FDP Gegen Honorar
In Bonns Dahlmannstraße 2 sprach Gerhard Kienbaum, 52, zur Lage der Nation. Gemeinsam mit nordrheinwestfälischen Parteifreunden bangte Deutschlands größter Unternehmensberater um die »Wachstumskraft unserer Wirtschaft«. Er befürchtete, daß sich die sozialliberale Koalition mit ihren »Aufgabenpaketen« übernehme, und er bedauerte den Doppelminister Karl Schiller: »Zuviel Arbeit für einen Mann.«
Kienbaum referierte noch, da entschuldigten sich fünf der in der Bonner NRW-Residenz versammelten zwei Dutzend Freidemokraten, verließen die Sitzung des Landesvorstandes und schalteten im Nebenzimmer das TV-Gerät ein.
Zwei Tage nach der Bonner Session kündigte der Gummersbacher Millionär und FDP-Wirtschaftssprecher seinen Vorstandsposten in der nordrhein-westfälischen FDP. Verärgert teilte Kienbaum mit, daß er »keine Lust« mehr habe, »meine Zeit mit unnützen Vorstandssitzungen zu verschwenden«. Der FDP-Rechte dunkel: »Es gibt sachliche Gründe.«
Noch bevor diese Gründe zwischen dem Abtrünnigen und seinem Landeschef Willi Weyer freilich erörtert werden konnten, schien sich Kienbaums Verdruß auszuzahlen. Statt zu resignieren, so signalisierten die Bonner Partei-Oberen, möge sich Kienbaum für größere Aufgaben bereit halten -- für ein Ministeramt. Der derzeitige Wirtschafts- und Finanzlenker Karl Schiller müsse ohnehin von einem Teil seiner Bürde befreit werden. Und die Freidemokraten könnten sich einen weiteren Platz am Kabinettstisch sichern, wenn von dem Mammutressort ein Industrieministerium abgespalten werde.
Am Mittwoch vergangener Woche verabredeten sich FDP-Generalsekretär Karl-Hermann Flach und der Düsseldorfer Unternehmensberater zu einem Arbeitsessen in der Parlamentarischen Gesellschaft, dem Speisehaus der Bonner Abgeordneten.
In einer Nische informierte der oberste Parteiangestellte den »Abweichler« (Flach) über ein Gespräch mit Kanzleramtsminister Horst Ehmke, bei dem die beiden Koalitionspartner über ein Ministerium für Industrie, Handel und Technologie nachgedacht hätten. Flach, der sich auch bei Kanzler Brandt über die Chancen des Projekts informiert hatte, erkannte: »Die SPD neigt sehr stark dazu.«
Daß ein solches Projekt noch vor 1973 verwirklicht wird, ist dagegen unwahrscheinlich. Zwar hatten sich Brandt und SPD-Fraktionschef Herbert Wehner im Mai dieses Jahres mit dem Superminister verständigt, daß sein Doppelhaus nur ein Provisorium sei. Zwar hat auch Wehner noch am Vorabend des SPD-Steuerparteitages Mitte vergangenen Monats mitgeteilt, Schillers Ministerium solle noch »im Laufe der Legislaturperiode« neu gegliedert werden. Und Schiller selber merkt inzwischen nach dem Urteil seines ehemaligen Staatssekretärs Klaus Dieter Arndt, »daß er in Arbeit ersäuft«.
Bislang aber ist noch nicht entschieden, ob die alten Ressorts Wirtschaft und Finanzen wiederhergestellt oder andere Konstruktionen versucht werden sollen. Chefplaner Ehmke ist sicher, daß nicht vor 1973 entschieden wird, und dann nur »Arm in Arm mit Karl Schiller; er ist schließlich der Betroffene«.
Sollten sich die Planer auf ein Industrieministerium einigen, empfiehlt sich Kandidat Kienbaum durch vielseitige Kontakte. Der Wirtschaftssprecher seiner Partei wurde zum »Chefbremser« ("Handelsblatt") für Willy Brandts sozialliberale Reformpolitik.
Als Vorsitzender des Bundestags-Wirtschaftsausschusses attackierte der Freidemokrat gelegentlich in »dem von ihm herausgegebenen Informationsdienst »Horizonte Bonn« die Wirtschaftspolitik der sozialliberalen Bündnispartner. Und das Mitglied der Regierungskoalition zögerte auch nicht, sich dem Kabinett als Berater anzudienen. Gegen Honorar beriet er die Ministerien für Wirtschaft, Ernährung, Verteidigung, Verkehr, inneres und Entwicklungshilfe.
Selbst seine NRW-Parteifreunde werfen dem Geschäftigen inzwischen die »Vermischung von Geschäft und Politik« vor.
Stärker noch als progressive Freidemokraten würde freilich die SPD-Linke gegen Kienbaums Einzug ins Kabinett revoltieren. SPD-MdB Erich Meinike: »Das ist keine Lösung für diese Koalition. Das wäre eine Schweinerei.«