Zur Ausgabe
Artikel 13 / 125

Gemetzel der Rivalen

aus DER SPIEGEL 35/1993

Immer im Sommer ist Johannes Rau, 62, reif für die Insel. Seit mehr als zehn Jahren findet Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident auf Spiekeroog nicht nur Erholung, sondern auch Zeit für wichtige Entscheidungen - privat wie politisch. Auf dem ostfriesischen Eiland heiratete er 1982 seine Frau Christina, und dort ließ er sich 1985 zum Anlauf auf das Kanzleramt drängen.

Im Kreise seiner Vertrauten ist das Reizklima eher gefürchtet. Wolfgang Clement, 53, Freund und Sonderminister in der Düsseldorfer Staatskanzlei, zieht Amerika vor. Heinz Schleußer, 57, Kumpel und Finanzminister, verbringt als passionierter Skipper seine Freizeit lieber hart am Wind: »In Spiekeroog hängt ein toter Hund überm Zaun.«

Doch in diesem Sommer blieb Clement und Schleußer die Inselfahrt nicht erspart. Nach dem Entschluß Raus, als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten anzutreten, versuchte das Trio Mitte August zweieinhalb Tage lang, Klarheit zu gewinnen. Wer wird, falls Rau tatsächlich die Präsidentenwahl gewinnen sollte, Ministerpräsident im bevölkerungsreichsten Bundesland?

Geklärt war bei der Abreise nichts. Sicher ist nur: Der NRW-SPD steht die schwierigste Partie seit Jahren bevor.

Obwohl es Rau seit langem in die Villa Hammerschmidt zieht, ist der Landesverband nicht darauf vorbereitet, daß er von Bord gehen könnte. Dreimal hintereinander hat der Predigersohn aus Wuppertal im Lande die absolute Mehrheit geholt, die Partei ist fixiert auf ihren Vorsitzenden und Regierungschef. Nach einer am letzten Freitag veröffentlichten Umfrage würde die SPD ohne Rau die absolute Mehrheit verlieren.

So droht nun ein Gemetzel der Rivalen um die Rau-Nachfolge im Landesvorsitz und in der Staatskanzlei.

Ziemlich ungeniert präsentiert sich Umweltminister Klaus Matthiesen, 52. Der Mann mit dem Störtebeker-Bart, als gescheiterter Spitzenkandidat in Schleswig-Holstein von Rau 1983 ins Kabinett am Rhein geholt, galt eine Zeitlang als Kronprinz. Doch dem Zugereisten mit dem Hang zur Polarisierung fehlt auch nach zehn Jahren der Rückhalt in der Partei.

Viele empfinden Matthiesen als »nicht verläßlich«, als einen, der zu allem was zu sagen hat und die Runde damit nervt, alles immer schon gesagt zu haben. Ein Kabinettsmitglied: »Polternd, platt und dämlich.«

Die Entscheidung über die Nachfolge im Parteivorsitz und in der Staatskanzlei wird bei einer Mitgliederbefragung fallen, eine Prozedur, gegen die der Norddeutsche tiefe Abneigung empfindet.

Einstweilen rudert Matthiesen gewaltig. Mit Kabinettslisten und dem Angebot von Fraktionsposten macht der Minister Stimmung für sich. Wer ihm in die Quere kommt, muß mit Breitseiten rechnen.

»Stellt euch vor«, fordert er etwa beim Zug durch die Parteigliederungen, »die Westfalenhalle ist voll besetzt mit Genossen. Das Licht geht an, und Clement steht auf der Bühne.« Mit solchen Sprüchen zielt er auf eine empfindliche Stelle des Kollegen, der nicht eben zum Volkstribunen zu taugen scheint.

Der Journalist Clement, von Rau als Seiteneinsteiger ins Haus geholt, hat innerhalb kurzer Zeit die Schaltzentrale der nordrhein-westfälischen Regierung in den Griff bekommen, als enger Vertrauter Raus geriet er automatisch auf das Kandidaten-Karussell. Doch Effizienz und ein guter Riecher sind in Düsseldorf keine Garantie für einen glatten Durchmarsch.

Zu schroff und unterkühlt wirkt der Politmanager Clement. Die Partei wittert bei ihm, obwohl er als Bochumer ein Mann aus dem Revier ist, keinen Stallgeruch.

Anders als Matthiesen verbreitet sich Clement nicht über seinen Konkurrenten. Klar ist allerdings, daß keiner von beiden unter dem anderen regieren will. Auf seiner Seite hat der Staatskanzlei-Chef Clement allerdings den Finanzminister Heinz Schleußer, der Matthiesen auf jeden Fall verhindern möchte.

Schleußer, einst ganz vorn im Rennen um eine mögliche Nachfolge Raus, war 1992 wegen eines angeblichen Grundstückskandals in seiner Heimatstadt Oberhausen ins Zwielicht geraten. Den Makel ist er los, seit ein Untersuchungsausschuß ihn einstimmig entlastet hat.

Als Chef des zweitgrößten SPD-Bezirks Niederrhein kann sich Schleußer der Sympathie weiter Teile der Partei sicher sein. Doch ihn treiben Zweifel an der eigenen Zugkraft. Bei hoher Kompetenz und aller Verläßlichkeit rechnet er sich selbst eine starke Sehschwäche, die nur mit dicken Brillengläsern korrigiert werden kann, und das Charisma eines Buchhalters als Manko an.

So hält sich der einzige, den Johannes Rau je gefragt hat, sein Nachfolger zu werden, zurück. Schleußer räumt Clement gute Chancen ein. Vorstellbar ist ein Gespann: Schleußer an der Partei-, Clement an der Regierungsspitze.

Ob solche Planspiele Wirklichkeit werden, hängt allein von Rau ab. Wie er sich in den nächsten Monaten entscheiden wird, können selbst enge Vertraute nur vermuten. Gesagt hat er es in der Partei niemandem.

Rau-Freunde glauben, daß er beim Bundesparteitag im November nicht mehr für den Stellvertreterposten in der Bonner SPD kandidieren werde. Ob er im darauffolgenden Februar noch einmal als Landesvorsitzender antritt, hängt wohl davon ab, wie sicher dann seine Wahl zum Bundespräsidenten ist.

Sollte Rau im Mai nächsten Jahres beim Anlauf auf die Villa Hammerschmidt scheitern, bleibt es am Rhein spannend. Zwar gilt offiziell, daß der Ministerpräsident auch bei den Landtagswahlen 1995 wieder als Spitzenkandidat antritt. Die Genossen können sich nicht vorstellen, daß Rau seine politische Biographie mit einer Niederlage beendet.

Doch nach schwerer Krankheit und fast 15 Jahren als Regierungschef ist Bruder Johannes der Spaß an der Arbeit abhanden gekommen. »Je kleiner der Kreis«, erzählt ein Teilnehmer, »desto lauter die Klagen über die politische Alltagsarbeit.«

Zudem schreckt ihn die Vorstellung, noch einmal als Spitzenkandidat zu aufreibenden Wahlkampfeinsätzen verpflichtet zu sein, ebenso wie der Gedanke, sich bei einer dringend notwendigen Kabinettsumbildung an neue Namen und Gesichter gewöhnen zu müssen. So ist nicht auszuschließen, daß Rau nach einer verlorenen Wahl im Mai überhaupt kein Präsident mehr sein mag - ein Alptraum für die Genossen.

Ehefrau Christina hat schon ein Szenario entworfen. Am 20. September sei Johannes 15 Jahre Ministerpräsident. Auf der Feier könne er doch eine Rede halten und dann sagen: »Jetzt komme ich zum Schluß - das war's.«

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 13 / 125
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren