ZYPERN / FORSTHOFF Gefahr für alle
Ich habe bei meinen historischen Studien mühelos feststellen können, daß sich in allen zivilisierten Ländern neben einem Despoten, der befiehlt, fast immer ein Rechtsgelehrter findet, der dessen willkürliche Willensakte In eine Ordnung und Übereinstimmung bringt.
Alexis de Tocqueville (1805 bis 1859)
Seit Wochen muß sich Zyperns geistliches Staatsoberhaupt, Seine Seligkeit Erzbischof Makarios, anhand eines schmalen, vergilbten Buches darüber informieren, wieweit deutsche Rechtsgelehrte in der Vergangenheit das braune Unrechtssystem des Dritten Reiches in Wort und Schrift gutgeheißen haben.
Aufschluß über diese Frage erhofft sich Makarios aus dem 1933 in Hamburgs Hanseatischer Verlagsanstalt erschienenen Buch »Der totale Staat«, dessen Verfasser versichert: »Die Freiheit ist heute politisch diskreditiert, denn man setzt sie weitgehend gleich mit der individuellen Freiheit, mit der Sicherung des Individuums gegen den Zugriff des Staates. Diese Freiheit ist überwunden.«
Lobt der Autor »die große Säuberungsaktion« nach der Machtergreifung Adolf Hitlers: »Sie diente zunächst dazu, in Vollziehung der Unterscheidung von Freund und Feind alle diejenigen auszumerzen, die als Artfremde und Feinde nicht länger geduldet werden konnten.« Das galt besonders für die Juden, die
als »Artverschiedene von ihrem Anderssein her den territorialen Lebensraum oder das Volkstum, den geistigen Lebensraum eines Volkes« antasten.
Verfasser solcher artfremder Formulierungen ist der 58jährige Heidelberger Ordinarius für Öffentliches Recht, Dr. Ernst Forsthoff, den das Oberhaupt der 525 000 Zyprer zum Präsidenten des Verfassungsgerichts der jungen Inselrepublik ernannt hat.
Seit diese Entscheidung Ende Juli dieses Jahres auf der Insel publik wurde, hat sich Erzbischof Makarios einer zunehmenden Attacke seiner innenpolitischen Opposition zu erwehren, deren Argumente der prominente zyprische Anwalt Saveriades in dem Satz zusammenfaßt: »Ich wundere mich, daß ein Nazi die Freiheit des Menschen in der Demokratie wahren soll.«
In der Tat mußte Erstaunen erregen, daß der zyprische Staatschef just einen deutschen Professor zum Präsidenten des insularen Verfassungsgerichts bestimmt hatte, zumal dieses Gericht eine einzigartige Stellung innerhalb des zyprischen Verfassungslebens einnimmt:
Es hat die Aufgabe,
- jedes Gesetz,
- jeden Verwaltungsakt und
- jedes Gerichtsurteil
auf seine Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen.
Ernst Forsthoff war denn auch geneigt, in seiner Wahl einen Beweis dafür zu sehen, »welche Geltung die deutsche Rechtsstaatlichkeit im Ausland wieder gewonnen« habe. Er übersah dabei freilich, daß die zyprische Verfassung von vornherein den Personenkreis eng begrenzt hatte, aus dem Erzbischof Makarios sich den Präsidenten seines Verfassungsgerichts holen darf.
Die zyprische Verfassung schreibt nämlich vor, daß weder der Präsident des Verfassungsgerichts noch der Präsident des Obersten Gerichts Staatsbürger Zyperns Griechenlands, der Türkei oder des britischen Commonwealth sein darf. Mit diesem Passus hatten die britischen und griechisch-türkischen Verfassungsväter der Inselrepublik nach den Wirrnissen des jahrelangen Partisanenkriegs eine solide Rechtsstaatlichkeit garantieren wollen.
Als sich nun der Erzbischof nach einem Kandidaten für das Verfassungsgericht umsah, befreite ihn sogleich ein Mitautor jener Verfassungsbestimmung, Griechenlands ehemaliger Justiz- und Verteidigungsminister Themistokles Tsatsos, aus allerVerlegenheit: Er wisse, so weihte er Makarios ein, in Heidelberg einen geeigneten Mann, den er noch aus seinen deutschen Studienjahren kenne.
Die Freundschaft zwischen Tsatsos und Forsthoff gründet sich auf eine gemeinsame- Studienzeit in Heidelberg, in der die beiden Juristen begeisterte Schüler des Rechtslehrers Carl Schmitt waren, jenes bedeutendsten Apologeten des autoritären. Führerstaats,der noch nach den Röhm-Morden des 30. Juni 1934 doziert hatte: »Der Führer schützt das Recht!«
Auch nach ihrer Trennung - Tsatsos ging als Anwalt nach Athen, während Ernst Forsthoff die akademische Laufbahn einschlug und als Professor in Frankfurt, Königsberg und Heidelberg lehrte - hielten die beiden Freunde lockeren Kontakt. Die gemeinsame Arbeit an einer Festschrift zum 70. Geburtstag ihres Mentors führte die beiden Schmitt-Adepten 1959 noch enger zusammen; auch schickte Tsatsos seinen Sohn in die juristische Lehre des Ernst Forsthoff.
Tsatsos junior betrieb denn auch bald die Kandidatur seines Lehrmeisters fast noch emsiger als Vater Themistokles Tsatsos. Über seine Frau - Tochter eines hohen zyprischen Richters - mit der Inselprominenz verwandt, reiste Sohn Tsatsos im Sommer dieses Jahres nach Zypern und propagierte die Forsthoff-Wahl, hofft er doch, Assistent des Verfassungsgerichts-Präsidenten zu werden. Mäkelte John Clerides, Richter am Obersten Gericht der Insel: »Die Ernennung Forsthoffs ist eine einzige Protektion.«
Tatsächlich dünkten den Erzbischof die Vorschläge der beiden Griechen überzeugend genug, so daß er Ernst Forsthoff Ende Juli zum Präsidenten des zyprischen Verfassungsgerichts ernannte. Kaum aber war die Ernennung ruchbar geworden, da sammelten sich die Makarios-Gegner zum Angriff auf den Heidelberger Professor.
Die Makarios-Kontrahenten wären jedoch um überzeugende Argumente verlegen gewesen, hätte nicht Londons deutschfeindlicher »Daily Express« die braune Vergangenheit des Heidelberger Rechtsgelehrten aufgestöbert: »Forsthoff war einer der bekanntesten Rechtswissenschaftler der Nazi-Zeit. Ab 1930 trug er dazu bei, den Nazismus in der ganzen Welt bekannt zu machen.« Der Berliner Professor Ernst Fraenkel, von Forsthoff als Politologe nicht ernst genommen und bitter befehdet, assistierte: »Diese Ernennung ist ein internationaler Skandal.«
Bereitwillig bemächtigte sich die zyprische Opposition der Anklagen aus London und Berlin. »Forsthoffs Nazi-Vergangenheit und die Tatsache, daß er ein guter Jurist ist, machen ihn zu einer Gefahr für alle Zyprer«, wetterte das Blatt »Harafghi«, und die angesehene Zeitung »Ethniki« zürnte: »Wenn die westdeutschen Nazis schon außerhalb ihres Landes Arbeit finden wollen, so sollten sie nicht in Zypern beschäftigt werden.«
Warnte der zyprische Gewerkschafts-Boß Papaionanou: »Forsthoff schadet der deutschen Sache. Er wird hier zwar zunächst nicht als Nazi gelten, sondern als Deutscher, später aber (wenn er die ersten Urteile gefällt hat) als deutscher Nazi. Und morgen sind dann alle Deutschen Nazis.«
Derartige Vorwürfe stützten sich freilich nicht nur auf das 27 Jahre alte Buch »Der totale Staat«, sondern auch auf die Tatsache, daß Rechtsgelehrter Forsthoff während des Dritten
Reiches durch seine Vorlesungen das braune Unrechtssystem philosophisch gestützt hatte.
So philosophierte der aus dem bürgerlichen Rechtslager kommende Professor damals, die NSDAP und ihr Führerprinzip seien »eine Regierungsform, die wegen ihrer Neuartigkeit mit den überkommenen Kategorien und Kriterien nicht begriffen werden kann«, und bekannte sich außerstande, der Führung Adolf Hitlers als einem »der politischen Erlebniswelt verhafteten Vorgang abstrakten Ausdruck zu geben«.
Darum, dozierte Forsthoff, sei es »so außerordentlich schwer, etwa Ausländern die Verfassung des nationalsozialistischen Staates zu verdeutlichen«. So geartete Thesen genügten den beiden Publizisten Leon Poliakov und Josef Wulf ("Das Dritte Reich und seine Denker"), im Ernst Forsthoff 1959 auf ihre Liste der NS-Förderer zu setzen.
Fast noch schwerer als solche antiquierten Forsthoff-Zitate aber wog, daß sich der Heidelberger Rechtslehrer noch Ende 1959 durch seine Mitarbeit an der Schmitt-Festschrift zu dem braunen Kronjuristen bekannte, ohne Carl Schmitts Wirken im Dritten Reich zu erwähnen. Forsthoff in seiner akademischen Niederungen entrückten Wohnmühle an der Heidelberger Wolfsbrunnenstiege: »Ich war immer ein Einzelgänger.«
Prompt beschuldigte der Tübinger Staatsrechtler Adolf Schüle (1937 freilich noch überzeugt, daß »Ermessen handhaben heute heißt, es im Geist des Nationalsozialismus handhaben") Forsthoff und seine Mitautoren, sie hätten die akademische Freiheit mißbraucht.
Kritisierte Schüle: »Die jungen Menschen werden es nicht verstehen, wie
man heute über den demokratischen und sozialen Rechtsstaat lehren und sich im gleichen Atemzuge mit einem Mann identifizieren kann, der das Recht und den Rechtsstaat auf das grausamste mißachtet hat. Darüber kann man nicht schweigen, das muß ins Licht gestellt werden.«
Dieses lautstarke »Erschrecken ... in weiten Kreisen der deutschen Staatsrechtswissenschaft« (Schüle) hielt denn auch die bundesrepublikanische Botschaft in Nikosia davon ab, dem von seinen zyprischen Kritikern hart bedrängten Landsmann Hilfe zu bieten. Mit der Affäre offiziell nicht befaßt, witterte Botschafter König, der Spektakel um Forsthoff werde nur dem günstigen deutsch-zyprischen Handel schaden.
Erst als Erzbischof Makarios Anfang September zwei Vertrauensmänner in die Deutsche Botschaft schickte und
um Material über seinen zukünftigen Verfassungshüter bat, schaltete sich Bonn ein. Zunächst versuchten die Legationsräte, die Affäre in Diplomatenmanier aus der Welt zu schaffen: Forsthoff wurde vom Auswärtigen Amt ermuntert, auf den zyprischen Posten zu verzichten. Der Professor lehnte ab.
Daraufhin überstellte das Auswärtige Amt der Botschaft in Nikosia Forsthoff-Material, dem Erzbischof Makarios immerhin auch entnehmen konnte, daß der Heidelberger Gelehrte trotz seiner Anhänglichkeit an den Führerstaat niemals seine konservative Herkunft verleugnet hatte. Dennoch konnte sich das amtliche Bonn nicht entschließen, Forsthoffs Kandidatur zu unterstützen.
Forsthoff selber begegnet allen Angriffen auf seine Vergangenheit mit dem Hinweis, sein eher konservatives Buch »Der totale Staat« sei sofort auf den Widerstand desNS-Ideologenßosenberg gestoßen, der es im »Völkischen Beobachter« als parteifeindlich abgelehnt habe. Verteidigt sich Forsthoff heute: »Ich wollte den totalen Staat propagieren, um vor der totalen Partei zu warnen.«
Der ehemalige Totalstaatler weiß sogar nachzuweisen, daß er im Dritten Reich der Evangelischen Kirche nützliche Dienste geleistet hat. So vermochte Forsthoff durch ein Gutachten zu erreichen, daß der Quedlinburger Dom, den Heinrich Himmler zur SS-Kultstätte zweckentfremden wollte, den Protestanten erhalten blieb. Solcher Zivilcourage verdankte Forsthoff, daß er zwei Jahre lang nicht lehren durfte.
Forsthoffs Selbstentlastung hat offenbar Erzbischof Makarios bewogen, unter allen Umständen an der Ernennung des deutschen Professors festzuhalten. Wetterte Seine Seligkeit ins Rundfunk-Mikrophon: »Die Angriffe auf Forsthoff sind eine Schande wider Gott.«
Der Erzbischof berief schließlich Ende vergangenen Monats eine Pressekonferenz ein, auf der er versicherte, Forsthoff werde sein Amt auf jeden Fall am 1. November antreten. Argumentierte Makarios: »Ich meine, es wäre ungerecht, dieses Werk (den ,Totalen Staat') ... zum Anlaß zu nehmen, um Herrn Forsthoff zum Nazi in der schlimmen Bedeutung des Wortes zu stempeln.« Der Kirchen- und Staatsfürst zeigte sich sogar davon überzeugt, »daß Herr Forsthoff 1934 und später von den Nazis verfolgt wurde«.
Gleichwohl sind die zyprischen Oppositionellen weiterhin entschlossen, Forsthoff zu Fall zu bringen. Während die zyprischen Advokaten drohen, Forsthoffs Verfassungsgericht zu boykottieren, beantragte die Oppositionspartei »Akel« im Parlament von Nikosia, die Ernennung des Professors zurückzuziehen, da er politisch belastet sei, keine der zyprischen Amtssprachen (Englisch, Griechisch, Türkisch) ausreichend beherrsche und nebenbei den Heidelberger Lehrstuhl behalten wolle.
Sollte Ernst Forsthoff seines zyprischen Amts verlustig gehen, so kann er sich dennoch eines Richteramts erfreuen: Bereits vor dem Angebot aus Zypern erreichte den Professor, dessen »Lehrbuch des Verwaltungsrechts« zu den Standardwerken deutscher Wissenschaft gehört, die Bestallung zum Richter im Nebenamt beim Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg.
Verfassungshüter Forsthoff
Die Freiheit ist überwunden
Stadtschef Makarios, Botschafter König: Bonn verzichtete