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STRAFVOLLZUG Geld im Knast

aus DER SPIEGEL 47/1965

Der Anwalt Wolfgang Schelte, 45, aus Unna in Westfalen sieht ständig »das grinsende Gesicht des römischen Sklavenhalters« vor sich. Die Alptraum-Fratze gehört dem Staat.

Denn laut Schelte herrschen in Westdeutschlands Strafanstalten »Zustände wie im alten Rom": Der Staat beute die Arbeitskraft der- Häftlinge aus und kassiere deren Lohn bis auf einen Bettelpfennig.

Allein das Land Nordrhein-Westfalen erzielte 1964 aus der Gefangenenarbeit Einnahmen von 43,4 Millionen Mark. Diese »obszöne Art, die Staatskasse zu füllen« (Schelte), ist nach Meinung des Anwalts

- ungesetzlich, weil sie sich lediglich auf Dienstanweisungen ohne Gesetzeskraft stütze;

- eine Enteignung und ein Verstoß gegen das Grundgesetz;

- ein Verstoß gegen die Verfassung von Nordrhein-Westfalen, die bestimmt: »Der Lohn muß der Leistung entsprechen«;

- Sklaverei und mithin ein Verstoß gegen die Menschenrechts-Konvention. Seit Juli dieses Jahres hat der Häftlingsadvokat 16 Musterprozesse in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg eingeleitet,

um den letzten Staatssklaven zu helfen. Er vertritt dabei Untersuchungs-Häftlinge, Gefängnis- und Zuchthaus-Insassen, Sicherungsverwahrte und Arbeitshäusler. Sein Grundsatz: Die gesetzliche Lohngarantie enthalte keine Ausnahme für Strafgefangene.

Auf einem Uno-Kongreß in London verkündeten schon 1960 internationale Strafrechts-Experten den Leitsatz, die Gewährung »einer reinen Anerkennungsbelohnung« für Gefangenenarbeit sei »mit der gegenwärtigen Auffassung vom Strafvollzug unvereinbar«.

Die Justizminister der Bundesländer befanden hingegen auf ihrer Konferenz Ende Oktober in Bremen, ein »Rechtsanspruch auf Arbeitslohn« stehe dem Gefangenen »nicht zu«. Die Minister befürchteten überdies, »die Gewerkschaften würden sich ganz sicher dagegen wehren, daß der Gefangene dem freien Arbeiter gleichgestellt wird« (so Hamburgs Gefängnis-Senator Kramer) und daß »ein Rennen nach den günstigsten Arbeitsplätzen ... in den Anstalten« einsetzen würde (so Nordrhein-Westfalens Justizminister Sträter).

Und Schleswig-Holsteins Justizminister Leverenz rechnete am Beispiel seines Landes vor, wie teuer die volle Knastologen-Entlohnung den Staat käme: Der Strafvollzug koste jährlich 10,6 Millionen Mark, nur 2,9 Millionen davon stammten aus Häftlingsverdiensten.

Westdeutsche Häftlinge bekommen für ihre Arbeit im Normalfall eine Mark je Tag: 50 Pfennig werden für den Einkauf von Tabakwaren und Lebensmitteln ausgezahlt, 50 Pfennig werden zwangsgespart und erst bei der Entlassung als Starthilfe ausgehändigt.

Dabei ist völlig gleichgültig, ob die Häftlinge 'nach herkömmlichem Knast-Brauch Matten flechten und Tüten kleben, den Bauern bei der Feldarbeit helfen oder aber Flaschenverschlüsse, Elektroartikel oder Federn für das Volkswagenwerk anfertigen - alles Tätigkeiten, die nach dem orts- und branchenüblichen Tarif bezahlt werden müssen.

Am Beispiel eines Klienten, der elf Monate lang im Gleisbau bei der Bundesbahn tätig war, hat Anwalt Schelte errechnet, was für den Staat dabei herausspringt: 6171 Mark. Unter diesen Umständen ist es für Schelte nicht verwunderlich, wenn die Häftlinge ihre Arbeit nur widerwillig verrichteten. Und: »Von Resozialisierung kann da keine Rede sein.«

Schelte kritisiert darüber hinaus,

- daß die Familien der Häftlinge durch den Verdienstausfall quasi mitbestraft würden und

- daß die karge Entlohnung den Häftlingen oft keine Möglichkeit gibt, Schadenersatzansprüche der durch die Tat Betroffenen zu befriedigen. Der Anwalt der Gestrauchelten sieht sich in seiner Forderung nach voller Entlohnung der Häftlinge in Übereinstimmung mit so renommierten Rechtsgelehrten wie dem Saarbrücker Strafrechtler Professor Maihofer. Für, den Vorsitzenden des Strafrechtsausschusses im Bundestag, den ehemaligen Generalbundesanwalt Max Güde (CDU), sind solche Bestrebungen allerdings »unwirklichkeitsnaher Idealismus«.

*fab: Abkürzung des englischen Wortes fabulous = fabelhaft.

Westdeutsche Häftlinge bei der Arbeit: Wie im alten Rom?

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