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FDP Gefährliche Sache

Im FDP-Bundesvorstand hagelte es Kritik an Bangemanns Anpassungskurs. Wortführer war Außenminister Hans-Dietrich Genscher. *
aus DER SPIEGEL 13/1988

Für den Parteivorsitzenden war die schmähliche Niederlage in Baden-Württemberg, dem Stammland der Liberalen, kein Grund zum selbstkritischen Nachdenken.

In zwölf Landtagswahlen, meinte Martin Bangemann letzten Montag im Bundesvorstand, habe er schließlich der FDP zu stolzen Ergebnissen verholfen. Da habe sich sein Bonner Rezept immer wieder bewährt: Eine Koalition müsse harmonisch zusammenwirken und jeden Streit vermeiden.

Die kümmerlichen 5,9 Prozent in Baden-Württemberg sind für den Parteichef nur ein Ausreißer in einer makellosen Erfolgsstory. Sein Generalsekretär Helmut Haussmann sagte denn auch genauer, wo er die Ursachen des Debakels sieht. Wenn die Partei im Ländle in vier Jahren keine eigenständigen Konturen entwickle, »können auch die Bonner als Leistungsträger nicht mehr helfen«.

Jeder wußte, wen Bangemann und sein Haussmann für den Minusrekord ihres eigenen Landesverbandes verantwortlich machen wollten: den umstrittenen, in einer Blitztour zum Regional-Vorsitzenden aufgestiegenen Studienrat Walter Döring.

Doch diese Erklärung mochten die meisten Vorständler, allen voran Hans-Dietrich Genscher, so nicht durchgehen lassen. Mit ein paar spitzen Bemerkungen rückte der einstige FDP-Chef die Fakten zurecht: Der Gescholtene sei doch »nicht durch Staatsstreich Landesvorsitzender geworden«; außerdem habe die Partei den eigenen Spitzenmann gar nicht vorgezeigt. »Dort aber, wo er geklebt wurde«, nämlich in seinem eigenen Wahlkreis, »hat er 2,7 Prozent hinzugewonnen.« Genschers Lehre ("Ich weiß, wovon ich rede"): Man könne einen Vorsitzenden »nur stützen oder stürzen«.

Den Döring-Gegnern war offenbar auch entfallen, daß dessen Konzept für den Wahlkampf keineswegs eigener Eingebung entstammte. Vielmehr hatten ihm die Bonner Strategen den Rat gegeben, mit einem Schmusekurs a la Bangemann dem CDU-Landesvater Lothar Späth Stimmen abzujagen.

Schon frühzeitig verlangte Döring daher, das Reizthema Vermummungsverbot aus der Welt zu schaffen. Das allein garantiere der FDP einen Zuwachs von drei Prozentpunkten.

Das Zusammenspiel Bonn-Stuttgart klappte schließlich. Ein eigens einberufener Parteitag in Mannheim übte auf Druck von oben Solidarität und beschloß mit äußerst knapper Mehrheit, Vermummte sollten künftig nach CSU-Art als Kriminelle behandelt werden. Reizfiguren wie Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, als Freunde der Chaoten verdächtigt, wurden im Wahlkampf lieber nicht so oft vorgezeigt.

Nun ist die Schadenfreude groß. »Das Mannheimer Opportunismus-Opfer war umsonst«, urteilte der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Lüder. Und Hirsch freute sich, jetzt könne wenigstens niemand sagen, es habe an der Innen- und Rechtspolitik gelegen. Genschers bissiger Kommentar: »Eigentlich haben wir nur 2,9 Prozent, weil drei Prozent erst durch das Vermummungsverbot gewonnen wurden.«

In der FDP ist damit nach der Stuttgarter Niederlage erneut eine Diskussion über Bangemanns Führungsqualität ausgebrochen. Der Vorsitzende habe, so seine Kritiker, zu oft seinem Bedürfnis nach Harmonie nachgegeben und sich auf zweifelhafte Kompromisse mit der Union eingelassen - vornehmlich auf Kosten des Außenministers und der Rechtspolitiker.

Der Ex-Vorsitzende Genscher klagt seit langem, der Nachfolger halte sich bei allen Konflikten mit der Union - SDI,

Null-Lösung, neue Nachrüstung, Südafrika - uninteressiert abseits oder schlage sich gar auf die andere Seite. Die Linken Baum und Hirsch ließ Bangemann im Stich, wenn es um Asylpläne und Sicherheitsgesetze aus dem Hause des CSU-Innenministers Friedrich Zimmermann ging.

Härte zeigt der Vorsitzende nach Meinung seiner Kritiker nur, wenn es gilt, die Wünsche der Wirtschaftsklientel durchzudrücken. Die FDP, klagt Baum, sei inzwischen eine Wirtschaftspartei »rechts von der Union«. Im Stuttgarter Wahlkampf wurden fast alle anderen Themen gemieden, außer Gewerbesteuer, Ladenschluß und Wasserpfennig.

Späth hatte über die Haltung schon im Wahlkampf gehöhnt: »Bei der FDP gibt es wohl bald gar keine Knackpunkte mehr.« Wenn die FDP sich nur als »eine CDU de Luxe für die gehobenen Stände anbietet«, deutete Hirsch das Ergebnis, »wählen die gleich CDU«.

Als Ersatz für klare liberale Forderungen hörten die Bürger aus dem Munde der FDP-Oberen meist nur kesse Sprüche. Haussmann wollte Späth »an die Bonner Leine legen« und suchte Wähler mit dem Gespenst der Großen Koalition zu schrecken: Die CDU lege »den Sprengsatz an das Bonner Bündnis«.

Das Publikum aber bekam nur eines mit: Die FDP wollte unbedingt in die Regierung und die Alleinherrschaft Späths beenden; warum das so sein sollte, wußte keiner zu erklären. »Zum Glück gibt's die Liberalen!« blieb ein leerer Slogan, der die Gefühlslage der Späth-Untertanen keineswegs traf. Genscher: »Der Mann hat schließlich gut regiert.«

Selbst den Erfindern der Anpassungsstrategie dämmert nachträglich die Erkenntnis, daß ein Wettbewerb mit Späth um die bessere Wirtschaftspolitik von vornherein aussichtslos sein mußte. Haussmann: »Wir hatten es mit dem stärksten Mann der Union zu tun.« Aber Vorwürfe richtet der FDP-General gleichwohl an Späth: Er habe seinen Wahlkampf ausschließlich gegen die FDP geführt. Das Ergebnis: Das bürgerliche Lager von CDU und FDP sei von bislang etwa 60 Prozent auf 55 Prozent geschrumpft. »Der Platz wurde für rechte Gruppen freigegeben«, so Haussmann, »auf Dauer eine gefährliche Sache.«

Genscher wischte die Rechtfertigungsversuche beiseite und hat, so Juli-Chef Guido Westerwelle, den »Schmusekurs deutlich abgekanzelt«. Nur wenn die FDP ohne Konfliktscheu klares Profil zeige, so Genschers These, lege sie auch zu. Die FDP habe seit 1985 die »größten Zuwächse« durch harte Konfrontation mit der Union erzielt: Die Diskussion um die Ergänzungsabgabe für Besserverdienende ("Neidsteuer") und die Ostpolitik beherrschte die Wahlkämpfe in Berlin, im Saarland und auch noch in Nordrhein-Westfalen; in Rheinland-Pfalz und bei der Bundestagswahl focht die FDP für den Abbau der Raketen.

Dem amtierenden Vorsitzenden stimmte der Vorgänger nur in einem Punkt zu: Die FDP dürfe »nicht Troublemaker« sein. »Was sie zusagt, muß sie auch einhalten.« An die Adresse Bangemanns ergänzte er: »Die Frage ist, was sie zusagt.«

Der Beifall im FDP-Bundesvorstand zeigte, daß Genscher wieder einmal den Nerv seiner Partei getroffen hatte. Der rheinland-pfälzische FDP-Chef Rainer Brüderle pflichtete dem Außenminister ausdrücklich bei, Carola von Braun-Stützer befand, nach Baden-Württemberg sei der Kurs der Anpassung an die Christenunion »erledigt«.

In einem Punkt waren sich die Liberalen schließlich sogar einig. Sie fühlten sich vom Wähler ungerecht behandelt. Wer sich - wie Späth - lautstark von Bonn absetze, dürfe nicht belohnt werden, wer - wie die FDP - brav die Politik der Bonner Koalition verteidige, nicht wieder bestraft werden.

»Wenn das Schule macht«, fürchtet Generalsekretär Haussmann, »kriegen wir künftig einen Wettbewerb, wer sich am weitesten von Bonn distanziert.«

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