WOHNUNGSBAU Gemeinnütziger Ausverkauf
Der Bundeswohnungsbauminister und CDU-Eigenheim-Ideologe Paul Lücke ist auf dem besten Weg, seinem Kollegen Theo Blank im Vorlegen umstrittener Gesetzentwürfe den Rang abzulaufen. Waren es bisher vornehmlich der halblinke Mieterbund, die Gewerkschaften und die Sozialdemokraten, die gegen seine beiden Gesetze für den Abbau der Wohnungszwangswirtschaft und die Reform des Bau- und Bodenrechts Sturm liefen, so hat er sich seit der Haushaltsberatung des Deutschen Bundestags in der vorletzten Woche auch die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zum Feind gemacht.
Der Minister überraschte das Parlament mit der Ankündigung, die Bundesregierung bereite ein »Wohnungswirtschaftsgesetz« vor, das unter anderem eine »notwendige Reform des Gemeinnützigkeitsrechtes« enthalten werde. Postwendend meldete der Kölner Gesamtverband gemeinnütziger Wohnungsunternehmen »scharfe Proteste« und »schwere Bedenken« gegen Lückes neuen Plan an.
Die ablehnende Reaktion aus Köln kommt nicht von ungefähr. Lückes Vorstoß trifft den empfindlichsten Nerv von über 2000 gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Er möchte mit seinem Gesetzentwurf
- allen Inhabern von Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus, die aufgrund ihrer gestiegenen Einkommen keinen Anspruch mehr auf sozialfinanzierten Wohnraum haben, kündigen und
- den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen zur Auflage machen, Mietwohnungen und Miethäuser, die im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln errichtet worden sind, an kaufwillige Mieter zu veräußern.
Lückes Reformplan geht auf einen Packen Briefe zurück, die den Minister während seiner dreijährigen Amtszeit erreichten. Die Absender hatten sich darüber beschwert, daß annähernd ein Fünftel aller Sozialwohnungen mit bundesdeutschen Wohlstandsverdienern besetzt sind.
Nach dem ersten und zweiten Wohnungsbaugesetz erhalten zwar nur solche Mieter Sozialwohnungen, deren Monatseinkünfte 750 Mark zuzüglich je 100 Mark pro unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht übersteigen. Nach der Einweisung aber schützen den Mieter langfristige Mietverträge und der Mieterschutz auch dann vor der Kündigung, wenn sein Einkommen beträchtlich über diese Höchstgrenze steigt.
Es ist keine Seltenheit, daß ein Sozialmieter-Ehepaar mit zwei Kindern und einem Monatseinkommen von 1500 Mark für eine 60-Quadratmeter-Wohnung nur 42 Mark Miete zu zahlen braucht. Zur selben Zeit muß eine ebenfalls vierköpfige Familie mit einem Monatseinkommen von nur 500 Mark im frei finanzierten Wohnungsbau 150 Mark aufwenden.
Die unsozialen Begleiterscheinungen des modernen Wohnwesens veranlaßten Lücke zu dem noch weitergehenden Vorschlag, den gemeinnützigen Wohnungsunternehmen eine Anbietungspflicht aufzuerlegen, wenn ihre Sozialmieter den Wunsch verspüren, das mit zinslosen öffentlichen Mitteln errichtete Mietobjekt käuflich zu erwerben.
Paul Lücke und seinen christsozialen Eigenheimern ist es ein Dorn im Auge, daß die - vornehmlich gewerkschaftseigenen - gemeinnützigen Wohnungsunternehmen sich seit 1950 mit nur rund acht Milliarden Mark öffentlichen Sozialmitteln eine Vermögenssubstanz von einer Million Wohnungen mit einem Tageswert von 20 Milliarden Mark verschafft haben, während Eigenheimaspiranten wegen zu hoher Grundstücks- und Baukosten leer ausgingen.
So beifällig Lückes Meditationen von der CDU-Fraktion aufgenommen wurden, so störrisch zeigten sich die SPD-Fraktion und der Gesamtverband der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen. Verbandspräsident und SPD-Wohnungsbauexperte Dr. Julius Brecht gegen die Ministerbank: »Ich möchte Sie jetzt schon warnen, diese Wege zu gehen, und Sie bitten, das, was Sie ... über den Tisch, hinweg gesagt haben, doch noch einmal sehr reiflich nach der rechtlichen, nach der gesetzestechnischen, auch nach der soziologischen und nach der sozialen Seite hin zu überprüfen, bevor Sie mit solchen; Maßnahmen weiterhin die Mieterschaft und die Nutzungsberechtigten draußen beunruhigen.«
In der Tat würde es die Wohnungsbaugesellschaften sehr bitter ankommen, ihre gutsituierten Mieter auf diese Weise an den freien Wohnungsbau zu verlieren und statt des weniger zahlungsfähige Mieter aufnehmen zu müssen. Noch schlimmer würde sich indes die Anbietungspflicht für die Gesellschaften auswirken: Die gemeinnützigen Wohnungsmanager befürchten einen Ausverkauf ihrer guten Objekte; zugleich argwöhnen die Gesellschaften, sie könnten auf den bereits baufälligen Behausungen der bundesdeutschen Gründerjahre sitzenbleiben.
Allerdings dürfte es dem Minister einige Schwierigkeiten bereiten, seine-Pläne gegen den Widerstand der Wohnungsbaugesellschaften durchzubringen. Trotz eifriger Vorarbeiten ist Lückes Ministerialen bis jetzt noch kein brauchbares Rezept eingefallen, wie man die wohlhabenderen Sozialmieter aus ihren billigen Wohnstätten vertreiben könnte.
Lückes Wunsch, die Wohnungsbaugesellschaften kraft Gesetzes zur Kündigung dieser Mietverhältnisse zu zwingen, kollidiert zunächst mit den zum Teil recht langfristigen Mietverträgen. Aber auch dann, wenn keine Dauermietverträge abgeschlossen worden sind, muß Lücke bis zur Aufhebung des allgemeinen Kündigungsschutzes warten. Nach, seinem eigenen Mietengesetz nämlich entfällt der Mieterschutz frühestens am 1. Juli 1963. Kündigungen des Vermieters bleiben bis dahin unwirksam. Lücke: »Daran wird seit Jahren gearbeitet. Dieses Problem ist außerordentlich schwierig.«.
Notfalls wollen die christdemokratischen Wohnungspolitiker die großkopfeten Sozialmieter nicht hinauskündigen, sondern hinausekeln. Lückes Ministerialbeamte planen, die einkommenstarken Sozialmieter mit einer echten Kostenmiete zu belasten, so als ob keine zinslosen öffentlichen Mittel verwendet worden seien. Dann nämlich fiele der, Anreiz weg, die Sozialwohnungen zu blockieren.
Nicht weniger problematisch ist die vom Wohnungsbauminister geforderte Anbietungspflicht. Würde Paul Lücke, wie geplant, das Wahlrecht des Mieters zwischen Miete und Kauf allein auf das gemeinnützige Wohnungseigentum beschränken, so verstieße er gegen Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichheit aller vor dem Gesetz, also auch die gleiche Behandlung von privatem und gemeinnützigem Hauseigentum, garantiert. Würde er hingegen die Anbietungspflicht auf alle Hauseigentümer ausdehnen, die mit öffentlichen Mitteln gebaut haben, verletzte er zwar nicht den Artikel 3, wohl aber den Artikel 14, der das Privateigentum garantiert.
Bereits einen Tag nachdem Lücke über seinen neuesten Wurf im Bundestag referiert hatte, drohte SPD-Brechts Gesamtverband, die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen würden gegen des Ministers Privatisierungspläne beim Bundesverfassungsgericht klagen.
Aber auch diese Ankündigung konnte den Vollzugsbeamten der Philosophie vom eigenen Herd nicht verdrießen. Lücke vor dem Bundestag: »Gegebenenfalls muß eine Verfassungsänderung vorgenommen werden.«
SPD-Wohnungspolitiker Brecht
Wer gut verdient, darf billig wohnen