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»Gepanzerte Faust« gegen Slumbewohner

Mit rücksichtslosen Polizeimaßnahmen provoziert die Regierung in Pretoria neuerliche Straßengefechte in den schwarzen Slums ihrer Metropolen. Die Reputation des Apartheid-Regimes ist auch im konservativen Washington des Ronald Reagan ruiniert, Investitionen fließen spärlicher. Eine Reaktion des Polizeiministers: »Leichtere« Gummiknüppel, die »nicht wirklich« schmerzen. Doch gestorben wird wie eh und je. *
aus DER SPIEGEL 9/1985

Die Schrotkugeln prallten auf die blaue Wellblechplatte wie Hagel bei schwerem Gewitter. Hinter der Deckung, zwischen brennenden Reifen, kauerte ein etwa 12jähriger Junge, verängstigt und entschlossen zugleich.

Seine rechte Hand umklammerte einen faustgroßen Stein, mit der linken stemmte er sich gegen seinen Schutzschild. Der junge Rebell rief aus Leibeskräften »Amandla« (Freiheit) und schleuderte den Stein gegen die schemenhaften Figuren hinter dem Reifenqualm. Sie rückten in geschlossener Formation näher. Plötzlich eröffneten einige der Uniformierten im Wildwest-Stil aus der Hüfte das Feuer.

Mit lautem Knall prallte ein Plastikgeschoß, fast so groß wie ein Marmeladenglas, auf die Blechwand vor dem Jungen. Es riß die Deckung zur Seite. Schreiend rannte der Jungrevolutionär zurück und verschwand im Gewirr der armseligen Hütten.

Die Szene ereignete sich vorige Woche in Crossroads, einem schwarzen Slum in der Nähe von Kapstadt. Und nicht alle Demonstranten kamen so glimpflich davon. Südafrikanische Polizeitruppen fochten bürgerkriegsähnliche Straßenschlachten gegen schwarze Aufständische. Die Bilanz am Freitag:

Mindestens 23 Tote und einige hundert Verletzte, von denen 50 in Lebensgefahr schwebten. Fahrzeuge und Barrikaden aus Matratzen, Bettgestellen und gefällten Eukalyptusbäumen brannten lichterloh. Die Polizei, verkündete der zuständige Minister Louis Le Grange, tue alles, »um Gesetz und Ordnung aufrecht zu erhalten« (siehe Seite 112); auch setze man jetzt »leichtere« Gummiknüppel ein.

Die Repressionsmacht des Apartheid-Regimes hatte zugeschlagen und wieder einmal »die zögernd ausgestreckte Versöhnungshand durch die gepanzerte Faust ersetzt« (so der britische »Guardian"). »Noch unglaubwürdiger als zuvor« erschienen nun der liberalen Johannesburger »Rand Daily Mail« lautstark vorgetragene staatliche Reformversprechen.

Denn es war noch keine vier Wochen her, daß Präsident Pieter Willem Botha einen Stopp der Zwangsumsiedlungen von schwarzen Slumbewohnern in Aussicht gestellt hatte. Dem zu lebenslanger Haft verurteilten Führer des verbotenen African National Congress (ANC), Nelson Mandela, versprach er die Freiheit.

Mandela wollte seine Zelle nur verlassen, wenn Pretoria den ANC wieder zulassen und Verhandlungen über die Rassenpolitik aufnehmen würde. Aber Bothas angekündigte »Schritte« gegen »diskriminierende Aspekte der Zuzugskontrolle« hatten viele schwarze Stadtbewohner hoffen lassen, daß sie nun in ihren Wohnorten bleiben dürften. Seit sie ihre Politik der getrennten Entwicklung einführten, haben die Südafrikaner knapp drei Millionen Schwarze in Bantustans wie Kwazulu und die Transkei meist gegen deren Willen umgesiedelt.

Nun aber tobte in Crossroads wieder eine verzweifelte Abwehrschlacht gegen neuerliche Umsiedlungspläne. Und wie in einer Verhöhnung des Entlassungsangebots an Mandela verhafteten Polizeitruppen letzte Woche in einer Nachtund-Nebel-Aktion sechs Führer der legalen United Democratic Front (UDF), einer Dachorganisation von mehr als 700 Bürgerrechts-, Gewerkschafts-, Studenten- und Kirchengruppen.

»Vorausgesetzt, Mandela hätte das Angebot angenommen«, fragte ein Sprecher

der asiatischen Minderheit Südafrikas, »wie hätte er in dieser Atmosphäre der Unterdrückung für eine friedliche Veränderung der Lage eintreten können?« Der Rat der Südafrikanischen Kirchen protestierte, die Razzien und Verhaftungen könnten die »schon alarmierend hohen Spannungen in diesem Land nur verschlimmern«.

Die Konflikte beruhen vor allem auf Südafrikas anachronistischer Politik: Im Zeitalter der Entkolonialisierung herrschen am Kap noch immer 4,8 Millionen Weiße über 22 Millionen Schwarze; 3,7 Millionen Mischlinge und Asiaten dürfen in dem speziell für sie erweiterten Rumpfparlament nur begrenzt mitsprechen. Und während der »weiße« Lebensstandard dem in der Schweiz vergleichbar ist, leiden Südafrikas Schwarze unter Armut und Diskriminierung.

Die Apartheidrepublik ist deshalb in der Völkerfamilie ins Abseits geraten. Am meisten beunruhigt sie eine »Disvestment«-Kampagne: Etliche US-Bundesstaaten geben neuerdings keine Aufträge mehr an Unternehmen, die am Kap investieren. Die Citibank aus New York, eine der größten Banken der USA, gewährt keine Kredite für Pretoria mehr. US-Präsident Reagan spricht nicht mehr vom »Freund Südafrika«. Nach den Ereignissen in Crossroads bestellte er seinen Botschafter im Burenstaat, Herman Nickel, nach Washington.

Aufgeschreckt dadurch, aber auch weil sie die Schwarzen als Arbeitskräfte und als Kunden brauchen, drängen südafrikanische Unternehmer ihre Regierung, die Apartheid wenigstens flexibler zu handhaben. So fordert der Hochschullehrer Herman Giliomee, einer schwarzen Arbeiterschicht den Daueraufenthalt in »Weiß«-Südafrika zu gestatten. Diese Schwarzen müßten am Wirtschaftswachstum teilhaben und würden damit den Rassenkonflikt abbauen - Ketzergedanken für jeden Apartheidideologen.

Bislang wohnen nämlich Südafrikas schwarze Arbeiter zum großen Teil ohne jede Rechtssicherheit als verschiebbare Helotenmasse in Slums. Und es sind diese Wellblech-, Holz- und Kartonstädte, in denen immer wieder die Bruchlinien des Systems sichtbar werden.

Der Apartheidstaat will die wild wuchernden Ansiedlungen unter Kontrolle halten. Nur eine beschränkte, für die Wirtschaft der Gegend notwendige Zahl von Schwarzen erhält Aufenthaltsgenehmigungen, die anderen sollen in den »Heimatländern« bleiben.

Die dort herrschende Arbeitslosigkeit und Unterentwicklung, verschärft durch drei Dürrejahre, aber treibt ihre Bewohner immer wieder auf den Treck in die Städte: Woche für Woche karren primitive Busse schätzungsweise 1000 Menschen aus der Transkei und der Ciskei allein ins Gebiet von Kapstadt.

Dort lassen sich die meisten in Crossroads nieder, einer Stadt ohne Strom- und Wassernetz, für die Londoner »Financial Times« gleichwohl ein »Monument der Selbsthilfe und spontanen Organisation«.

Denn die 100 000 Crossroader haben neben ihren primitiven Behausungen auch Schulen, Kirchen und Kliniken errichtet. Und während manche der Zugewanderten in Kapstadts Fabriken und Haushalten ihr Geld verdienen, finden andere ein Einkommen in einer »Parallelwirtschaft« von Geschäften, Handwerks- und Dienstleistungsbetrieben.

Dem »Crossroad Committee«, einer Art Selbstverwaltung der Slumbewohner, hat die katholische Kirche ein Büro zur Verfügung gestellt. In einem Zimmer mit Kruzifix schildert Komitee-Mitglied Hudson Mali, wie die Polizei den »Ärger« ausgelöst habe. Der alte Mann mit dem weißen Bart ist eine geachtete Persönlichkeit in Crossroads. In der Welt der Weißen leert er Mülleimer; die Arbeit bringt knapp hundert Mark in der Woche ein.

Der »Ärger« ist die geplante Zwangsumsiedlung der Crossroad-Einwohner in die neue riesige Siedlung Khayelitsha. In der Xhosa-Sprache heißt das »Unser neues Heim«, aber die Leute nennen die Staatssiedlung, die einmal 350 000 Einwohner beherbergen soll, lieber »Jsihogo esitsha«, »Neue Hölle«. Die ersten 5000 Häuschen stehen bereits - leer in endlosen Reihen inmitten von Sanddünen.

Geboten werden in den aus einem Zimmer und Küche bestehenden winzigen Häusern Leitungswasser und Kanalisation, im Gegensatz zu Crossroads, wo sich mehrere Familien einen Wasserhahn im Freien teilen müssen. Dennoch verkündet Hudson Mali mit fester Stimme: »In diese Taubenschläge ziehen wir nicht.«

Tatsächlich liegt Khayelitsha noch weiter als Crossroads von den Arbeitsplätzen in Kapstadt entfernt, über 30 Kilometer. Außer höheren Fahrtkosten müßten die Einwohner dort auch noch Miete zahlen. Das ist in den Slum-Eigenbauten nicht nötig: Hudson Mali hat sich in 10jähriger Seßhaftigkeit in Crossroads ein Sechszimmerhaus gebaut, in dem seine Großfamilie Platz findet: »Können Sie mir sagen, warum ich jetzt umziehen soll?«

Mali soll umziehen, weil Khayelitsha für die weiße Obrigkeit Teil des Apartheid-Dogmas ist: Wenn schon nicht fern in einem Bantustan, sollen die Schwarzen weit genug von den Weißen entfernt in übersichtlichen Siedlungen hausen, die wie Gefangenenlager jederzeit kontrollierbar sind.

Wo hingegen Ortschaften frei gewachsen sind, tauchen seit Jahren im Morgengrauen immer mal wieder Planierraupen auf. Sie walzen die Hütten nieder, während deren Bewohner wie Vieh auf Lkw in ferne »Heimatländer« verfrachtet werden. Die Welt erfährt es nur selten.

Peinlich, daß eine Arbeitsbrigade mit Vorschlaghämmern und unter Polizeischutz Anfang Februar gerade tätig war, als die Regierung einer Gruppe von Auslandsjournalisten das »Problem Crossroads« vorführen wollte. Es war kurz nach der Ankündigung, daß in Südafrika keine Zwangsumsiedlungen mehr stattfinden sollten.

Kein Wunder, daß die Bewohner von Crossroads mißtrauisch blieben. Ihr Aufstand brach los, als sie nahe ihrer Siedlung ein umzäuntes Lager mit mehreren hundert Arbeitern entdeckt hatten. Die Fremden, hatte Timo Bezuidenhoud, weißer Chef der zuständigen Behörde, zugegeben, waren geholt worden, um »den Leuten beim Umzug zu helfen«.

Nach den blutigen Ausschreitungen »sangen die Behörden eine neue Melodie« (Mali): Nun versicherte Bezuidenhoud, daß »niemand in dieser Woche, in der nächsten Woche und in der Woche danach ohne faire Chance zur Aussprache« umgesiedelt werde. Für Khayelitsha wurden sogar 99-Jahre-Pacht-Konzessionen eingeführt. Damit soll zukünftigen Bewohnern der ungeliebten Siedlung »ein Gefühl der Sicherheit« gegeben werden.

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