AFFÄREN Gefahr für Potsdam
Bundesparteitage sind für Brandenburger Sozialdemokraten meist eine willkommene Verschnaufpause vom Regieren. Da hätscheln die West-Genossen die mit absoluter Mehrheit regierenden Potsdamer. Regierungschef Manfred Stolpe und Sozialministerin Regine Hildebrandt gelten als Vorzeige-Ossis der Partei.
In Hannover war für die angereisten Sozis aus der Mark einiges anders. Kaum angekommen, mußte Brandenburgs SPD-Chef Steffen Reiche dem Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering Rede und Antwort stehen, Stolpe rief Berichte aus der Heimat per Telefon ab. Und SPD-Vize Wolfgang Thierse verlangte der sprachgewaltigen Genossin Hildebrandt ein schier unmenschliches Opfer ab: Verärgert über die Vorgänge in Brandenburg riet er: »Am besten sagt sie drei Monate gar nichts.«
Die SPD-Spitze fürchtet offensichtlich, die Affärenserie in Potsdam könne den positiven Trend zur Bundestagswahl bremsen. Mit 50 000 bis 60 000 Stimmen mehr als beim letzten Urnengang, hatte SPD-Landeswahlkampfleiter Klaus Ness kürzlich getönt, wolle Brandenburg einen »entscheidenden Beitrag« zum Sturz der Kohl-Regierung leisten. Und gleich zwei Potsdamer Ministeriale gehören zur Bonner Wahlkampftruppe Ost. Hildebrandt, erzählt Stolpe gern, werde sogar für das SPD-Schattenkabinett umworben.
Doch jetzt herrscht politisches Tohuwabohu in Potsdam. Erst mußte der Landwirtschaftsminister gehen. Edwin Zimmermanns Ministerium hatte eine Schaubäckerei ausgerechnet auf dem Hof seiner Familie (SPIEGEL 40/1997) gefördert. »Ein wichtiger Symphathieträger weniger«, klagt der Chef der Staatskanzlei, Jürgen Linde. Bis Ende voriger Woche hatte Stolpe noch keinen Nachfolger nominiert.
Dann wurden Mißwirtschaft, Manipulation und Kungelei im Hause Hildebrandt öffentlich (SPIEGEL 49/1997). Ausgerechnet die »Mutter Courage des Ostens«, die jahrelang vom Westen finanzielle Hilfe für die neuen Länder eingefordert hatte, ließ Ungereimtheiten im Umgang mit öffentlichen Geldern zu. Gleich gegen ein Dutzend Hildebrandt-Mitarbeiter ermittelt die Potsdamer Staatsanwaltschaft noch, gegen einige hat sie bereits Anklage wegen »Untreue« erhoben.
Und jetzt haben die Staatsanwälte einen weiteren wichtigen SPD-Politiker im Visier, den Potsdamer Baustadtrat Detlef Kaminski. Der soll 1992 einer Bank bei der Suche nach einem Grundstück in Potsdam behilflich gewesen sein. Er verschaffte ihr, so der Vorwurf, ein Objekt in erstklassiger Lage - das Geldinstitut versprach ihm dafür per Vertrag eine Eigentumswohnung in demselben Haus weit unter Marktwert. Wenige Jahre später wurde der Kontrakt gekündigt - von wem, ist umstritten. Der Staatsanwalt ermittelt nun wegen des Verdachts der »Vorteilsannahme«.
Kaminski ist der eigentlich starke Mann hinter dem Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Horst Gramlich, dessen Amtsführung in kleinerem Rahmen gewisse Ähnlichkeiten zu der des russischen Präsidenten Boris Jelzin aufweist. Im Frühjahr dieses Jahres wußte er nicht mehr, wo seine Amtskette geblieben war. Ohne Kaminski, fürchtet ein SPD-Landesvorständler, »geht Potsdam verloren« - an die PDS. SPD-Landeschef Reiche sieht »Gefahr für Potsdam«. Schließlich sei für den Baustadtrat »kein Ersatz in Sicht«. An das politische Überleben Kaminskis scheint Reiche nicht mehr zu glauben. Auch die meisten Brandenburger Sozis in Hannover, so ein SPD-Mann vom Parteitag, seien sich einig gewesen: »Kaminski muß weg.«
Bei Regine Hildebrandt, die in Hannover mit dem besten Ergebnis aller Kandidaten wieder in den Parteivorstand gewählt wurde, hält die Verteidigungslinie - noch. Doch es droht neues Ungemach.
Arbeitsstaatssekretär Clemens Appel mußte in der vergangenen Woche die Richtigkeit der jüngsten Vorwürfe einräumen. Und gleichzeitig wurde bekannt, daß sein Kollege aus dem Gesundheitsbereich versucht hat, auf die Ermittlungen der Staatsanwälte einzuwirken.
In zwei Schreiben an den Generalstaatsanwalt und an Justizminister Hans Otto Bräutigam beschwerte sich Staatssekretär Herwig Schirmer 1996 und 1997 über die Ermittlungsmethoden. Gegen die Ermittler, die ohnehin schon über »den Druck von oben« klagen, laufen nun zwei Dienstaufsichtsbeschwerden.
Das Hildebrandt-Ministerium beanstandete unter anderem, daß die Staatsanwälte Mitarbeiter des Ministeriums in deren Wohnungen zehn Stunden lang vernommen hatten. Die Ermittler wollten so verhindern, daß sich die Ministerialen untereinander absprechen konnten. Die Ministeriumsspitze, die jahrelang ihrer Aufsichtspflicht nicht nachgekommen war, machte daraufhin aus »Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter«, wie Hildebrandts Sprecher bestätigt, »vom Beschwerderecht Gebrauch«.
Angesichts drohender Prozesse im Wahljahr gegen Hildebrandt-Mitarbeiter hofft ein Ministerialer in Stolpes Staatskanzlei schon auf ein Wunder: »Vielleicht kommt uns ja wieder ein Hochwasser zu Hilfe.«