Nordkorea Gefährlichster Staat
An Zeitungen, Funk und Fernsehen Südkoreas erging die regierungsamtliche Anweisung, nicht zu berichten, was Verteidigungsminister Lee Jong Koo bei einem Pressegespräch in Seoul ausgeplaudert hatte.
Zu spät - die Ministerworte waren bereits veröffentlicht. Flugs ließ die Regierung ein kurioses Dementi nachschieben: »Das Ministerium nimmt die Ausführungen des Ministers als nicht gesagt zurück.«
Das Unausgesprochene war auch schon in Pjöngjang, der Hauptstadt des verfeindeten Nachbar- und Bruderlandes Nordkorea, vernommen worden: »Praktisch eine Kriegserklärung«, schallte es zurück.
Der Grund für die Aufregung: Sollte es zutreffen, daß Nordkorea in absehbarer Zeit über Atomwaffen verfügt, dann, so hatte Minister Lee gesagt, könnte Südkorea sich gezwungen sehen, mit einem militärischen Präventivschlag dessen Atomanlagen in der Nähe von Pjöngjang zu zerstören. Eine Art »Operation Entebbe« schwebte Lee vor - ähnlich dem israelischen Kommandounternehmen gegen Flugzeugentführer 1976 in Uganda.
Der kommunistische Diktator Kim Il Sung, 79, mit 43 Herrschaftsjahren dienstältester Despot der Welt, hat zwar mehrfach versichert, seine Volksrepublik strebe nicht nach Atomwaffen. Aber glaubhaft ist das nicht.
Aggression und Terror sind seit jeher die Mittel, mit denen der »Große Führer« Kim seinen Traum verwirklichen will: die Vereinigung ganz Koreas unter seiner Führung. An Bereitschaft zu militärischen Abenteuern steht ihm sein ältester Sohn Kim Jong Il, 50, in nichts nach: Der »Geliebte Führer« ist designierter politischer Erbe des Vaters, tatsächlich aber wohl schon seit etwa fünf Jahren der starke Mann des nordkoreanischen Regimes.
Der Bombenanschlag auf eine südkoreanische Regierungsdelegation 1983 in der burmesischen Hauptstadt Rangun, bei dem 17 Menschen starben, und die Sprengung einer Korean-Air-Linienmaschine 1987 (115 Tote) sollen auf persönliche Anweisung von Kim junior erfolgt sein, wie südkoreanische Geheimdienste glauben.
»Es wäre tödliche Naivität«, meint ein Seouler Diplomat, »der Kim-Dynastie auch nur eine Minute lang friedfertige Absichten zuzugestehen.«
Rund eine Million Mann hat Nordkorea unter Waffen; mehr als 700 Kampfflugzeuge bilden eine der größten Luftwaffen der Welt; Hunderte von Scud-Raketen, im Lande gebaut und gegenüber dem sowjetischen Original technisch verbessert, sind zum Abschuß bereit. Die südkoreanische Regierung hat vor kurzem beschlossen, auf den geplanten Kauf von »Patriot«-Abwehrraketen zu verzichten, da sie gar nicht einsetzbar wären: Die Zehn-Millionen-Metropole Seoul liegt nur 35 Kilometer von der Grenze entfernt.
Nordkorea, befand vor wenigen Tagen die New York Times, ist »heute der gefährlichste Staat der Welt«. US-Verteidigungsminister Richard Cheney, der 44 000 Soldaten in Südkorea stationiert hat, fürchtet die Demarkationslinie zwischen den verfeindeten Staaten als den Ort, wo »US-Truppen ohne Vorwarnung überfallen« werden könnten. »Koreanische Atomwaffen«, sagt Richard Solomon, Unterstaatssekretär im US-Außenministerium, »sind die größte Bedrohung der Stabilität in Ostasien.«
Internationale Fachleute glauben, daß Kim Il Sungs Staat erheblich näher an der Schwelle zur Atommacht steht als Saddam Husseins Irak vor dem Golfkrieg. Als amerikanische Bomber Bagdads Nuklearpotential zerstörten, bedauerte ein hoher Regierungsbeamter in Seoul denn auch: »Schade, daß es der falsche Reaktor war.«
Nordkoreas Atomwaffenschmiede steht in Yongbyon, knapp 100 Kilometer nördlich von Pjöngjang. Nach nordkoreanischer Darstellung handelt es sich um einen Forschungsreaktor mit einer Leistung von 30 Megawatt, der schon seit über drei Jahren in Betrieb ist.
In der Nähe wird, wie amerikanische Satellitenfotos belegen, in Yongbyon an einem weiteren, viel größeren Reaktor gearbeitet. Und seit knapp drei Jahren befindet sich auf dem gleichen, von Flugabwehrbatterien umgebenen Gelände eine nukleare Wiederaufbereitungsanlage in Bau.
»Wenn die Anlage in Betrieb ist«, sagt Professor Toshibumi Sakata von der Tokai Universität in Tokio, der die Bilder ausgewertet hat, »können die Nordkoreaner Plutonium gewinnen und Atomwaffen herstellen.« Experten rechnen mit etwa 20 bis 50 Kilo Plutonium aus verwendeten Uranstäben im Jahr - genug für mehr als ein halbes Dutzend kleiner taktischer A-Sprengköpfe.
Nordkorea ist zwar 1985 auf Drängen seines damaligen großen Verbündeten Sowjetunion dem Atomsperrvertrag beigetreten. Aber bis heute weigert sich Pjöngjang beharrlich, die in dem Vertrag vorgeschriebenen Kontrollen durch die Internationale Atomenergie-Behörde in Wien zuzulassen.
Die UdSSR, lange Jahre Nordkoreas Lieferant von Nukleartechnologie und Brennelementen, hat Pjöngjang gewarnt, sie werde »alle Lieferungen und jede Kooperation einstellen«, sollte Kim nicht internationalen Kontrollen zustimmen. Und die japanische Regierung hat klargestellt, ohne Nuklearkontrollen werde es weder diplomatische Beziehungen noch Finanzhilfe für Pjöngjangs marode Wirtschaft geben. Doch Kim will nicht einlenken:
Erst wenn Nordkorea nicht mehr von den USA nuklear bedroht werde, könne es möglicherweise Inspektoren in seine Atomanlagen lassen, so die Entgegnung.
Von sowjetischen Fachleuten haben die Amerikaner erfahren, daß Moskau gegen den Bau der Bombe durch den unberechenbaren Diktator praktisch nichts tun könne.
»Die sowjetische Einschätzung war, daß Nordkorea innerhalb von sechs Monaten Atomwaffen haben könnte«, sagt ein hoher Pentagon-Beamter. »Wir halten das für zu kurzfristig - aber nur etwas.« o