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ISRAEL Geheimdienst erste Sahne

Ein Palästinenser, der Israels Geheimdienst bei der Ermordung eines Terroristen half, verklagt den jüdischen Staat auf 25 Millionen Dollar.
Von Jürgen Hogrefe
aus DER SPIEGEL 47/1997

Kamal Hamad war sichtlich nervös, als er am 5. Januar 1996 um 6.45 Uhr den Gaza-Streifen verließ. Während der Ausweiskontrolle am Checkpoint Eres erledigte er noch hastig einige Anrufe. Dann setzte er sich an das Steuer seines weißen Mercedes und startete in ein neues Leben - Richtung Israel.

Fünf Stunden später meldete der israelische Rundfunk, Jahja Ajjasch (Deckname »Ingenieur"), der berüchtigte Bombenbauer der islamistischen Untergrundorganisation Hamas, sei einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Seine Verfolger hatten das Handy, mit dem er gerade telefonierte, per Fernzündung zur Explosion gebracht. Der Sprengsatz zerschmetterte den Kopf des Terroristen - Kollaborateur Hamad hatte die Tat ermöglicht.

Während tags darauf 100 000 Menschen im Gaza-Streifen zur Beerdigung des »Märtyrers« strömten, jubelte Israels »Jerusalem Post": »Ajjaschs Ermordung: Geheimdienst erste Sahne«. Es war schnell klar und wurde auch von der Regierung nie ernsthaft bestritten: Hinter dem Anschlag steckte der Inlandsdienst Schabak.

Viele Israelis hatten ihre Freude an der Hinrichtung; dem berüchtigten Bombenbauer war die Planung von sieben Attentaten zur Last gelegt worden, bei denen etwa 55 Menschen starben und mehr als 300 verletzt wurden - nun raffte den Techniker selbst eine Höllenmaschine dahin.

Der Racheakt könnte den israelischen Staat teuer zu stehen kommen: Hamad, 46, verlangt jetzt 25 Millionen Dollar Entschädigung vom Geheimdienst. In dieser Höhe, so der Palästinenser, sei ihm Schaden entstanden, weil er seinen Besitz in Gaza zurücklassen mußte.

Hamad hatte, womöglich ohne genaue Kenntnis des Planes, dem Schabak bei der Mordtat entscheidend geholfen. Nach dreijähriger Fahndung war der Bombenbauer vom Schabak in einem Apartment in der Gaza-Ortschaft Beit Lahija aufgestöbert worden, das Hamads Neffe Ussama bewohnte. Hier setzte der Geheimdienst an.

Der Onkel verschaffte seinem Neffen einen Job in einem seiner Unternehmen. Ein Handy, auch in Gaza ein begehrtes Statussymbol, gab es obendrein. Dem Neffen Ussama fiel nicht auf, daß das schicke Telefon etwas schwerer war als üblich: Der Schabak hatte es mit 50 Gramm Sprengstoff und einem Zünder präpariert.

Die Israelis kappten die normale Leitung zur Wohnung, so daß Ajjasch, wollte er telefonieren, auf das Handy seines Freundes Ussama zurückgreifen mußte. Am 5. Januar gegen 9 Uhr erreichte den »Ingenieur« ein Anruf. Kaum hatte er sich zu erkennen gegeben, explodierte der Apparat.

Familienmitglieder gaben später an, Hamad sei vom Schabak hinters Licht geführt worden; die Geheimdienstler hätten ihn lediglich gebeten, das Handy weiterzureichen, um den Telefonverkehr des Terroristen zu überwachen. Von Sprengstoff und Mord sei nie die Rede gewesen.

Hamad war den Israelis offenbar verpflichtet. Sie hatten ihm in der Besatzungszeit mehrere Grundstücke in Gaza übereignet, die zuvor als »Staatsland« konfisziert worden waren. Mit dem Handel von Immobilien und als Eigentümer eines großen Bauunternehmens wurde Hamad zu einem der wohlhabendsten Männer in Gaza. Doch er mußte sich, seine 3 Frauen und 18 Kinder mit Bodyguards schützen - Landsleute verdächtigten den fließend hebräisch sprechenden Mann als Kollaborateur, einen von vielen.

Während der Intifada hatten palästinensische Aktivisten rund 1000 Landsleute ums Leben gebracht, weil sie angeblich mit den israelischen Besatzern gemeinsame Sache machten. Auch nach der Unterzeichnung des Oslo-Abkommens wurden fast 100 Kollaborateure von palästinensischen Häschern gemeuchelt.

Die Regierung Israels hat für die Betreuung der Kollaborateure und ihrer Angehörigen, rund 5000 Menschen, die nach dem Teilabzug der Armee aus Gaza und dem Westjordanland nicht ohne Schutz in den Palästinensergebieten zurückgelassen werden sollten, eigens ein Amt eingerichtet. Doch nicht immer funktioniert die Eingliederung in Israel: Viele der entwurzelten Palästinenser gleiten in ihrer neuen Heimat ins Drogenmilieu ab.

Der Schabak habe Hamad »volle Kompensation« für seinen zurückgelassenen Reichtum in Gaza versprochen, behauptet nun der Kollaborateur. Davon soll wenig übergekommen sein. Statt der versprochenen zwölf Zementmischer etwa habe er bislang nur zwei bekommen, klagt ein Familienmitglied. Und aus einer vom Geheimdienst angemieteten Luxusvilla bei Tel Aviv mußte der Hamad-Clan inzwischen wieder ausziehen.

Die Forderung von 25 Millionen Dollar begründet Hamad auch mit den besonderen Umständen seiner neuen Existenz. Um sein Leben und das seiner Familie zu gewährleisten, müsse er einen »Sicherheitsaufwand in Millionenhöhe« betreiben.

Auf Israel kommt ein kurioser Rechtsstreit zu. Hamads Anwalt ist optimistisch und glaubt, daß die Staatsmacht keine Lust auf ein Verfahren mit detaillierter Berichterstattung in der Presse hat und ihre Schulden außergerichtlich begleicht.

Israels Geheimdienst schweigt einstweilen. Zu einem Prozeß wird es der Schabak kaum kommen lassen wollen: Damit der Kollaborateur nicht auspackt, wird es wohl zu einer außergerichtlichen Einigung kommen - der Schadenersatz wird zum Schweigegeld.

* Ausriß aus der israelischen Tageszeitung »Maariv«.

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