GESCHENK-SENDUNGEN Geld statt Gaben
Da die Regierung in Pankow des erbetenen Milliardenkredits aus Bonn entraten muß, ist Handelsminister Julius Balkow auf eine Idee verfallen, die der Zone unmittelbar zu westdeutschem Geld verhelfen soll. Sein Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel in Ostberlin will die Bundesbürger veranlassen, ihren Verwandten künftig nicht Pakete, sondern harte D-Mark zu schicken.
Aus den Kontrollberichten der Postämter konnten Balkows Mitarbeiter errechnen, daß jährlich westdeutsche Waren im Gesamtwert von 500 bis 600 Millionen Mark als Geschenksendungen in die Zone gehen. Käme statt der Waren bares Geld in gleicher Höhe herein, so kalkuliert das Ministerium, könnte damit die beständig schwache Devisenkasse der DDR aufgefüllt werden.
Deshalb lautet Balkows Rezept: Geschenksendungen sollen künftig nicht mehr kostenfrei in die Zone hereingelassen, sondern mit mehr oder weniger hohen Zöllen belegt werden. Die rechtliche Möglichkeit dazu hat die Zonenregierung mit dem Zollgesetz vom 28. März dieses Jahres geschaffen, das ihre These von der Existenz zweier deutscher Staaten untermauern soll.
Durch amtliche Bekanntmachung und Veröffentlichungen sollen die bisherigen Empfänger und Absender darauf hingewiesen werden, daß künftig Lebensmittel sowie unter Umständen auch Artikel, die von dem bisherigen Paketversand ausgeschlossen waren, gegen westdeutsche Mark, Dollar oder andere harte Währungen in besonderen Läden der Zone erhältlich seien.
Die Differenz zwischen den Ein- und Verkaufspreisen der zuvor von Balkows Interzonenhändlern in der Bundesrepublik eingekauften Waren käme dann dem DDR-Devisenkonto zugute. Überdies ist geplant, auch einen Teil der für Normalverbraucher kaum oder nur nach langer Wartezeit zu ergatternden Artikel aus der Zonen-Produktion in das Sortiment der Verkaufsstellen einzubeziehen.
Um den Gebrauchswert der Idee zu dokumentieren, verwiesen die Ostberliner auf das Beispiel ihrer sozialistischen Nachbarn in der CSSR. Die Tschechen, deren gesunder Geschäftssinn auch unter dem kommunistischen System nicht gelitten hat, praktizieren den Detailverkauf rarer Konsumgüter und Genußmittel gegen harte Valuta bereits seit Jahren mit wachsendem Erfolg.
In den Filialen der tschechoslowakischen Staatsbank kann jeder Käufer westliche Valuten zum Kurs von einem Dollar = 7,20 Kronen in sogenannte Valuta-Kronen umtauschen. Ein Nachweis über den Erwerb der Devisen wird nicht verlangt. Die Prager Behörden wissen ohnedies, daß der größte Teil des Geldes von Auslandstschechen stammt, die ihre im Lande verbliebenen Angehörigen und Freunde auf diese Weise unterstützen.
Den Besitzern von Valuta-Kronen stehen die 15 in den größeren Städten eingerichteten Kaufhäuser der staatlichen Tuzex-Handelsgesellschaft offen, die außer qualitativ hochwertigen Exportwaren der einheimischen Produktion zahlreiche ausländische Erzeugnisse anbieten.
Bei Tuzex kosten zum Beispiel, in Mark umgerechnet:
- 20 deutsche Filter -Zigaretten 1,80 Mark,
- französischer Kognak 18,40 Mark,
- schottischer Whisky 17,80 Mark,
- Kaffee, pro Kilo 14,00 Mark,
- Herrenhalbschuhe 36,30 Mark.
Das Tuzex-Sortiment umfaßt alle Arten von Lebensmitteln, Textilien, Lederwaren, französische Kosmetika, Möbel, Schmuck, Porzellan, Schreibmaschinen, Musikinstrumente, optische und Elektro-Geräte. Die Organisation liefert sogar ausländische Automobile (Beispiel: Fiat 600 zum Preis von 4070 Mark), Baumaterial und ganze Wochenendhäuser (für 4000 Mark).
Das Hartwährungssystem erfreut sich bei den Tschechen mit Auslandsbeziehungen großer Beliebtheit. Anstatt Pakete mit oft nicht einmal benötigten Dingen zu erhalten, haben sie die Möglichkeit, ihr Geld zu sparen, um damit die Anschaffung von Gütern zu finanzieren, die sonst nur nach langen Wartezeiten oder nur zu stark überhöhten Preisen zu haben sind. So kostet etwa ein Personenauto des tschechischen Typs Skoda Oktavia - bei zweijähriger Lieferfrist - 36 000 Kronen normaler Währung (durchschnittlicher Monatsverdienst 1400 Kronen), aber nur 9000 Tuzex-Kronen (5020 Mark) bei sofortiger Lieferung.
Um nach derselben Methode Devisen für die Sowjetzone heranzuschaffen, haben Julius Balkows Ministerialbeamte dem SED-Politbüro den Ausbau eines bislang nur kümmerlich dahinvegetierenden Staatsunternehmens vorgeschlagen: der Geschenkdienst und Kleinexport GmbH. Die abgekürzt »Genex« genannte Firma versorgt seit einiger Zeit westliche Aussteller der Leipziger Messe mit französischem Kognak und amerikanischen Zigaretten.
Durch Klebezettel auf Interzonen -Paketen hatte die Gesellschaft auch schon bundesdeutschen Postbenutzern angeboten, mit Westmark bezahlte Lebensmittelpakete an DDR-Bewohner zu versenden. Das Geschäft florierte jedoch nicht. Walter Ulbrichts Untertanen zogen Geschenksendungen aus der Bundesrepublik den Genex-Paketen vor. Außerdem hatten sie bis zum 13. August 1961 die Möglichkeit, ihr Geld in Westberlin gegen Westmark einzutauschen und dafür westliche Erzeugnisse ihrer Wahl zu erwerben.
Seit dem Bau der Mauer ist den Zonenbewohnern der Weg ins Einkaufszentrum Westberlin verlegt. Balkows Experten dürfen deshalb jetzt auf einiges Interesse der eingemauerten Verbraucher rechnen, und zur Drosselung des Paketstroms bedarf es nur administrativer Zollverordnungen.
Obwohl unter den westlichen Verwandten von Zonenbewohnern wenig Neigung besteht, Ulbrichts Devisennöten abzuhelfen, könnten sich die Paketversender von der Einführung der Tuzex-Verkaufsmethode immerhin einen Vorteil erhoffen: Durch die Überweisung von Bargeld wäre ausgeschlossen, daß wie bisher das eine oder andere Liebesgabenpaket den Adressaten überhaupt nicht erreicht, sondern auf mysteriöse Weise als »Freundschaftspaket der DDR« beispielsweise bei Fidel Castros Kubanern landet.
Zonen-Handelsminister Balkow
D-Mark für DDR-Bürger