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Zeitgeschichte Gefährlicher Ballast

Stalin lieferte Hunderte von deutschen Kommunisten an die Gestapo aus, dokumentiert die Studie eines österreichischen Historikers.
aus DER SPIEGEL 6/1991

Zwei Frauen und 28 Männer bestiegen am 4. Februar 1940 in Moskau einen Zug mit unbekanntem Ziel. Es waren deutsche Antifaschisten und Kommunisten, die vor Hitler in die Sowjetunion geflohen waren. In den fensterlosen Abteilen machten sie sich Mut: »Wir Kameraden der Berge«, sangen sie, »sind gegen alles gefeit.«

Drei Tage später, als der Zug in der Nähe einer Brücke hielt, schlug die Stimmung jäh um. »Fertigmachen mit Sachen«, trieb ein sowjetischer Wachsoldat die Gruppe an.

Mit dabei war Margarete Buber-Neumann, Witwe des 1937 während der stalinistischen Säuberungen erschossenen KPD-Spitzenfunktionärs Heinz Neumann. Ein Bahnhofsschild verriet ihr, wo sie und die Leidensgefährten gelandet waren - in Brest-Litowsk, da, wo Stalins Machtbereich damals endete und Hitlers begann.

»Über die Brücke kam ein Soldat langsam auf uns zu«, erinnerte sich Margarete Buber-Neumann später - in ihrem Buch »Als Gefangene bei Stalin und Hitler": »Als er sich näherte, erkannte ich die Soldatenmütze der SS. Der NKWD-Offizier und der von der SS hoben grüßend die Hand an die Mütze.« Entsetzt hörten die Gefangenen, wie der sowjetische Geheimpolizist die Namensliste verlas, dann übergab er die Männer und Frauen den SS-Posten. Einige, die sich weigerten, wurden mit Gewalt über die Brücke gejagt.

Was in Brest-Litowsk geschah, war kein Einzelfall. Insgesamt über 400 Flüchtlinge, die meisten deutsche Antifaschisten, lieferten die Sowjets zwischen 1937 und 1941 an das nationalsozialistische Deutschland aus - und schickten damit viele in den sicheren Tod.

Der österreichische Historiker Hans Schafranek hat die rot-braune Kumpanei jetzt in vollem Umfang aufgedeckt und dokumentiert**. Als erster wertete er die einschlägigen Akten aus, die seit Jahren im Politischen Archiv des Bonner Auswärtigen Amtes unbeachtet vergilbten. Die Dokumente offenbarten, so Schafranek, »daß der stalinistische Apparat nicht die geringsten Skrupel hatte, auch politisch besonders gefährdete Häftlinge den Nazis in den Rachen zu werfen«.

Hunderte linientreuer Kommunisten aus Deutschland kamen in Stalins Gefängnissen ums Leben. Seit Beginn der Schauprozesse in den dreißiger Jahren waren sie scharenweise verhaftet worden - wegen »faschistischer Verschwörung«, »Trotzkismus« und »Spionage«.

Wer die Gulags überlebte, dem drohte die Ausweisung nach Deutschland. Zwischen 1939 und 1941, der Zeit des Hitler-Stalin-Pakts, arbeiteten Moskau und Berlin Hand in Hand. 350 Häftlinge gerieten so in die Fänge der Gestapo, wurden Opfer eines engen Zusammenspiels des Auswärtigen Amtes in Berlin, der deutschen Botschaft in Moskau und des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten in Moskau. Tatsächlich, so vermutet Schafranek, dürften es weit mehr gewesen sein, denn viele seien einfach ohne Papiere abgeschoben worden.

Schon vor 1939 hatten die feindlichen Regime gemeinsame Sache gemacht. Von Februar 1937 an wiesen Stalins Schergen - auf Wunsch der Deutschen - nach und nach rund 620 Häftlinge aus, darunter 60 antifaschistische Emigranten. Einer von ihnen war der Hamburger KPD-Funktionär Wilhelm Pfeiffer.

Fassungslos und »von Schluchzen erschüttert« reagierte er, als ihm die Sowjetbeamten im Beisein des deutschen Botschaftsvertreters Herbert Hensel den Ausweisungsbeschluß mitteilten. Die Emigrantin Zenzl Mühsam wollte sich »unter die Räder des Zugs« werfen, ** Hans Schafranek: »Zwischen NKWD und _(Gestapo. Die Auslieferung deutscher und ) _(österreichischer Antifaschisten aus der ) _(Sowjetunion an Nazideutschland ) _(1937-1941«. ISP-Verlag, Frankfurt a. M.; ) _(220 Seiten; 24 Mark. * Panzergenerale ) _(Guderian und Kriwoschein (M.) nach der ) _(Übergabe der Stadt an die Sowjets. ) falls sie ausgeliefert würde: »Lebend bekommen sie mich nicht nach Nazideutschland.« Ihr Mann, der Anarchist und Schriftsteller Erich Mühsam, nach dem Ersten Weltkrieg einer der Münchner Räte-Revolutionäre, war 1934 im KZ Oranienburg umgebracht worden.

Dieses Schicksal erwartete auch viele unfreiwillige »Rußlandrückkehrer«, aber nur in einzelnen Fällen läßt sich ihr weiterer Leidensweg verfolgen. Alle wurden in Deutschland »staatspolizeilich erfaßt« und von der Gestapo verhört. Jeder war zunächst »politisch verdächtig«. Laufen ließ man nur, wer als von der »bolschewistischen Lehre restlos geheilt« galt. Manch einer entzog sich den Gestapo-Torturen durch Selbstmord. So der Lithograph Otto Walther, der aus einem Fenster des Rückwandererheims in Berlin-Tegel sprang.

Noch bei den Vernehmungen hatten die Nazis einen heißen Draht zur sowjetischen Geheimpolizei. Gertrud Meyer, die im September 1938 abgeschoben worden war, mußte erschreckt feststellen, daß die Gestapo über ihre kommunistische Vergangenheit genau informiert war. Da habe es wohl Hinweise gegeben, erkannte sie, »die vom NKWD gekommen waren«.

Die Sozialistin Susanne Leonhard, Mutter des Ostexperten Wolfgang Leonhard, der im Mai 1945 mit der Gruppe Ulbricht aus Moskau nach Berlin heimkehrte, machte sich schon 1937 in ihrer Zelle keine Illusionen mehr über das Schicksal der Flüchtlinge. »Wir deutschen Politemigranten sind in Stalins Augen alle ein gefährlicher Ballast; man will uns loswerden.« o

** Hans Schafranek: »Zwischen NKWD und Gestapo. Die Auslieferungdeutscher und österreichischer Antifaschisten aus der Sowjetunion anNazideutschland 1937-1941«. ISP-Verlag, Frankfurt a. M.; 220 Seiten;24 Mark. * Panzergenerale Guderian und Kriwoschein (M.) nach derÜbergabe der Stadt an die Sowjets.

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