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SOWJET-UNION / SCHAFFHAUSER Gefährliche Saat

aus DER SPIEGEL 18/1967

Der Slawistik-Student Volker Schaffhauser, 26, hatte seinen Kopf in Heidelberg verloren. Sein Monatswechsel gestattete ihm nicht, das Land seiner Studien, die Sowjet-Union, mit eigenen Augen kennenzulernen.

Sein Kommilitone, der Exilrusse Michail Arndt, erfuhr von dieser Not und verkuppelte Schaffhauser an den weißrussischen Emigranten-Verlag »Possev« ("Die Saat") in Frankfurt (so hieß es später vor Gericht). Ende Dezember buchte Schaffhauser eine Intouristreise nach Moskau und Leningrad.

Den Preis von 970 Mark bezahlte der »Possev«-Kaukasier Chasajew, der sich dem Studenten als Lozew -- einer seiner vielen Decknamen -- vorgestellt hatte. Lozew arbeitet, so behaupten die Russen, als Agenten-Werber für die Emigrantenorganisation NTS ("Volksbund der Schaffenden").

Der Studiker im sechsten Semester, als Reserveleutnant der Bundeswehr Teilnehmer des Nato-Manövers »Falllex 66«, erhielt das Reisegeld unter der Bedingung, ein Reise-Necessaire, einen Kugelschreiber im Etui, eine Schachtel Zigaretten der Marke »Dunhill« und einige Exemplare der Emigranten-Zeitschrift »Grani in die Sowjet-Union mitzunehmen. Er sollte das Schmuggelgut an drei bestimmte Sowjetmenschen weitergeben. Alle Gegenstände hatten Geheimverstecke, die Mikrofilme, Briefe und Propagandamaterial enthielten.

Aus Unkenntnis schickte Lozew den Studenten in Leningrad direkt in die Hände des sowjetischen Staatssicherheitsdienstes. Sowjetbürger Oleg Kostjakow, dem er das Necessaire mit Mikrofilmen und einem Brief übergeben sollte, erwies sich als Laienhelfer des Staatssicherheitsdienstes KGB.

Kostjakow schlug Schaffhauser beim telephonisch verabredeten Treff vor, aus Sicherheitsgründen zu seinem Bruder Igor zu gehen, der eine eigene Wohnung habe. Dort nahm Schaffhauser im Sessel Platz, Igor saß auf dem Sofa, sein Bruder Oleg auf dem Fensterbrett. Schaffhauser war sich übel« die Gefahr seines Auftrags nicht im klaren und begriff auch nicht, daß Olegs Fenster-Sitz ein Zeichen war.

Kaum hatte Oleg auf Anleitung von Schaffhauser mit einer Rasierklinge die Mikrofilme und den Brief aus dem Futter des Necessaires geschnitten, als es an der Wohnungstür klingelte. Beamte des KGB baten Schaffhauser zur Leibesvisitation und verhafteten ihn.

Unter der goldenen Deckenstukkatur im Saal des früheren Petersburger Polizei-Präsidiums am Newa-Ufer -- dort, wo der später umgebrachte zaristische Ministerpräsident Stolypin seine Gäste zum Ball lud -- stand der lang aufgeschossene Schaffhauser im anthrazitfarbenen Einreiher mit blauroter Krawatte vor dem Leningrader Stadtgericht. An dem dreitägigen Prozeß nahm von der Auslandspresse nur SPIEGEL-Korrespondent Igor Witsinos teil.

Schaffhauser ist der dritte bundesdeutsche Slawistik-Student, der von ausländischen Agenturen auf deutschem Boden falsch informiert und mangelhaft instruiert in die Sowjet-Union geschickt wurde und dafür mit mehrjähriger Freiheitsstrafe bezahlen mußte. (Die Slawistik-Studenten Naumann und Sonntag reisten mit amerikanischen Spionage-Aufträgen in die Sowjet-Union, wurden zu zwölf Jahren Strafarbeit verurteilt und sitzen seit 1961 in sowjetischer Haft.)

Schaffhauser hatte in Leningrad noch Material bei sich, das ei in Moskau nicht loswerden konnte, weil der Mathematiker Jessenin-Wolpin, Sohn des berühmten russischen Lyrikers, nicht zu Hause war.

Bereitwillig gab er den Namen Wladimir Gorjuschkin preis (dem er in Moskau ein Exemplar der Emigranten-Zeitschrift »Grani« übergeben hatte), obwohl niemand nach diesem Treffen fragte oder davon wußte. Er nannte ebenso unaufgefordert den Namen der sowjetischen Sprachlehrerin Schkolnikowa, die er vor Jahren in Jugoslawien flüchtig kennengelernt hatte, und eine Reihe anderer Namen.

Angesichts dieses Wahrheits-Amoks wies der sowjetische Ankläger Alexander Karaskow -- mit Igelhaarschnitt und Blazer -- selbst auf mildernde Umstände hin, was einmalig in der Geschichte derartiger Prozesse ist, und vermied in seinem Strafantrag die Höchststrafe von sieben Jahren.

Neu war auch, daß Deutschlands Moskau-Konsul Walter Neuer den Angeklagten einmal während der Voruntersuchung, zweimal während des Prozesses und nach der Verhandlung 40 Minuten sprechen durfte.

Auf Wunsch der Eltern Schaffhausers hatte die Konsularabteilung der Deutschen Botschaft Leningrads Star-Strafverteidiger Semion Heifez mit der Verteidigung beauftragt. Heifez, korpulent, klein und clever, wies nach, daß Schaffhauser an der Anti-Sowjet-Propaganda selbst kein Interesse hatte, sondern nur an der Reise. Er argumentierte, Paragraph 70, Absatz eins des RSFSR-Strafgesetzbuches, auf den sich die Anklage stützte, verlange Propaganda-Vorsatz.

Für die gute Anwaltsleistung kassierte Heifez 350 Rubel rund 600 Mark mehr, als NTS-Lozew für die Reise bezahlt hatte. Das Gericht -- Vorsitz: Frau Nina Isakowa -- blieb mit vier Jahren Strafarbeit noch unter dem Antrag von Staatsanwalt Karaskow.

Ergehen nahm der Studiker aus Heidelberg das Urteil an. Er wünschte sich nur mehr Zigaretten und Obst; die Verpflegung sei gut.

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