürgt.

Der Tod des türkischen Arbeiters hat von neuem eine heikle Schwäche westdeutscher Polizeibeamter bloßgelegt - sie sind im Umgang mit Türken, Jugoslawen oder Italienern schlecht gerüstet, reagieren maßlos, neigen zu Aggressionen und Gewalt. Vorurteile, mangelndes Einfühlungsvermögen und Sprachbarrieren führen zu Konflikten zwischen Ausländern und Polizisten. Selbst bei gewöhnlichen Personen- oder Verkehrskontrollen kommt es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen.

In Mannheim lieferten sich drei Zivilfahnder im April letzten Jahres mit mehreren Türken eine erbitterte Straßenschlacht. Da die Beamten keine Uniform trugen, hielten die Ausländer sie für Rechtsradikale und zückten das Messer. Daraufhin eröffneten die Polizisten das Feuer. Nach der blutigen Auseinandersetzung rannten die Türken zur Polizei, um die Angreifer anzuzeigen. Obwohl die Mannheimer Staatsanwaltschaft zunächst vorschlug, das Verfahren »wegen Unaufklärbarkeit des Tatgeschehens« einzustellen, sind fünf Türken jetzt doch noch wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Die Ermittlungen gegen die Polizisten wurden eingestellt.

Mitte Januar sprach das Landgericht Hannover zwei türkische Antifaschisten frei, die im Mai 1983 mit Polizeibeamten aneinandergeraten waren. Hassan Öner und sein Sohn Orkan hatten mit Landsleuten vor der hannoverschen Stadthalle gegen einen Aufmarsch der rechtsgerichteten türkischen »Grauen Wölfe« demonstriert. Bei den Auseinandersetzungen, so behaupteten die Polizisten später, hätten Vater und Sohn mit einer Eisenstange und einem Schraubenschlüssel auf Beamte eingeschlagen. Die Beweismittel gegen die Türken, so stellte das Gericht fest, waren von den Polizisten nachträglich manipuliert worden.

In Frankfurt erschossen zwei Polizisten einen italienischen Zimmermann. Der Vorarbeiter auf einer Baustelle hatte die Streife irrtümlich für Einbrecher gehalten und die vermeintlichen Eindringlinge mit einer Axt bedroht.

Gerade Türken, warnen Ausländerexperten, neigen aufgrund ihrer Erziehung und bedrückender Erfahrungen sowohl in der Heimat als auch im Gastland zu Überreaktionen. So vermutet der Villinger Sozialarbeiter Ünay Sakaoglu, daß sein Landsmann Karacayli auch deshalb in Rage geriet, weil der Postbeamte bei ihm zu Hause im Freizeitdreß abkassieren wollte. »Uniformen«, bestätigt Helmut Gerbert, Polizeiinspekteur im Stuttgarter Innenministerium, »haben in südlichen Ländern einen viel größeren Stellenwert als bei uns.«

Der Besuch des Postbeamten nach Dienstschluß war für türkische Verhältnisse »sehr ungewöhnlich«, kommentierte eine Zeitung in Ankara den Villinger Todesfall. »Es gibt Quellen von Mißverständnissen«, vermutet auch Albert Sabel, Experte für die Polizisten-Aus- und -Fortbildung in Nordrhein-Westfalen, »von denen beide Seiten nichts wissen.«

Oftmals wurden Ausländer, bevor sie in die Bundesrepublik kamen, von Vertretern der Staatsmacht in ihrer Heimat schikaniert oder gar mißhandelt. Diese Erfahrungen bestimmen ihr Verhalten, wenn sie auf bundesdeutsche Repräsentanten der Obrigkeit treffen.

Andererseits sind vor allem Türken es gewohnt, daß bei Beamten vieles mit Geld zu regeln ist. Ertappte Alkoholsünder sehen oft nicht ein, daß sie ihren Führerschein abgeben müssen, obwohl sie dem Beamten Bakschisch angeboten haben. Häufig streiten Ausländer, so die Erfahrung des Polizei-Ausbilders Sabel, ihr Vergehen ab, auch wenn sie in flagranti ertappt wurden. Der Grund für das scheinbar widersinnige Verhalten: In manchen Ländern lernen schon kleine Jungen, daß sie Fehler auf keinen Fall zugeben dürfen.

Betritt ein Polizist die Wohnung eines Türken, muß er, um Konflikte zu vermeiden, besonders einfühlsam vorgehen. »Begrüßt der Beamte zuerst die Frau«, warnt Hans-Joachim Jankus, Ausländerexperte bei der Berliner Polizei, »macht er einen entscheidenden Fehler.« Belebt er das Gespräch gar mit einem Kompliment an die Dame des Hauses, beleidigt er den Ehemann, anstatt ihm zu schmeicheln.

Gerade Polizisten des mittleren Dienstes, junge Schutzpolizisten, die täglich

mit Ausländern zu tun haben, erfahren während ihrer zweieinhalbjährigen Ausbildung fast nichts über den Umgang mit der schwierigen Klientel. Die Innenminister der Länder haben das Thema »Ausländer« bislang nicht in die Ausbildungsrichtlinien für Polizisten aufgenommen. »Unsere Beamten«, nimmt Paul Grimm, Bundesgeschäftsführer der Polizeigewerkschaft im Deutschen Beamtenbund, seine Kollegen in Schutz, »haben schon genug um die Ohren, da ist für zusätzliche Lehrinhalte kein Platz.« Außerdem, so der Gewerkschaftsfunktionär, dürfe keine Bevölkerungsgruppe im Stundenplan der Polizeischüler bevorzugt werden.

Nur vereinzelt werden Polizisten in Fortbildungsseminaren auf Konfrontationen mit Ausländern vorbereitet. In Baden-Württemberg können Beamte, auf freiwilliger Basis, in Drei-Tages-Kursen etwas über türkische Kultur und Geschichte erfahren oder auch ein paar Sätze auf türkisch einüben. Polizisten in Nordrhein-Westfalen lernen anhand von Rollenspielen oder durch ein spezielles Anti-Streß-Training (SPIEGEL 47/1983), wie sie aufgeregte Ausländer besänftigen und selber die Ruhe bewahren können.

Doch der Schnellunterricht für Ordnungshüter hat einen entscheidenden Mangel. Die örtlichen Dienststellenleiter schicken zumeist nur jene Kollegen auf Bildungsurlaub, die in Revieren mit hohem Ausländeranteil ihren Dienst absolvieren. Polizisten fernab der großen Städte fehlt dagegen meist die Routine im Umgang etwa mit Türken, Jugoslawen oder Asylbewerbern aus asiatischen Ländern. Der größte Nachteil bei der Verständigung zwischen Ausländern und Polizisten, die mangelhaften Sprachkenntnisse, läßt sich mit Schnellkursen ohnehin nicht beseitigen. »Wir sind schon froh«, gesteht Polizeigewerkschafter Grimm, »daß wir Beamte haben, die Englisch sprechen.«

Auch Hamburgs Polizeisprecher Peter Kelling hält nicht viel von völkerkundlichen Kurzlehrgängen: »Um die türkische Mentalität zu verstehen, braucht man Jahre, aber dafür fehlt die Zeit.«

Die Hamburger Sicherheitsbehörden praktizieren ein anderes Modell. In der Hansestadt sind inzwischen vier türkische Schutzpolizisten im Einsatz. Weil nach dem Beamtenrecht grundsätzlich nur ein Deutscher Beamter werden kann, dienen die Türken als Angestellte. Sie greifen in Problemgebieten wie St. Pauli, Altona, Wilhelmsburg und Billstedt immer dann ein, wenn deutsche Kollegen mit ihren Landsleuten nicht mehr klarkommen.

Für Flächenstaaten wie Hessen oder Baden-Württemberg eignet sich das Hamburger Modell nicht. »Ich kann doch nicht zehn Türken einstellen«, winkt Stuttgarts Polizeiinspekteur Gerbert ab, »und die ständig zwischen dem Schwarzwald und der Schwäbischen Alb parat haben.«

In Berlin, so scheint es, ist die Polizei bei Streitigkeiten mit Ausländern besser gerüstet. Schon seit 1972 beschäftigen sich dort 28 Beamte einer Ausländer-Arbeitsgruppe mit Bräuchen und Mentalität der Mitbewohner aus Anatolien oder Istanbul. Fast alle sprechen fließend Türkisch und nebenher noch eine weitere Fremdsprache.

Gescheitert ist dagegen der großangekündigte Versuch, Türken der zweiten Generation als Beamte in den Polizeidienst zu übernehmen. Diesen beruflichen Aufstieg hat nur die frühere Jurastudentin Tülin Ünal, 27, geschafft - allerdings auch nur deshalb, weil die Türkin aus Istanbul 1983 eingebürgert worden war. Sie arbeitet seit Mitte Oktober 1984 als Kriminalkommissarin beim Referat für Verbrechensbekämpfung.

Die meisten ihrer Landsleute haben kein Glück bei der deutschen Polizei. Sie scheitern schon bei der Aufnahmeprüfung, weil ihr Deutsch mangelhaft ist.

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