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ITALIEN Geld ins Büro

Nächst Holland und Japan wird Italien am heftigsten vom Lockheed-Skandal erschüttert. Drei Ex-Minister stehen unter Anklage. Sie halten die Beschuldigungen für »teuflische Machenschaften«.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Der Minister wünschte Bargeld, keine Schecks. Ein Beauftragter des US-Konzerns Lockheed brachte daraufhin die vereinbarte Rate, rund hundert Millionen Lire, im Diplomatenköfferchen ins Ministerbüro.

Dort stellte der Empfänger das Mitbringsel erst mal beiseite, angeblich direkt neben die italienische Fahne, die im Chefzimmer italienischer Ministerien fast immer aufgepflanzt steht.

Die Geldübergabe vom Juni 1970, allem Anschein nach an den damaligen Verteidigungsminister Mario Tanassi, ist gleichsam das Kernstück der Lockheed-Affäre, Kapitel Italien. Vor einer parlamentarischen Untersuchungskommission in Rom läuft derzeit ein sensationelles Korruptionsverfahren gegen Tanassi, seinen Amtsvorgänger Luigi Gui sowie gegen den fünfmaligen Ministerpräsidenten Mariano Rumor.

Ähnlich wie in Holland, wo Prinz Bernhard wegen einschlägiger Vorwürfe seine öffentlichen Ämter verlor, ähnlich auch wie in Japan, wo der frühere Regierungschef Tanaka in Bestechungsverdacht geriet und in diesem Monat seinen Prozeß erwartet, erschüttert der Lockheed-Skandal auch in Italien das politische Establishment. »Drei Minister auf der Anklagebank«, schrieb der Mailänder »Corriere della Sera«, »das hat es in 30 Jahren Republik noch nicht gegeben.«

Daß Lockheed beim Verkauf von 14 Flugzeugen vom Typ C-130 »Hercules« 1970/71 satte Schmiergelder zahlte, ist zwar längst erwiesen. Insgesamt, so ergaben Recherchen des Washingtoner Senats-Ausschusses unter Frank Church, machte der kalifornische Konzern fast zwei Millionen Dollar locker, um die Römer zum Kauf zu überreden.

Doch in den Lockheed-Unterlagen über diese »Sonderspesen« ist kein Politiker namentlich als Empfänger vermerkt. Es heißt dort nur diskret: »Zuwendungen an die Partei des Ministers« oder »Kompensation für früheren Minister und sein Team«.

Folge dieser Umstände: Die Untersuchungskommission hat große Mühe nachzuweisen, welche Personen die »Tangenten« (so der italienische Fachausdruck) tatsächlich kassierten -- für sich oder ihre Partei.

»Ich nahm von Lockheed keine Lira«, entrüstete sich Christdemokrat Gui beim Verhör Mitte Dezember, Parteifreund Rumor sieht sich als »Opfer eines schäbigen Spekulationsmanövers": Der Lockheed-Lobbyist Ovidio Lefebvre D"Ovidio habe damals beim Konzern mit seiner Bekanntschaft zum Ministerpräsidenten (Rumor) geprahlt, um selber Riesensummen herauszuschlagen.

Und der Sozialdemokrat Tanassi bemühte ähnliche Erklärungen: Den Korruptionsvorwurf nannte er verleumderisch; Ovidio Lefebvre und ein zeitweilig in Rom tätiger Lockheed-Zahlmeister namens Cowden hätten »teuflische Machenschaften« ausgeheckt, um sich selbst zu bereichern.

Sowohl Ovidio Lefebvre, Graf von Balsorano di Clunière, wie auch sein Bruder Antonio, ein schwerreicher Anwalt, Schiffsbesitzer und Seerechts-Professor, sind in der Lockheed-Affäre wegen Korruption angeklagt. Das Duo zog die Drähte bei der panamaischen Briefkastenfirma Tezorefo, einer Schmiergeld-Schleuse, in der möglicherweise ein beträchtlicher Teil der Lockheed-Tangenten hängenblieb. Ovidio nahm im Frühjahr 1976 Reißaus nach Mexiko.

So lag es für Rumor und Tanassi nahe, alle Schuld auf den zwielichtigen Flüchtling und seinen Clan abzuwälzen.

Wohl steht fest, daß Rumor im März 1969 zwei Top-Manager von Lockheed zusammen mit Ovidio Lefebvre empfing. Aber Rumor behauptet, man habe dabei nur »von Geschäften im allgemeinen« gesprochen und, »soweit ich mich erinnere, nicht vom Hercules-Kauf«.

Wenige Tage nach jenem Treffen schrieb der Lockheed-Berater Roger B. Smith aus dem römischen Grand Hotel jenen berühmt gewordenen Brief an einen Kollegen in den USA, in dem er die notwendigen »Kompensationen für Dritte« erläutert. Laut Lefebvre, so der Amerikaner, würden die Lockheed-Leute von »Antelope Cobbler« erfahren, »wieviel die Partei verlangt«.

Wer mit dem Codenamen »Antelope Cobbler« gemeint war, blieb zunächst schleierhaft. Italienische Zeitungen begannen sogleich eine Art Jagd auf ihn. Vorübergehend verdächtigten sie sogar den Staatspräsidenten Leone.

Schließlich, im Juni 76, wurde das Codebuch der Lockheed-Agenten publik: »Antelope Cobbler« stand für »italienischer Ministerpräsident«. Und als Ministerpräsident amtierte 1969 nun mal Mariano Rumor. Doch der angeklagte Christdemokrat wertet gerade den Antelopen-Brief als klaren Beweis dafür, daß der Lobbyist Lefebvre »mit dem Prestige des Ministerpräsidenten spekulierte«.

Im Unterschied zu Rumor müssen sich die Ex-Minister Gui und Tanassi nicht nur wegen Korruption, sondern auch wegen schweren Betrugs am Staat verantworten. Denn während der »Hercules«-Verhandlungen, »von einer Schmiergeldtüte zur nächsten« (so das Magazin »Panorama"), erhöhte Lockheed den Preis für jede Maschine von 2,7 auf 3,8 Millionen Dollar -- Gui wie Tanassi akzeptierten. Auf diese Weise ließen sich die Amerikaner zudem noch die Kosten für Schmiergelder und Provisionen von Rom erstatten.

Von den drei prominenten Angeklagten ist Tanassi am stärksten kompromittiert. Der Untersuchungs-Ausschuß wirft dem Sozialdemokraten beispielsweise seine engen Kontakte zu Camillo Crociani vor, jenem 1976 ins Ausland geflüchteten Manager, dessen Firma »Com. El.« 224 000 Lockheed-Dollars einsteckte, zur »Zahlung an den Minister«.

Gegen Tanassi spricht nicht zuletzt auch die Story mit dem Geldkoffer: Ein Zeuge sagte aus, daß der Koffer damals, an einem Junitag 1970, dem Verteidigungsminister persönlich übergeben wurde. Dagegen Tanassi vor dem Ausschuß: »Nur ein Trottel läßt sich das Geld ins Büro bringen, wo andere Angestellte alles sehen könnten. Halten Sie mich für einen Idioten?«

Wenn Senat und Abgeordnetenhaus befinden, daß genügend Beweise gegen die Ex-Minister vorliegen, geht der Fall direkt vors Verfassungsgericht.

Italiens KP ist entschlossen, den Lockheed-Skandal nicht -- wie frühere Bestechungsaffären -- versanden zu lasscn. Sie nützt die Vorwürfe gegen Rumor, Gui und Tanassi geschickt, um zur »Moralisierung des öffentlichen Lebens« aufzurufen.

Roms Christdemokraten möchten zumindest Rumor und Gui reinwaschen. Manche ihrer Funktionäre nennen die Lockheed-Empörung »schlicht Heuchelei«, da doch vor Einführung der öffentlichen Parteienfinanzierung 1974 fast alle Parteien regelmäßig »Tangenten« kassierten.

Nur für Tanassi mag sich kein Parlamentarier recht einsetzen. Der Skandal hat die Karriere des einstigen sozialdemokratischen Parteichefs wohl für immer ruiniert. Dem verbitterten Angeklagten gehen deshalb schon mal die Nerven durch -- etwa wenn er gegen die Skandal-Enthüller des amerikanischen Church-Ausschusses loslegt.

Tanassi: »Mit so windigen Methoden kann man sogar den Papst anklagen, daß er kleine Mädchen auf der Strandpromenade vergewaltigt.«

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