Zur Ausgabe
Artikel 28 / 63

FAHNDUNG Geplante Panne

Gerichtlichen Schutz gegen die Verbreitung seines Photos im Rahmen einer Terroristen-Fahndung fordert ein Unschuldiger, der weder dringend tatverdächtig noch flüchtig war.
aus DER SPIEGEL 1/1977

Als am Nikolaus-Abend das Bundeskriminalamt (BKA) im Ersten und Zweiten Fernsehprogramm »ein Fahndungsersuchen der Polizei« ausstrahlen ließ, entdeckte sich unter den vier gesuchten Terroristen der Betriebswirt Uwe Folkerts, 29, aus Karlsruhe -- auf einem Photo, das die Polizei tags zuvor von ihm aufgenommen hatte, bevor er mangels Tatverdachts wieder auf freien Fuß gesetzt worden war.

Was sich anfangs wie ein Koordinierungsfehler ausnahm -- die Fahndung nach einem Bürger, der zur selben Zeit mit seiner Frau in der polizeibekannten Wohnung vor dem Fernseher saß

erwies sich als kalkulierte Strafverfolger-Strategie. Am Tag nach der Fernseh-Fahndung übersandte das BKA das Folkerts-Photo sogar noch an die Tageszeitungen. Anfragen, ob dies denn korrekt sei, beschied die Bundesanwaltschaft ärgerlich: »Keine Panne.

Ob dieses Vorgehen der Behörden mit rechtsstaatlichen Gesichtspunkten vereinbar ist, will Folkerts nun auf dreifache Weise prüfen lassen: Er erstattete Strafanzeige wegen übler Nachrede, Verleumdung und Verfolgung Unschuldiger gegen BKA-Präsident Horst Herold und Bundesanwalt Felix Kaul; mit einer »einstweiligen Anordnung« will er etwaige Wiederholungen verhindern; außerdem bereitet seine Anwältin einen Schadenersatzprozeß vor.

Uwe Folkerts -- als Bruder eines untergetauchten Anarchisten in Verdacht gekommen -- hatte sich nach einer Hausdurchsuchung sofort bei der Polizei gemeldet. Nach Verhör und »Ed-Behandlung« (Abkürzung für die erkennungsdienstliche Prozedur) hatten jedoch die Strafverfolger Folkerts wieder auf freien Fuß gesetzt. Dennoch wurde er in die Fahndung einbezogen.

Generalbundesanwalt Siegfried Buback will den Vorfall mit dem Hinweis erklären: »Außergewöhnliche Situationen rechtfertigen außergewöhnliche Maßnahmen.« Wo aber die Grenze

*Dieses Photo wurde von der Polizei an Fernsehsender und Zeitungen zur Verbreitung weitergegeben>.

zwischen außergewöhnlich und außerrechtlich verläuft, werden die Gerichte nun prüfen müssen. Denn mit gutem Grund erlaubt die Strafprozeßordnung eine »steckbriefliche Verfolgung« nur dann, wenn ein »Haftbefehl« vorliegt und »wenn der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält«.

Folkerts war unbestritten weder flüchtig noch hielt er sich verborgen, und die Verwandtschaft zu seinem tatsächlich verschwundenen Bruder Knut begründete selbst nach Ansicht der Terroristen-Fahnder keinen dringenden Tatverdacht. Sie stellten nicht einmal einen Antrag auf Haftbefehl.

Dennoch hält der Generalbundesanwalt die Verbreitung des Folkerts-Photos für Rechtens. Buback ist überzeugt davon, daß es im Interesse der Sicherheit zulässig sein muß, sieh auf diesem Wege fehlende Informationen aus der Anarcho-Szene zu beschaffen. Zugleich beteuert er, von einem Steckbrief gegen Folkerts könne keine Rede sein. Als Beweis zitiert er einen vermeintlich harmlosen Satz aus dem Fahndungstext: »Von Interesse für die Ermittlungen sind auch Angaben über folgende Personen.«

In der als »Fahndungsersuchen der Polizei« deklarierten Fernsehsendung war jedoch die Rede davon, daß durch die Festnahme des Anarcho-Anwalts Siegfried Haag »die Vorbereitung einer schwerwiegenden Gewalttat« gestört wurde, daß an den Planungen »eine mehrere Mitglieder zählende Terroristenbande beteiligt« gewesen sei und daß die »in Freiheit befindlichen anderen Bandenmitglieder als sehr gefährlich« eingestuft werden müßten.

Unmittelbar im Anschluß an diesen Text über die Vorbereitung »eines geplanten Kommandounternehmens"« den auch die Mehrzahl der Zeitungen als Steckbrief-Erläuterung auffaßte, folgten die Photos von Folkerts und drei tatsächlich flüchtigen Personen.

Für Folkerts« der jeden Kontakt zu Haag oder »irgendeiner Terroristengruppe« bestreitet, spricht zunächst einmal die im Grundgesetz verankerte Unschuldsvermutung. Sein Argument, er sei in »kaum wiedergutzumachender Weise in seinem Vermögen und seinen Persönlichkeitsrechten« geschädigt worden, ist ebensowenig von der Hand zu weisen wie seine Befürchtung, er könne »durch unüberlegte Reaktionen von zur Mithilfe aufgeforderten Mitbürgern oder Polizeibeamten an Leib und Leben« gefährdet werden.

Gerade weil der Generalbundesanwalt -- wie geschehen -- die Einbeziehung von unverdächtigen Bürgern in eine Fernseh-Fahndung für absolut korrekt hält, verlangt der Fall Folkerts nach höchstrichterlicher Klärung. Denn wenn die Strafprozeßordnung für den Erlaß eines Steckbriefes, der zumeist nur in Dienststellen, allenfalls mal an Litfaß-Säulen aushängt, ungewöhnlich strenge Voraussetzungen (dringender Tatverdacht, Haftbefehl und Flucht) fordert, liegt es nahe, daß für eine bundesweite Fernseh- und Pressefahndung mindestens dieselben Prinzipien gelten müssen.

Den Erlaß eines Steckbriefes, »ohne daß die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen«, qualifiziert jedenfalls Rechtsprofessor Eberhard Schmidt in seinem renommierten »Lehrkommentar zur Strafprozeßordnung« als »rechtswidrige Rufgefährdung«. Ein derartiges Fehlverhalten der Obrigkeit führt nach seiner Ansicht »zu strafrechtlicher, insbesondere aber auch zu zivilrechtlicher Haftung«.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 28 / 63
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren