MINISTER Geistig strammstehen
Es war wie in einem langwierigen Scheidungsprozeß. Der feste Vorsatz, sich gütlich zu trennen, endete in einem Krach, weil beide Partner den Einflüsterungen Dritter erlagen und sich prompt hintergangen fühlten.
Am Montagabend letzter Woche, nach einem fast zweistündigen Gespräch unter vier Augen, waren Verteidigungsminister Georg Leber und Rüstungs-Staatssekretär Siegfried Mann noch übereingekommen, ihre vierjährige Zusammenarbeit honorig zu beenden -- mit großem Zapfenstreich. Dienstag früh sah alles andere aus.
Überrascht erfuhr Leber in der Abteilungsleiter-Konferenz, daß Duz-Freund Siegfried schon seit längerer Zeit ohne sein Wissen mit einem neuen Arbeitgeber, dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), verhandelte. Über solche vermeintliche Treulosigkeit empört, befahl Leber den urlaubenden Staatssekretär für 13.30 Uhr zu sich auf die Hardthöhe. Mann ahnte Schlimmes und formulierte ein für die Öffentlichkeit bestimmtes Abschiedsgesuch Als Grund gab er an, schon seit einiger Zeit im »Widerspruch zur Politik der Bundesregierung« zu stehen.
Vortragen konnte Mann seine Erklärung nicht mehr. Kaum war er im Mi-
*Bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Mann im Juli 1976.
nisterzimmer angekommen, eröffnete ihm Leber in Gegenwart des Verwaltungs-Staatssekretärs Helmut Fingerhut und des Personaldirektors Heinz Schaefgen, daß er dem Bundespräsidenten die sofortige Versetzung des »Staatssekretärs Dr. Siegfried Mann« in den einstweiligen Ruhestand vorschlagen werde. Der Eklat war da.
Wortlos verließ der Geschaßte den Ministerbau und fuhr in seinen Bungalow nach Wachtberg-Niederbachem zurück. Leber diktierte unterdessen eine kurze Pressemitteilung, in der er nicht nur die Trennung von Mann, sondern sogleich auch den Nachfolger bekanntgab: den 59jährigen Vier-Sterne-General Karl Schnell, zur Zeit noch Nato-Oberbefehlshaber Europa-Mitte im belgischen Brunssum.
Die Entlassung Manns wird in der SPD kaum Arger bringen. Anders dagegen im Fall Schnell: Obwohl Leber sich vorher mit Kanzler Helmut Schmidt, SPD-Chef Willy Brandt und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Herbert Wehner abgesprochen hatte, werten viele Genossen die erstmalige Berufung eines Offiziers auf den zivilen Staatssekretärs-Posten als neuerlichen Beweis für die Uniformgläubigkeit des Verteidigungsministers.
Siegfried Manns Ende hatte sich abgezeichnet, als der parteilose, als äußerst ehrgeizig geltende Karriere-Beamte vor einem Jahr begann, zu Leber auf Distanz zu gehen. Bitten des Ministers, ihn bei öffentlichen Vorträgen zu vertreten und über die Sicherheitspolitik der Bundesregierung zu referieren, lehnte Mann kühl ab: Dies sei nicht seines Amtes. Wenn er spreche, dann nur über sein Fachgebiet, die Rüstung.
Auch im Kollegium, in dem der Minister mit seinen beiden beamteten Staatssekretären sowie dem Parlamentarischen Staatssekretär Hermann Schmidt die wichtigsten Entscheidungen vorbereitet, kam es zunehmend zu Spannungen. Mann weigerte sich, wichtige Unterlagen seiner Abteilung herauszugeben und mußte sich deshalb von Schmidt mehrfach mahnen lassen: »Siegfried, ich habe ein politisches Mandat, du nicht.«
Doch Leber deckte seinen Mann auch dann noch, als dieser sich offen mit den sozialdemokratischen Mitgliedern des Verteidigungsausschusses anlegte. Paul Neumann, rechter SPD-Flügelmann des Wehrausschusses, wollte wissen, ob es zu dem Drei-Milliarden-Projekt der Marine, dem Bau von sechs Fregatten, denn gar keine Alternative gäbe. Des Staatssekretärs provozierende Antwort: »Die Alternative zu Fregatten sind Fregatten.« Als Georg Schlaga vom linken Flügel einen geschönten Bericht Manns über die Entwicklung der Mehrzweck-Kampfflugzeuge MRCA »Tornado« kritisierte, ließ der Spitzenbeamte ihn mit der Bemerkung abfahren, daß er »auf diesem Niveau« über das Zwölf-Milliarden-Programm nicht zu diskutieren gedenke. Die Opposition feixte.
Im August schließlich war die Entfremdung zwischen Minister und Fraktion auf der einen und dem Rüstungschef auf der anderen Seite so weit gediehen, daß eine Trennung bei der Regierungsneubildung vereinbart wurde. Die Übereinkunft: Leber versprach, daß Mann seine Planung der wichtigsten Entwicklungs- und Fertigungsvorhaben der Bundeswehr zum Abschluß bringen könne. Der Staatssekretär wiederum sagte zu, er werde nicht durch eine vorzeitige Abschiedserklärung im Wahlkampf der Opposition Munition gegen den von ihm geschätzten Leber liefern.
Um diese Zeit hatte Mann, 50, freilich hinter dem Rücken des Ministers schon Fäden gesponnen, die ihn vor dem Ruheständlerdasein bewahren sollten. Er knüpfte Kontakte zu dem ehemaligen Wirtschafts-Staatssekretär Fritz Neef, der im BDI als Hauptgeschäftsführer wirkt und einen Nachfolger sucht. Die Chancen standen gut.
Auch CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf, der vom Unions-Wehrobmann Manfred Wörner auf das Zerwürfnis zwischen Mann und Leber aufmerksam gemacht worden war, schaltete sich ein. Nach einem längeren Gespräch mit Mann bezeichnete er den Staatssekretär vor Vertrauten als einen jener der Union zugeneigten politischen Beamten, die im Falle einer Machtübernahme durch Helmut Kohl in ihrem Amt bleiben sollten.
Seit dem 3. Oktober und dem Eklat vom vergangenen Dienstag aber sieht es so aus, als werde der Pensionär vorerst spazieren gehen müssen. Den BDI-Oberen ist zwar nach wie vor an dem kenntnisreichen Mann als Hauptgeschäftsführer gelegen. Gleichzeitig fürchten sie aber, sie könnten die SPD-Regenten mit einer Berufung des Ruheständlers provozieren.
Durfte sich Georg Leber mit der Entlassung Manns des Beifalls seiner Parteifreunde sicher sein, so wird ihm die Ernennung des Generals Schnell zum Staatssekretär wohl noch Kummer bereiten. Viele Sozialdemokraten lasten dem Minister an, unter seiner Führung hätten sich die Gewichte allzu sehr zugunsten der Militärs verschoben. Lebers Amtsvorgänger Helmut Schmidt hatte 1969 der bis dahin gängigen Bevormundung der Militärs durch die Beamten ein Ende gemacht. Fortan wirkten Soldaten und Zivilisten gleichberechtigt nebeneinander.
Seit aber der ehemalige Unteroffizier Leber ("Ich bin der Vater der Armee") der westdeutschen Streitmacht vorsteht, haben immer öfter die Militärs das letzte Wort. Ein alter Leber-Vertrauter bitter: »Generale mit knappem Lagevortrag sind für ihn grundsätzlich Ehrenmänner, Zivilisten, die rechtliche oder finanzielle Bedenken vorbringen, Nörgler aus Prinzip.«
Mit der Ernennung eines Generals zum Rüstungschef scheint Leber diese Entwicklung nun auf die Spitze treiben zu wollen. Auf der Hardthöhe und in der SPD zweifelt kaum jemand daran, daß der hervorragend beurteilte Offizier qualifiziert ist, zumal Schnell Erfahrungen als gelernter Betriebswirt und Jurist in sein neues Amt einbringt.
Bezweifelt wird freilich, ob Leber im Konfliktfalle dem General-Staatssekretär so widerstehen wird, wie er es bei seinem zivilen Vorgänger wenigstens hin und wieder über sich gebracht hat. Und bezweifelt wird auch, ob Schnell selbst sich seinen ehemaligen Kameraden mit ihren Forderungen nach immer teureren Waffen so überzeugend widersetzen kann, wie es der kühle Mann mehr als einmal getan hat.
»Jeder andere Minister hätte diesen Schritt riskieren können, nur Georg Leber durfte es nicht«, formulierte am Wochenende ein Spitzenbeamter des Verteidigungsministeriums nachdenklich. Seine Begründung: »Leber steht zu sehr im Verdacht, daß er Obristen zu Generalen macht und anschließend geistig vor ihnen strammsteht.«