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THYSSEN-BANK AG Geld zwischen den Konten

aus DER SPIEGEL 48/1961

Hinter dem Eisernen Vorhang des sogenannten Bankgeheimnisses wikkelten sich während der vergangenen Monate bei Westberliner Geldinstituten Scheck- und Wechselgeschäfte in Millionenhöhe ab, als deren Folge inzwischen

- die August Thyssen-Bank AG Berlin um ihr gesamtes Aktienkapital in Höhe von 16 Millionen Mark gebracht sowie

- drei leitende Angestellte der Bank und drei Kaufleute in das Berliner Untersuchungsgefängnis eingeliefert worden sind.

Zwei der Kaufleute, der 34jährige Karl -Heinz Wemhoff und sein Branchenfreund Gerhard Dominowski, 51, sind vornehmlich dem Autohandel verbunden gewesen. Dem Kaufmann Wemhoff gehört unter anderem die Autokredithandel OHG, und Dominowski ist Alleineigentümer des Autohandelshauses Ricci -Automobile.

Das fachliche Interessengebiet der beiden ist indes so weitreichend, daß sie sich auch in Grundstücksgeschäften und Exportfinanzierungen auskannten. Schließlich besaß Wemhoff, der einmal wegen angeblichen Wirtschaftsvergehens in Waldheim eingesessen hat, Erfahrungen im illegalen Ost-West-Handel, und Dominowski

war in Fragen der Finanzierung von Waffenlieferungen nach Übersee firm.

Auf ihre ersprießliche Geschäftsverbindung fiel Mitte dieses Jahres ein Schatten, als der ältere von beiden seinem Kontrahenten mit einem Scheck über 1,3 Millionen Mark gezahlt hatte und daraus Ärgernis entstand. Empfänger Wemhoff nämlich reichte den Scheck bei einer seiner Hausbanken, der Thyssen-Bank ein, wo der Betrag von dem ihm gut bekannten Prokuristen Gericke gutgeschrieben wurde. Der Scheck war auf die Deutsche Ueberseeische Bank AG Berlin ausgestellt, die sowohl Wemhoff wie Dominowski zu ihren Kunden zählte.

Als jedoch Thyssen-Bank-Prokurist Gericke den Scheck bei der Ueberseeischen Bank präsentieren ließ, meldete diese, der Scheck sei ungedeckt. Zu den Obliegenheiten Gerickes hätte es nun gehört, diese Panne dem in Düsseldorf residierenden Vorstand der Thyssen -Bank AG zu melden. Gericke aber, der bereits in seiner früheren Stellung als Filialleiter der Berliner Bank seine Kompetenzen überschritten hatte und deswegen entlassen worden war, fürchtete um seinen Posten.

Anstatt den Vorfall zu melden, überwies er den zur Deckung des Schecks erforderlichen Betrag an die Deutsche Ueberseeische Bank. Er »schaffte Dekkung an«, wie es im Jargon der Bankiers heißt. Auf diese Weise blieb seine Fahrlässigkeit nicht nur vor der aufsichtführenden Hauptverwaltung in Düsseldorf verborgen, die höchstens alle 14 Tage in Berlin nach dem Rechten sah. Durch die Überweisung wurde gleichzeitig verhindert, daß Dominowskis Millionen-Scheck im Clearing-Verfahren der Landeszentralbank Berlin auftauchte.

Dominowskis Bemühungen, die Scharte auszuwetzen und wieder Geld heranzuschaffen, litten darunter, daß seine Warengeschäfte ihm nur wenig Gewinn einbrachten. Besonders einige Transaktionen, von denen er sich hohen Profit erhofft hatte, waren zu seinem Nachteil ausgeschlagen.

Der gleichfalls vorbestrafte Dominowski - verurteilt wegen Handels mit nachgeprägten Goldmünzen - hatte sich an der Finanzierung von Waffenlieferungen beteiligt, die von seinem Geschäftspartner aus langjährigen VW-Exporten nach Amerika, dem Hamburger Autohändler Heinrich Hake, einem Pastorensohn, in Gang gebracht worden waren. Aber einmal wurde ein Flugzeug, das schwedische Bazookas transportierte, in Algerien von französischen Jagdfliegern zur Landung gezwungen. Ein anderes Mal brachten französische Kriegsschiffe einen mit Waffen und Munition beladenen Frachter, die »Tigrito«, auf. Da demzufolge die Bezahlung der vorfinanzierten Lieferungen ausblieb, geriet Dominowski in arge Finanznöte. Wemhoff andererseits mußte sich bemühen, das von Gericke aufgerissene Loch bei der Thyssen-Bank zu stopfen.

Beide Händler gingen deshalb dazu über, sich durch die Vordatierung von Schecks flüssige Mittel zu verschaffen. Einige der mit ihnen in Geschäftsverkehr stehenden Banken ließen sich auf dieses ungewöhnliche Verfahren ein. In Erwartung, daß am Fälligkeitstag Geld auf dem betreffenden Konto sein würde, lösten sie die Schecks ein. Da auf diese Weise jeder neue Scheck dazu dienen muß, den vorangegangenen bei Fälligkeit einzulösen, nennen die Bankiers diese Methode »Scheckreiterei«.

Dominowski verstand es, auch auf andere Weise Mittel anzuschaffen. Dabei war es von Vorteil für ihn, daß sein Büro in Berlins Fasanenstraße 4 eine Etage über den Geschäftsräumen der Deutschen Ueberseeischen Bank lag. Eines Tages beispielsweise rief die Berliner Privatbank Neumann & von Massenbach bei ihm an und erklärte, auf seinem Scheckkonto in ihrem Hause seien Schulden in Höhe von 400 000 Mark aufgelaufen. Falls er nicht Geld einzahle, würden die inzwischen vorliegenden Schecks zurückgeschickt.

Daraufhin begab sich Dominowski ein Stockwerk tiefer und kaufte bei der Deutschen Ueberseeischen Bank 100 000 US-Dollar. Er bezahlte sie mit einem Scheck, gezogen auf sein Konto bei Neumann & von Massenbach. Die Dollars deponierte er anschließend bei eben dieser Bank, so daß sein Konto wenigstens so lange wieder aufgefüllt und er kreditwürdig war, bis die Ueberseeische den Scheck einreichte. Die Dollarpakete wanderten tagelang zwischen beiden Banken hin und her, das jeweils aufgerissene Finanzloch wieder stopfend.

Allerdings kosteten Kredite und Überziehungen dieser Art viel Geld. Die Beträge auf den vordatierten Schecks wurden deshalb immer größer und gingen bald in die Hunderttausende.

Als es schwieriger wurde, die Schecks unterzubringen, mußte der Thyssen -Bank-Prokurist Gericke abermals einspringen, später auch der Prokurist Müller und der Bankbevollmächtigte Forner. Von den beiden Scheckreitern gedrängt, ließen sie sich dazu herbei, die Schecks mit einem Brief zu komplettieren, laut dem die Thyssen-Bank dafür garantierte, daß die Schecks am Fälligkeitstage eingelöst würden und zwar »unabhängig vom Kontostand« der Herren Dominowski oder Wemhoff.

Mit derartig aufgewerteten Schecks konnten die beiden Händler nicht nur bei Neumann & von Massenbach sondern auch bei den Bankhäusern Ernst Decot und Otto Scheurmann in Berlin zum Zuge kommen.

Karl-Heinz Wemhoff berichtete später, daß diese Scheckritte mit erheblichen Sonderkosten verbunden gewesen seien. So habe ihm der Juniorchef Neumann für die Honorierung seiner mit Gericke-Garantie ausgestatteten Schecks allein in drei Monaten 236 000 Mark schwarze Provision abverlangt und den Betrag, ohne eine Quittung auszustellen, einkassiert.

Das Geld sei ihm sowohl in großen wie in kleinen Summen abgefordert worden: »In Gegenwart seines Vaters ließ er (Neumann junior) mich zum Beispiel in sein Zimmer kommen und sagte: 'Sie haben heute wieder 600 000 Mark gezogen, ist das nicht ein bißchen viel? Was geben Sie aus, wenn ich die Schecks nicht zurückgehen lasse?' Ich bot ihm 500 Mark, aber er lachte nur und forderte 2000 Mark. Schließlich einigten wir uns auf 1000 Mark. Als ich das Geld auf den Schreibtisch legte, sagte Neumann Senior plötzlich: 'Na und ich?' Und es blieb mir nichts weiter übrig als nochmals 1000 Mark ... zu zahlen.«

Um für die Übergabe solcher Provision Zeugen zu beschaffen, will Wemhoff einmal ein Geldbündel im Wert von 40 000 Mark bei Neumann & von Massenbach an den Bankangestellten vorbei in das Chefzimmer getragen haben und mit leeren Händen wieder herausgekommen sein. Wemhoff behauptet überdies, nicht nur er, sondern beispielsweise auch der ihm bekannte Kaufmann Alfred Barg, der ebenfalls von der Thyssen -Bank garantierte Schecks und Überweisungen bei Neumann & von Massenbach unterzubringen pflegte, habe hohe Provisionen entrichtet.

Auf Befragen beantwortet der Bankier Wolfgang Neumann diese Vorwürfe mit der Erklärung, er habe seinen Kunden durchaus normale Sätze abgefordert; Vater Neumann reagiert auf die gleichen Fragen mit einem Weinkrampf.

Da das Scheckgeschäft ihnen immer nur für einige Tage Luft verschaffte, versuchten Wemhoff und Dominowski, auf Wechsel mit zwei oder drei Monaten Laufzeit umzusteigen. So wurden plötzlich der Commerzbank in Herford, der Bank für Gemeinwirtschaft in Kassel und anderen Instituten Wechsel der Berliner Autohändler angeboten.

Im September tickte über die Fernschreiber westdeutscher Finanzmakler auch ein Angebot der Firma Zentraleuropäischer Bau-, Boden-, Finanz- und Patent-Trust aus Vaduz. Das Liechtensteiner Unternehmen bot allen einschlägig Interessierten Wemhoff-Wechsel über insgesamt fünf Millionen Mark zu 99,5 Prozent der Wechselsummen und sieben Prozent Jahreszins (normaler Zinssatz 3,5 Prozent) an. Auch diese Wechsel, so meldete Vaduz, seien mit dem Vermerk versehen, die Thyssen-Bank AG Berlin übernehme die unwiderrufliche Einlösungsgarantie.

Aussteller der Wechsel war Wemhoffs Firma Autokredithandel, Bezogener die gleichfalls Wemhoff gehörende Firma Autohaus Bohmer in Mönchengladbach und Girant (der die Wechsel weiterreicht) Dominowskis Autohaus Ricci. Die Abwicklung, so hieß es, sollte über das Bankhaus Decot laufen.

Die Düsseldorfer Vorgesetzten der ungetreuen Bankbeamten merkten von alledem nichts. Als erste wurde vielmehr die Landeszentralbank Berlin mißtrauisch. Aus den ihr zugeleiteten Abrechnungen war ersichtlich, daß der außerordentlich schnelle und voluminöse Scheck-Umschlag der Autohändler unmöglich ihrem tatsächlichen Warenumsatz entsprechen konnte. Landeszentralbank-Vizepräsident Gust, der Wemhoff schon einmal im sogenannten Selbstermittlungsverfahren unter die Lupe genommen hatte, schloß am 23. Oktober 1961 Wemhoff, Dominowski sowie den Auto- und Filmkaufmann Barg ("Zarte Haut in schwarzer Seide") von der allgemeinen Abrechnung aus. Die Banken durften deren Schecks von sofort an nicht mehr im Zentralbanksystem abrechnen.

Ehe die solcherart in die Enge getriebenen Scheckreiter auf die rettenden Wechsel umsatteln konnten, platzte nun auch der erste Scheck. Wemhoffs Freund, der Finanzmakler Leo Rabinowitz, dem Branchenkenner das Bonmot »Wenn Sie haben kein Geld, müssen Sie machen das Geld zwischen den Konten« zuschreiben, hatte von ihm einen Scheck über 500 000 Mark angenommen*.

Der Scheck war auf die Berliner Handels-Gesellschaft ausgestellt und auch von den Thyssen-Bank -Prokuristen garantiert. Als das Papier jedoch dem Bankhaus Berliner Handels-Gesellschaft schon vor dem vermerkten Ausstellungsdatum vorgelegt wurde, schöpfte das Bankhaus Verdacht und alarmierte den Vorstand der Thyssen-Bank in Düsseldorf.

Die Bankbeamten Gericke, Müller und Forner wurden sofort fristlos entlassen und wanderten in Untersuchungshaft. Wegen des Verdachts, bei der Scheckreiterei Hilfestellung geleistet zu haben, flog auch Rabinowitz ins Loch.

Doch bevor er sich vom Chauffeur in seinem grauen Opel-Kapitän mit dem Kennzeichen B-NT-984 zur Kriminalpolizei fahren ließ, klagte er als erster gegen die Thyssen-Bank auf Erfüllung des Zahlungsversprechens ihrer Prokuristen. Die Bank weigerte sich zu zahlen, da ihres Erachtens jedermann hätte erkennen müssen, daß die Bankbeamten ihre Befugnisse überschritten hätten. Das Gericht ordnete an, daß die Bank bis zur endgültigen Klärung die 500 000 Mark hinterlegen muß.

Am 13. November klagte das Bankhaus Neumann & von Massenbach auf Erfüllung von Zahlungsgarantien der Thyssen-Bank für 2,2 Millionen Mark. Auch den Inhabern der einklagenden Bank warf Thyssen-Bank-Anwalt Auert vor, sie hätten wissen müssen, daß Handlungsbevollmächtigte keineswegs über ein Achtel des Grundkapitals ihrer Bank verfügen könnten, um Überweisungsaufträge zu garantieren. Auert zitierte den inhaftierten Wemhoff wegen der Zahlung schwarzer Provisionen, die eindeutig auf »krumme Geschäfte« schließen ließen, und erklärte, die Neumanns hätten »bei der größten Wechsel - und Scheckreiterei aller Zeiten« Hilfestellung geleistet.

Rechtsanwalt Quack konterte daraufhin namens der nicht erschienenen Kläger, ein Skandal sei die Sache doch wohl nur deshalb, weil einer nicht bezahle

- die Thyssen-Bank. Das Gericht entschied, daß die Bankiers Neumann Vater und Sohn in einer zweiten Verhandlung aussagen sollen.

Am Donnerstag vergangener Woche schließlich verlangte auch das Berliner Bankhaus Scheurmann in einem Urkundenprozeß Beträge über 1,8 Millionen Mark. In diesem Fall handelte es sich um Wemhoff-Überweisungsaufträge, die von den Angestellten der Thyssen-Bank garantiert worden waren. Die Thyssen-Bank wurde zur Zahlung der 1,8 Millionen Mark verurteilt. Bis jetzt sind gegen die Thyssen-Bank, die in keiner Kapitalverbindung zur August-Thyssen-Hütte AG an der Ruhr steht, sondern zur Gruppe Thyssen-Bornemisza des 40jährigen Hans Heinrich Baron Thyssen-Bornemisza gehört, Forderungen in Höhe von rund 18 Millionen erhoben worden*. Nach einem Gespräch mit Bundesbank-Präsident Blessing zahlte Thyssen zur Sicherung dieser Ansprüche sofort 18 Millionen Mark auf ein Konto der Berliner Landeszentralbank.

Selbst für den Fall, daß der Schaden noch höher sein sollte, brauchen die Einleger der Thyssen-Bank nicht um ihre Gelder zu bangen. Die auf 500 Millionen Mark Vermögen geschätzte Gruppe Thyssen-Bornernisza hält so viele Reserven bereit, daß einer Verlautbarung aus Düsseldorf zufolge in der Jahresbilanz 1961 der Thyssen-Bank AG von den Vorfällen- »kein Stäubchen« zu sehen sein wird.

* Rabinowitz wurde Im Jahre 1956 In Israel wegen Scheckreiterei zu einem Jahr Gefängnis verurteilt und nach acht Monaten Strafverbüßung entlassen.

* Zur Thyssen-Bornemisza-Gruppe gehören die Thyssenschen Gas- und Wasserwerke in Duisburg-Hamborn, die Bergwerksgesellschaft Walsum mbH, die Stahl- und Röhrenwerk Reisholz GmbH bei Düsseldorf, die Bremer Vulkan Schiffbau- und Maschinenfabrik, die Flensburger Schiffsbau-Ges. und zwei holländische Unternehmen.

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