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Sozialdemokraten Genossen vergrätzt

Münchens neuer SPD-Chef, der »rote Rudi« Schöfberger, will die »spätkapitalistische Besitzverteilungs-Gesellschaft« überwinden: »Stück für Stück«.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Münchens SPD wird von einem »Parteischädling« geführt, von einem »Radikalinski«, der »den Rechtsstaat ins Zwielicht gebracht« hat, einem »Utopisten«, den »man eigentlich nicht mehr wählen kann«. So sahen und sehen noch heute manche Münchner Sozialdemokraten ihren Genossen Rudolf Schöfberger, 36.

Noch ehe der Landtagsabgeordnete und ehemalige Landesvorsitzende der Jungsozialisten -- als einziger Bewerber -- am Sonnabend vorletzter Woche auf dem Parteitag im Münchner Salvatorkeller zum neuen Vorsitzenden gewählt wurde, hatten zwei Mitarbeiterinnen des SPD-Sekretariats am Münchner Oberanger ihre Kündigung eingereicht. Die Damen wollen, so berichtete Alt-Genosse Ludwig Koch den Parteitagsdelegierten, unter dem »roten Rudi« (Parteijargon) »nicht mehr mitmachen«.

Kaum war Schöfberger gewählt, gaben Geschäftsführer und Pressesprecher des Unterbezirks (UB) ihre Ämter zurück, weil sie den künftigen Kurs der Partei »nicht verantwortlich vertreten« können. Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der vor einem Jahr einen kompletten linken UB-Vorstand, dem auch Schöfberger als stellvertretender Vorsitzender angehörte. gekippt und sich selber auf den Vorsitz manövriert hatte, verweigerte seinem Nachfolger demonstrativ den Händedruck.

Münchens Sozialdemokraten haben, so schien es nach der Entscheidung in der Starkbier-Hochburg auf dem Nockherberg. einen Bürgerschreck gekürt -- »nahezu mit einem Traumergehnis« ("Münchner Merkur"): mit 184 von 256 abgegebenen Stimmen. Schöfberger erschien in »Bild« als »Alptraum von Bonn«. Springers »Welt« schlug Alarm: »lEr steht im Scheinwerferlicht ... einer erbarmungslosen Strategie«, und Niederbayerns Oberstimme, der vergreiste Verleger Hans Kapfinger ("Passauer Neue Presse"), zeterte: »Radikal-Sozialisten« wie Schöfberger wollten »die Bundesrepublik sozialistisch umkrempeln«.

Umgekrempelt ist vorerst die Münchner Partei: Vogels Kraftakt, so scheint es. schlug an der Basis ins Gegenteil um. Innerhalb eines Jahres stieg in dem jetzt 13000 Mitglieder zählenden Unterbezirk, bei durchschnittlich vier Eintritten und einem Austritt pro Woche, d.r Anteil der Jungsozialisten auf ein Drittel. Münchens elf SPD-Kreisverbände sind nach parteiinternen Angaben zu 70 Prozent linksorientiert.

So versteht sich auch Schöfberger. der Ex-Juso-Chef mit der Bilderbuch-Karriere eines Genossen -- Sohn einer Arbeiterfamilie, Postarbeiter und Ausfahrer, nachgeholtes Abitur und selbstfinanziertes Studium (fünf Jahre Nachtportier bei Siemens), juristisches Prädikatsexamen, Regierungsrat, jetzt Rechtsanwalt -, als »radikaldemokratischer Erneuerer«.

Und was er darunter versteht, das pflegt Dr. jur. Schöfberger, im Privatleben eher behäbig und den Genüssen zugetan (Dissertationsthema: »Das Recht auf Naturgenuß und Erholung"), passionierter Herrenreiter und Tabakschnupfer, unter Genossen zumindest so oft und so drastisch auszudrücken, daß er mal von den einen frenetisch beklatscht« mal von den anderen der »Rabulistik« und »Demagogie« bezichtigt wird.

Schöfberger wettert gegen die »Fettbourgeoisie« und »Abendlandser"« gegen »Freibeuter« und »Profitgeier« der »spätkapitalistischen Besitzverteilungs-Gesellschaft« -- die er nicht »durch gelegentliche zaghafte Reförmchen zurechtflicken«, sondern »Stück für Stück überwinden« will.

Stets beruft sich der Ideologe auf das Godesberger Programm der Sozialdemokraten ("Der demokratische Sozialismus erstrebt ... eine neue Wirtschafts- und Sozialordnung") -- nur fehlten dem Papier »so etwas wie Ausführungsbestimmungen«. Und wie die Reformer von Godesberg glaubt Schöfberger an die parlamentarische Zukunft der SPD nicht als Klassen-, sondern als Volkspartei -- und darunter versteht er die Vertretung der »Interessen von 85 Prozent der Bürger«, nämlich der »Millionen wirtschaftlich Ohnmächtigen«.

Fast uneingeschränkt steht Ideologe Schöfberger, der nichts hält »von der satten Randsteinsetzerweisheit langjähriger Kommunalpolitiker"« zu den von ihm teilweise mitkonzipierten Münchner (1969) und Bremer (1970) Beschlüssen des Juso-Bundeskongresses. Danach sollen etwa »Großbanken, Kapitalsammelstellen sowie die Schlüsselindustrie ... verstaatlicht werden«. Denn, so Schofberger: »Es gibt kaum einen gesellschaftlichen Bereich, wo nicht die Penunzen den Ton angeben.«

Freilich: Nicht nur durch sozialistische Theorie, die Münchens Oberbürgermeister Vogel als »Rückgriff e in die Vergangenheit« abqualifizierte« auch mit unverblümter Partei- und Personenkritik vergrätzte sich Schöfberger etablierte Genossen. Und nicht allein »Richtungskämpfe« (Vogel), auch persönlicher Dissens führte, so scheint es, in Münchens SPD zur Polarisierung.

Der Abgeordnete Schöfberger, der sich gelegentlich über die »Lust am Parlamenteln«, das »Hakenschlagen« und »Kompromisseln« von Kollegen verbreitet, handelte sich wiederholt Rügen seines Landesvorstands ein -- etwa im November 1970 nach der Landtagswahl, als er öffentlich die Abwahl des farblosen SPD-.Landesvorsitzenden Volkmar Gabert ("Mit Gabert können wir keinen Preis mehr gewinnen") verlangte.

Verständlich ist Vogels Verdruß, daß sein alter Widersacher, mit dem er »manche Ähnlichkeit hat« ("Süddeutsche Zeitung"), mit derart großer Mehrheit zum UB-Chef gewählt wurde und den Münchner Richtungsstreit gegen Vogel entschied. Hinzu kommt, daß ein weiterer Intim-Gegner des Oberbürgermeisters, der Münchner Juso-Chef Siegmar Geiseiberger, 33, wieder auf die Stadtratskandidaten-Liste gewählt wurde, von der er auf Vogels Betreiben gestrichen worden war.

Überdies präsentierte Schöfberger nicht nur sozialistische Theorie, sondern auch ein attraktives Aktionsprogramm -- etwa für »gerechte Bodenordnung« und »kommunale Wohnungsvermittlung« -- und zeigte »Augenmaß für politische Proportionen« ("Süddeutsche Zeitung"): Von Herbert Wehner brieflich («... damit wir in Bonn nicht unter dem Hohngelächter der Reaktion kollapsen") zur Zurückhaltung gemahnt, vermied es die Schöfberger-Schar, dem rechtslastigen Genossen und Bundestagsabgeordneten Günther Müller den Vorwand zum bereits angedrohten Parteiaustritt zu bieten.

Münchens Müller wollte abwandern, wenn der rechte Stadtratskandidat Adolf Johann, wie beantragt, von der Liste gestrichen würde. Johann durfte bleiben. Ob Müller nun auch bleibt, ist freilich noch ungewiß.

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