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IRAN Gelbe Gefahr

Der Streit um das Atomprogramm im Gottesstaat ist nur vertagt: Nach dem Verhandlungskollaps droht eine neue Konfrontation.
aus DER SPIEGEL 33/2005

Geplant waren fünfwöchige Ferien fern vom politischen Alltag Washingtons, ungestört durch Krieg und Krisen. Doch kaum hatte sich George W. Bush zum längsten Urlaub eines US-Präsidenten seit 36 Jahren auf seine Ranch in Crawford zurückgezogen, wurde er in der texanischen Idylle durch die Zuspitzung im iranischen Nuklearstreit aufgeschreckt.

Vor den Augen der Welt öffneten Arbeiter in der Atomfabrik von Isfahan vergangene Woche Fässer mit gelbem Pulver - »yellow cake«. Das sandige Material, Urankonzentrat, ist der Stoff für die Großmachtträume der Islamischen Republik. Es dient nach der Anreicherung als Nuklearbrennstoff in zivilen Kernkraftwerken. Oder aber zum Bau von Atomwaffen.

Obendrein entfernten Techniker die Siegel der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA): »Irans Atomherz hat zu schlagen begonnen«, titelten Teherans Zeitungen, als die Umwandlungsanlage wieder auf Touren kam.

Mit der provokativen Geste, vom Vizechef der Nuklearverwaltung, Mohammed Saedi, als »großer Augenblick für das iranische Volk« gepriesen, mündete das monatelange Poker um Irans atomare Ambitionen in einer heftigen internationalen Konfrontation.

Nicht nur die nukleare Weltmacht USA wurde mit der Wende im Mullah-Staat herausgefordert - vor allem die Europäer sind bloßgestellt und blamiert: Waren nicht die Außenminister Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens vor zwei Jahren eigens nach Teheran geflogen, um Irans Führung zu überzeugen, von der Urananreicherung Abstand zu nehmen? Der erfolgreiche Coup des EU-Trios, das Teheran im vergangenen November eine zeitweilige Aussetzung von Umwandlung und Anreicherung abringen konnte, galt als Beweis für den Erfolg »weicher Diplomatie« - und als feiner Fingerzeig in Richtung der weniger duldsamen US-Neokonservativen.

Bis zur vergangenen Woche. Gedemütigt durch die einseitige Aktion Irans, beschwerte sich das EU-Trio nun über die »flagrante Missachtung« der »Pariser Vereinbarung« und forderte einen umgehenden Stopp aller Aktivitäten, die mit der Urananreicherung zusammenhängen. Selbst Russland, durch lukrative Nuklearprojekte - wie etwa der Fertigstellung des Atomkraftwerks Buschehr - eng mit Iran verbunden, empfahl dringend die Aussetzung der Urankonversion.

Derweil stritten die 35 Ländervertreter des IAEA-Gouverneursrates, zur Krisensitzung nach Wien gerufen und laut Satzung zur Einstimmigkeit verdammt, wie ein Kurswechsel in Iran auf den Weg zu bringen sei. Die USA, deren Delegierter den Bruch der Siegel als »neuerlichen Beweis für Irans Missachtung internationaler

Sorgen« brandmarkte, wollten die Androhung von Uno-Sanktionen festschreiben; Vertreter anderer Staaten, vor allem Brasilien, Argentinien und Südafrika, die selbst Uran anreichern, witterten dahinter allerdings »Sonderrestriktionen« gegen Irans zivile Nutzung von Atomenergie.

Sein Land habe nicht gegen internationale Abkommen verstoßen, zürnte Irans neuer Präsident Mahmud Ahmadinedschad, kaum dass sein Land ein schnell zusammengeschustertes Ersatzangebot der EU zurückgewiesen hatte - mangels fehlender amerikanischer Sicherheitsgarantien. Sie würden die »unbestreitbaren Rechte der Iraner mit den Füßen treten«, warf der Hardliner den Europäern vor.

Richtig ist, dass Teheran mit der Wiederaufnahme der Urankonversion noch nicht gegen internationales Recht verstoßen hat. Iran, Mitglied des Atomwaffensperrvertrags, ist gegenüber der IAEA nur verpflichtet, seine nuklearen Anlagen den Kontrolleuren der Aufsichtsbehörde zu öffnen. Weil Verstöße gegen diese Auflagen für Argwohn sorgten, sind seit Dezember 2003 in Isfahan Überwachungskameras der Uno-Behörde installiert.

Kein Grund zur Sorge, versicherte daher Irans IAEA-Chefunterhändler Cyrus Nasseri: »Wir wollen lediglich Uranbrennstoff herstellen, wir werden ihn nicht zu anderen Zielen zweckentfremden.«

Da bleiben Zweifel. Für das an Öl- und Gasvorkommen reiche Land macht die Konversion und Herstellung von angereichertem Kernbrennstoff und die Produktion eigener Brennstäbe für Irans einzigen Atommeiler keinen Sinn - und der soll erst Ende des Jahres ans Netz gehen.

Den IAEA-Delegierten in Wien fehlte es vergangene Woche nicht an politischer Phantasie und technischer Expertise, um den Streit zu entschärfen. Südafrika etwa bot an, iranisches Uran im eigenen Land anzureichern und die abgebrannten

Brennstäbe auch wieder zu entsorgen - ein Vorschlag, der weder bei den Europäern noch unter Irans Abgesandten auf Beifall stieß.

Nach mehrtägigem Sitzungsmarathon einigte sich der IAEA-Gouverneursrat auf einen wachsweichen Kompromiss. In einer Entschließung äußerte er seine »tiefe Besorgnis« und forderte den »dringenden Stopp« des Atomprogramms. Bis Anfang September soll Behördenchef Mohammed al-Baradei einen »umfassenden Bericht« über die Kontrolle von Irans Atomanlagen vorlegen. »Das ist nur ein Schluckauf in der laufenden Entwicklung«, hofft der IAEA-Direktor, »nicht aber ein totaler Bruch.«

In Wirklichkeit ist die Konfrontation nach diesem Verhandlungskollaps allenfalls aufgeschoben, denn von Teheran wurde die Resolution der Uno-Behörde als »nicht hinnehmbar« abgelehnt. »Wir werden uns nicht beugen«, erklärte die iranische Vertretung in Wien, »binnen zehn Jahren stellen wir Nuklearbrennstoff her.«

In den USA wecken diese Ankündigungen neue Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Iran. Als »Geschichte der Irreführungen« beschreibt das Nachrichtenmagazin »Newsweek« einen Report über »Irans nukleare Lügen«. Längst kursieren innerhalb der US-Administration Planspiele über mögliche militärische Optionen wie etwa die Bombardierung ausgewählter Atomanlagen.

»Ich bin äußerst misstrauisch«, erklärte George W. Bush zu den Absichten Irans, als er an seinem Urlaubsort vor die Kameras trat - und drohte Teheran mit dem Weltsicherheitsrat und neuen Wirtschaftssanktionen. Die IAEA-Resolution lobte der US-Präsident zwar als »positiven ersten Schritt« - doch an seiner Skepsis über die Absichten des Mullah-Regimes ließ er keine Zweifel.

»Wir werden genau hinsehen«, warnte Bush. »Wir wollen nicht, dass die Iraner nukleare Waffen besitzen.« STEFAN SIMONS

* Ex-Präsident Chatami (stehend), Revolutionsführer Chamenei (4. v. r.) bei der Amtseinführung von Staatschef Ahmadinedschad (3. v. r.) am 3. August in Teheran.

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