ISRAEL Genosse Kikeriki
Ich habe nicht die Absicht, meine politische Laufbahn auf einer Bahre zu beenden«, sagte Israels Wohnungsbauminister Abraham Ofer, 54, mitunter. »Im Ruhestand möchte ich eine Kneipe aufmachen, um ständig meine Freunde um mich zu haben.«
Es kam anders: Vergangenen Montag wurde Ofers Leiche am Strand von Tel Baruch in einem weißen Volvo, Kennzeichen 365 528, entdeckt. Mit einem Schuß aus einer Beretta-Pistole vom Kaliber .22 Ir hatte der Minister Selbstmord verübt. Denn »mein ganzes Leben wurde zerfetzt«, so sein Abschiedsbrief.
Ofers Freitod ist der typische Höhepunkt der Bewußtseinskrise, die Israel seit dem Jom-Kippur-Krieg durchmacht. Desillusionierte Bürger beklagen den Niedergang der öffentlichen Moral, die Bakschisch-Mentalität, die sich überall breitgemacht habe, und die Filzokratie der seit der Staatsgründung ununterbrochen regierenden Arbeitspartei. Als in höchsten Ämtern Bestechungsfälle aufgedeckt wurden, machte das Wort die Runde: »Unsere besten Männer sitzen im Kabinett, die fähigsten im Kittchen.«
Seinen Prozeß erwartet dort etwa der einflußreichste Leiter der gewerkschaftlichen Krankenkasse Ascher Jadlin, der wenige Tage vor seiner Verhaftung sogar noch Gouverneur der Staatsbank werden sollte, in Israel das vierthöchste Amt. Jadlin wird der kriminellen Verquickung öffentlicher und privater Interessen verdächtigt -- ein Vergehen, das viele Israelis heute fast jedem Funktionär zutrauen.
So fand denn Wohnungsbauminister Ofer keinen Verteidiger, als er Ziel einer Kampagne gegen die »Oligarchie der Partei-Bosse« im Wochenblatt »Haolam Hasch« des Regimekritikers Uri Avneri wurde. Jadlin-Freund und »Wohnbaukaiser« Ofer wurde beschuldigt, in den Jahren 1968 bis 1974 als Generaldirektor der gewerkschaftseigenen Wohnbaugesellschaft seiner Familie, Freunden und Partei-Prominenten in mindestens 32 Fällen Wohnungen zu Vorzugsbedingungen verschafft zu haben.
Der altgediente Parteimann war elfjährig als Abraham Hirsch aus Polen eingewandert und hatte sich in harter Arbeit zu höchsten Ämtern emporgedient. Ofer kämpfte im Krieg von 1948 als Oberst bei der Marine. Im Landwirtschaftsministerium unter Mosche Dajan war er später für den raschen Aufschwung der Geflügelwirtschaft verantwortlich, was ihm den Spitznamen »Genosse Kikeriki« einbrachte.
In der Arbeitspartei zählte Ofer zu den Jungtürken, die Ben-Gurion entmachten wollten und sich für dessen Nachfolger Eschkol engagierten. Er war der einzige Nachwuchspolitiker, der es wagte, Israels autoritärer Golda Meir bei einer Parteidebatte das Mikrophon aus den Händen zu reißen, was sie ihm nie verzieh.
Ins Kabinett kam Ofer erst 1974 unter seinem Freund Jizchak Rabin. Ofer war der einzige Minister, der -- unter bestimmten Vorbedingungen -- mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO verhandeln wollte.
Ofers Ende erinnert seine Freunde an Kafka-Erzählungen. Der erfolgreiche Minister und Manager wurde nie direkt angeklagt, dennoch waren die meisten seiner Freunde sogleich bereit, sich von ihm zu distanzieren -- »wegen der bevorstehenden Wahlen« wußte die Morgenzeitung »Hazofeh«. Dunkle Andeutungen beunruhigten den dünnhäutigen Ofer. Finanzminister Rabinowitz: »Ich befürchte, einer unserer Kollegen wird ins Gefängnis kommen.«
Regierung und Partei versprachen Ofer immer wieder, in ein oder zwei Tagen würde seine persönliche Sauberkeit bestätigt werden. Doch vergingen Wochen ohne den erhofften Persilschein. Kurz vor seinem Tod sprach Ofer mit Premier Rabin: »Jizchak, ich bin unschuldig.« Rabin: »Abraham, ich glaube dir, aber ich kann es nicht sagen.«
Am vorletzten Samstag ließ Rabin Justizminister Zadok, Polizeiminister Hillel und den Rechtsberater der Regierung Professor Barak in seine Tel Aviver Privatwohnung kommen. Ofer erfuhr von dem Treffen aus der Presse, die spekulierte, diesmal seien schwerwiegende neue Beschuldigungen gegen Ofer diskutiert worden. Sie würden von Rechtsanwalt Chaim Goschen stammen, dem Kronzeugen im bevorstehenden Verfahren gegen den Ofer-Freund Jadlin.
Schwerpunkt der neuen Beschuldigung: Ofer habe 1973 für die Wohnbaugesellschaft Schikkun Ovdim im Ostjerusalemer Viertel Newe Schmuel fünfzehn Hektar Boden erworben, für die er angeblich sechs, in Wirklichkeit jedoch nur dreieinhalb Millionen Pfund ohne Quittung an Araber gezahlt habe. Die Differenz -- so warfen die Parteifreunde jetzt Ofer vor -- habe er für die Wahlkampagne der Arbeitspartei benutzt, die er damals leitete.
Die Anschuldigung ließ für Ofer eine Welt zusammenstürzen. Denn in der Tat hatte er sich selbst wohl nie bereichert. Aber der Partei zu dienen -- zumindest bis an die Grenzen der Legalität -- war ihm selbstverständlich gewesen.
Der treue Genosse erschoß sich, als die Parteifreunde ihn plötzlich nicht mehr decken und ihm nicht mal persönliche Integrität bescheinigen wollten. Premier Rabin, nach dem Tod seines Ministers: Ofer habe »ein für seine gesamte Generation charakteristisches Leben« geführt.