Genosse im Visier
Die Akte P 511 327 des thüringischen Verfassungsschutzes hat es in sich. Gleich drei Dienste waren mit einer Zielperson beschäftigt - das Bundesamt sowie die Landesämter Hessen und Thüringen -, als handele es sich um ein hochgefährliches Subjekt.
In ungehemmter Sammelwut trugen die Verfassungsschützer ein bislang unter Verschluss gehaltenes Dossier zusammen. Inhalt: eine ausführliche Stellungnahme des hessischen Dienstes über die Aktivitäten jenes potentiellen Staatsfeindes, der Anfang der achtziger Jahre als Kämpfer gegen Berufsverbote aufgefallen war. Zeitungsausschnitte, Berichte zu DKP-Kontakten, Anmerkungen zu einer Kurden-Demonstration in Erfurt, Kopien »zu Aktivitäten im Bereich Asylwesen« und sogar »zwei Hinweise von Quellen« - im Klartext Spitzelberichte von V-Männern.
Was die Geheimdienstler eifrig horteten, sollte Observationsobjekt Bodo Ramelow selbstverständlich nie erfahren. Schließlich war er Chef der thüringischen Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, seit 1999 Landtagsabgeordneter der PDS und seit 2004 Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei. Doch Ramelow, inzwischen Wahlkampfchef der Linkspartei, stellte 2002 einen Auskunftsantrag beim Landesamt. Weil ihm die Akteneinsicht zum Teil verweigert wurde, klagte er vor dem Verwaltungsgericht Weimar auf komplette Einsicht in seine Akte.
Bislang durfte nur der thüringische Datenschutzbeauftragte in das Dossier blicken, über dessen Freigabe Ende des Monats verhandelt wird. Die Datenschützer waren jedenfalls verblüfft. Und inzwischen gibt es Unterlagen, die den Verdacht nahe legen, dass Ramelow sogar noch als Abgeordneter des Landtags im Visier des Dienstes war. Sicher ist, dass die Aktivitäten des Vielredners bis 2004 weiter in der sogenannten Schriftgutverwaltung »Redo« des Verfassungsschutzes auftauchen.
Dort finden sich etwa unter dem Aktenzeichen 224-S-205 710 eine schriftliche Anfrage eines Journalisten an den thüringischen Innenminister, in der Ramelow erwähnt wird, und auch Anfragen des PDS-Abgeordneten im Parlament zum Verfassungsschutz.
Die Erfassungen aus jüngster Zeit, windet sich der Dienst in seinen Stellungnahmen für das Weimarer Gericht, hätten »allein verwaltungsorganisatorischen Zwängen« gedient und stellten einzig »die Wiederauffindbarkeit des Schriftgutes« sicher.
Jene Schriftstücke seien also nicht auf Grundlage des Verfassungsschutzgesetzes gesammelt worden - und natürlich auch nicht Bestandteil einer Personenakte. Seltsam nur: In der Schriftgutverwaltung gibt es auch einen Hinweis darauf, dass Ramelow erst Ende 2001 aus dem internen Abfragesystem Nadis und der Personenarbeitsdatei des Dienstes gelöscht wurde. Da war er aber bereits PDS-Landtagsfraktionschef.
Den Landesdatenschützer überkamen bereits 2002 Zweifel am Sinn der Sammelorgie des affärengeplagten thüringischen Geheimdienstes. Es erscheine fraglich, formulierte der prüfende Beamte in einem bislang geheimen Kontrollbericht, ob sich etwa aus öffentlich zugänglichen Zeitungsausschnitten über Reden des Politikers »Anhaltspunkte entnehmen lassen, die eine Aufnahme in die Personenakte rechtfertigen«.
Auch bei den umstrittenen Redo-Daten kommt der Datenschützer zu einem eindeutigen Ergebnis. Eine Zuordnung von Anfragen unter dem Namen des Abgeordneten sei »problematisch«. Dies könne zu »einer Sammlung über Aktivitäten« des Politikers im Parlament führen, die letztlich nicht die Aufgabe des Geheimdienstes sei.
Für Ramelow scheint die zweifelhafte Geschichte der Observation nun wenigstens ein gutes Ende zu finden. Die erste öffentliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ist für den 24. August terminiert - mitten in die heiße Phase des Wahlkampfes.
STEFFEN WINTER