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ÖSTERREICH Geplatzte Engel

In der Wiener Kapuzinergruft rieselt Ziegelmehl aus den Särgen der deutschen Kaiser. Neun Mönche kämpfen um die Erhaltung.
aus DER SPIEGEL 42/1978

Hier wird gut ruhn sein«, hoffte Kaiserin Maria Theresia anno 1770, als der Zinngießer Balthasar Moll ihren Prunksarkophag fertiggestellt hatte. Sie irrte.

Im Totenlager der Familie Habsburg in der Kapuzinergruft zu Wien, wo zwölf Kaiser und 16 Kaiserinnen ruhen, werden die zinnernen Dekorsärge löchrig, die Kronen und Schwerter zerplatzen, den Engeln des Jüngsten Gerichts wachsen Pusteln im Gesicht, die Nasen der Statuen bröckeln ab.

Gerade jetzt sind Zinn-Totenschädeln Vorderzähne ausgefallen. »Der Kaiser letzte Ruh ist hin«, seufzt denn auch die »Neue Kronen-Zeitung«.

Ein Walhall wie diese Monarchengruft gibt's sonst nirgends. Überreste von 145 Personen liegen zusammengedrängt auf engstem Raum. Sie sind im Stil so unterschiedlich wie die Bauwerke ihrer Zeit.

Leopold I. (1658 bis 1705) etwa ruht frühbarock zwischen Löwenpranken, Schlangen und mythischen Vögeln. Maria Theresia (1740 bis 1780) hat sich samt ihrem Franz von Lothringen auf ein Rokoko-Lager mit monumentalem Faltenwurf gebettet. Franz Joseph I. (1848 bis 1916) gibt sich vergleichsweise bescheiden.

Über 300 Jahre lang fand in den Kellergewölben des 1618 gegründeten Kapuzinerklosters am Wiener Neuen Markt die metallische Selbstdarstellung des Hauses Habsburg statt. Mit wenigen Ausnahmen liegen hier alle Größen der Dynastie mit Kind und Kindeskind. Als erster bezog anno 1633 Kaiser Matthias samt Gemahlin Anna die Krypta, als letzter begab sich 1958 ein in den USA verstorbener Leopold Alphons zu seinen Ahnen.

Eine derart ehrwürdige Totenstätte zieht die Touristen in Scharen an. Die volle Kaisergruft (Kapuziner-Pater Dr. Eberhard Kusin: »Zuwenig Platz für die Toten und zuwenig Platz für die Fremden") steht nebst den Lipizzanern der Spanischen Hofreitschule als wichtigste Schaunummer auf dem Besichtigungs-Programm für Wien.

Pro Saison ziehen gut 100 000 Menschen an den Särgen vorbei, und die toten Habsburger verdienen brav. Sie verschaffen dem Kloster rund 70 000

* Karl Joseph. 1761 gestorbener Sohn Maria Theresias.

Mark jährliche Einnahmen, »kosten aber inzwischen das Doppelte«, klagt Gruftmeister Pater Eberhard. Denn teure Reparaturen lassen sich nicht länger aufschieben.

Schon im vorigen Jahrhundert hatte das Metall erste Beulen gezeigt, an den Oberflächen blätterten Splitter ab, Vertiefungen und Auftreibungen entstanden. All dies wurde damals der berüchtigten Zinnpest zugeschrieben, der Umwandlung von weißem Beta-Zinn in graues, pulverförmiges Alpha-Zinn.

Heute weiß man, daß normale Korrosion und ein Schwell-Effekt den Skulpturen zu schaffen machen. »Die Engel zerreißt's«, Sagt der Gruftmeister. Pausbacken und Waden werden stetig dicker, bekommen Sprünge und platzen schließlich auf. Heraus rieselt dann eine Masse aus zermahlenen Ziegeln und anderen Ingredienzen.

Ursache: Die Zinngießer früherer Jahrhunderte haben die Figuren mit Ziegelmehl gefüllt. Die Masse quillt jetzt und sprengt das brüchig gewordene Zinn.

Was dem Zinntod entgeht, fällt der Souvenirjagd der Besucher zum Opfer: Engelsflügel, Kronenzacken, Polsterquasten wurden zu Dutzenden gestohlen. »Die Ersatzkreuze für die Kaiserkronen bestellen wir bereits auf Vorrat«, resigniert der Gruft-Chef.

Aber es fehlt an Geld. Die »Gesellschaft zur Rettung der Kapuzinergruft«, die sich vor allem aus Monarchisten zusammensetzt, ist infolge natürlichen Abgangs auf knapp 1000 Mitglieder geschrumpft.

Ferner fehlen Metall-Restaurateure, derzeit arbeiten nur zwei -- und die nebenberuflich -- in den Grabkammern.

Völlig überfordert konzentrieren sie sich auf die prächtige Ruhestatt von Karl Joseph (1680 bis 1715), Prinz von Lothringen, Fürsterzbischof von Trier. Während die umquartierte Hoheit in einem Holzsarg abgestellt wurde, bohren sie die geborstenen Zinnfiguren auf, kratzen den ruinösen Gußkern heraus und füllen den Hohlraum mit Polyurethan-Schaum. Es wird ein gutes Jahr dauern, bis die 70 Teile dieses Sarges geputzt, geschliffen, neu ziseliert und wieder zusammengesetzt sind.

Einziger Trost für die Mönche: Die zu betreuenden Sarg-Reihen werden nicht mehr länger. Die derzeit noch lebenden Habsburger zieht es dorthin zurück, wo ihre Vorfahren waren, ehe sie deutsche Kaiser wurden -- in die Schweiz. Der neue Habsburger-Friedhof liegt in Muri im Aargau.

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