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ENERGIE Gegen den Strom

Viele, viele Kraftwerke -- jedem das seine. Berliner Wissenschaftler setzen sich für die kombinierte Wärme-Strom-Maschine im Heizungskeller ein.
aus DER SPIEGEL 31/1978

Wir spekulieren nicht auf das Jahr 2000«, sprach der West-Berliner Energiewirtschaftler Professor Burkhard Strümpel im Namen der Verschwörerrunde, »wir möchten die Probleme von heute lösen.« Und da die Sache so eilig war, brachen die Herren der Wissenschaft vergangene Woche geltendes Recht.

Hinter Windrädern und Wassermühlen, in einem abgelegenen Schuppen der »interdisziplinären Projektgruppe für angepaßte Technologie« der Technischen Universität, heizten sie ein illegales Kraftwerk im Kleinformat an -- gleichermaßen gut für Strom und Wärme.

Knapp eine Stunde lang lief Heißwasser, das im Dauerbetrieb 300 Quadratmeter Raum erwärmt, durch die angeschlossenen Heizungsrohre -- und Strom, ausreichend für zehn Normalfamilien, floß über eine Steckdose ins öffentliche Stromnetz. Folge: Der Stromzähler am Aggregat lief statt vorwärts andersrum. die Verbrauchszahlen nahmen ab statt zu, und die Betreiber registrierten ihre erste »Stromersparnis« -- 2,40 Mark, umgerechnet.

Straftatbestände: illegale Stromerzeugung in einer zuvor nicht angemeldeten Anlage, dazu womöglich vollendete Aufnahme der »Energieversorgung anderer« ohne »Genehmigung der Energieaufsichtsbehörde« -- beides Ordnungswidrigkeiten, mit Geldbußen bis zu 50 000 Mark bedroht.

Ob sich freilich ein Ankläger findet, ist ungewiß. Das mehrheitlich senatseigene Elektrizitätsunternehmen »Berliner Kraft- und Licht-Aktiengesellschaft« (Bewag) hat solchen Fremdbezug »seit der Blockade« (Vorstandsmitglied Rolf Körnig), als die Amerikaner Energietransfusion betrieben, nicht mehr erlebt und verhält sich abwartend.

Im Senat selber wurde just am Tag der Zuschaltung ein energiezehrender Koalitionskrieg beendet. SPD und FDP beschlossen, daß ein bislang angeblich so dringliches Gasturbinenkraftwerk für winterliche Spitzenlasten auch zwei Jahre später als geplant gebaut werden könne -- wenn überhaupt.

Es wäre das neunte in der von jeglichem überregionalen Stromverbund abgeschalteten Stadt. Die kommunalen Kraftwerker böten dann dem Berliner Verbraucher insgesamt fast 2500 Megawatt installierter Gesamtleistung an, mit einer Kapazität, die im Jahresschnitt nicht mal zu zwei Fünfteln gebraucht wird.

Ihren »nicht ganz korrekten« Einstieg in dieses Stromgeschäft begründen die TU-Aktivisten -- der verantwortliche Physikochemiker Professor Günter Axt: »Dafür gehe ich gerne ins Gefängnis« -- denn auch mit der Gefahr neuer Großbaupläne. Statt dessen müsse erst das neue Kraftpaket, bekannt seit der Pionierzeit der Energieerzeuger, technologisch und umweltfreundlich aufgerüstet durch die Industrie von MAN bis Fiat, unter die Lupe.

Denn die Kraftheizung für Herrn Jedermann, nach dem gleichen Prinzip längst auch von Großbetrieben genutzt, sei eine besonders leistungsfähige, flexible und billige Variante. Nach Strümpels Berechnungen kostet die Erzeugung einer Kilowattstunde im 700-Megawatt-Kohlekraftwerk 11,2 Pfennig, in einer Gas-Kraft-Heizung für drei Familien 8,1 Pfennig, in der knapp größer dimensionierten Diesel-Kraftheizung nur 6,5 Pfennig.

Beim TU-Modell, Leihgabe von Fiat, Markenname Totem, sei der bei der Produktion anfallende Verlust von Energie, wie die Berliner rühmen, in Dezimalbrüchen zu messen. Reine Stromkraftwerksbetreiber verlieren durch nicht genutzte Wärme dagegen mehr als die Hälfte. Simpel auch das Arbeitsprinzip der Wärmemaschine in einem ein mal ein Meter großen Chassis: Ein Kleinwagenmotor, wechselweise mit Erd- oder Stadtgas betrieben, der Modellreihe Fiat 127 läuft sich warm. Die Wärme wird in wassergefüllte Tauseher geleitet, die dem Kühlergrill eines Kraftfahrzeuges ähneln. Danach wird -neben der Heißwassererzeugung -- die gewonnene mechanische Energie mittels eines Generators in Strom umgewandelt.

Bewag-Vorstand Körnig freilich nennt auch Nachteile. Die Schadstoff-Emissionen, verteilt auf viele Schornsteine, seien besonders bei dieselbetriebenen Verbrennungsmotoren zu hoch. Und bei Abgabe der nicht benötigten Elektrizität ins Stromnetz könne es zu Störungen, etwa durch Stromschwankungen, kommen.

Eine »Energie-Kommission"der Jungen Union befürchtet in solchen Fällen sogar das Dauerklingeln »von Alarmanlagen«. Körnig hält im Einzelfall auch Netzausfälle für möglich. Insgesamt hingegen sieht der Kraftwerker ("Das ist auch ein Generationsproblem« der neuen Technologie erstaunlich moderat entgegen. Zumal manches »vernünftige Wurzeln« habe, lohne es sich nicht mehr, »aus Sturheit und Ideologie gegen den Strom zu schwimmen«.

Einen künftigen Stromankauf bei kleineren Mitbetreibern will der Bewag-Obere jedenfalls ebensowenig »ausschließen wie ein ohne Rechtsgerangel mögliches freundschaftliches Zusammenraufen« mit den TU-Revoluzzern. Wie realistisch deren Berlin-Losung ("Schafft ein, zwei, viele Totems") tatsächlich ist, könnte sich schon kurzfristig herausstellen.

Im September will Deutschlands oberste Umweltfachbehörde, das Berliner Umweltbundesamt, sein Heizungssystem -- derzeitiger Jahresverbrauch 500 000 Liter Öl -- neu ordnen und, so Präsident Heinrich Ludwig Freiherr von Lersner modellhaft, »alternative Energiesysteme einsetzen. In Konkurrenz stehen unter anderem das Kraftpaket im Keller und der Platz an der Sonne, Kraft-Wärme-Kopplung und Solar-Energie.

Und Rolf Kreibich, Sprecher des »Forschungsverbunds Energie für Berlin«, sieht schon Verwendung bei der Stadtsanierung. Denn noch immer wird knapp die Hälfte der 1,1 Millionen Berliner Wohnungen mit Öfen beheizt.

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