KRISENVORRÄTE Geplatzter Hafersack
Auch im zweiten Anlauf ist es dem Bundesernährungsminister Werner Schwarz nicht gelungen, eine der skurrilsten Ideen seines Amtsvorgängers und jetzigen Bundespräsidenten Heinrich Lübke zu verwirklichen. Die Bundesregierung hat das Startzeichen zum Druck einer buntbebilderten Broschüre verweigert, mit der die westdeutschen Hausfrauen aufgefordert werden sollen, in ihren Speisekammern Notvorräte von Lebensmitteln für Krisenzeiten zu stapeln.
Heinrich Lübke hatte sein Vorrats -Steckenpferd zum erstenmal auf der vorjährigen Grünen Woche in Berlin geritten. Die Hausfrauen, so mahnte er damals, möchten doch dem Vorbild der Schweizerinnen folgen und freiwillig einen Krisenvorrat von Grundnahrungsmitteln für acht bis zehn Tage anlegen. Das Echo auf Lübkes Hamsterparole war negativ, und der im Bundesernährungsministerium schon verfertigte Entwurf eines ministeriellen Merkblatts über die »freiwillige Haushaltsbevorratung für Lebensmittel« verschwand in der Aktenablage.
Lübke-Nachfolger Schwarz ließ sich von dem Reinfall seines Vorgängers nicht entmutigen. Der bierernste Entwurf ("Wir vergessen allzu leicht, daß wir schon andere Zeiten erlebt haben") sollte in leicht veränderter Form wiedererstehen. Konrad Adenauer ließ allerdings den neuen Minister sogleich wissen, ihm sei nichts daran gelegen, die bundesdeutschen Wohlstandsfamilien in Krisenhysterie zu stürzen. Schwarz versprach daraufhin dem Bonner Verteidigungsrat, er werde von Werbefachleuten eiben Entwurf mit friedlicherer Tendenz ausarbeiten lassen.
Der renommierten Münchner Werbeagentur Carl Gabler fiel schließlich die Aufgabe zu, Text und Ausgestaltung eines Druckwerks zu entwerfen, das zunächst in beschränkter Auflage an ausgewählte Bezieher - Haushaltungsschulen, Frauenvereine und ähnliche Speisekammer-Experten - verteilt werden sollte. Später, so war vorgesehen, wollte man die wichtigsten Details des Vorratsprogramms mittels Faltblatt an alle bundesdeutschen Haushalte verschicken.
Gablers Werbefachleute nahmen sich des Auftrags mit Verve an. Statt der Krisenfanfaren erdachten die Münchner einen munteren Plaudertext, der mit einer Nachdichtung des Märchens vom »König auf dem Hafersack« beginnt. Die Hausfrauen erfahren, wie der König in seinem Schloß ein braves Bäuerlein auf goldenem Gestühl reichlich bewirtet, beim Gegenbesuch jedoch zu seinem anfänglichen Mißfallen auf einem Hafersack sitzen muß. Der Bauer verdeutlicht dann die feinsinnige Moral: In Notzeiten sitzt man besser auf Vorräten als auf goldenen Stühlen.
Von Volksweisheit geläutert, erfährt dann die bundesdeutsche Mutti, welchen Zwei-Wochen-Vorrat sie pro Person trocken, kühl, luftig, dunkel und frostfreilagern müsse, um es dem Haferbauern gleichzutun und das väterliche Wohlwollens der Obrigkeit zu erwerben. Die ministeriellen »Ratschläge für
eine Haushaltsbevorratung empfehlen pro Kopf den Kauf von
- einem Kilogramm Reis oder Teigwaren,
- einem Kilogramm
Zucker,
- einem halben Kilogramm Speiseöl, Plattenfett oder Schweineschmalz,
- einem Kilogramm Fleisch- oder Fischkonserven.
Dieser Eiserne Hafersack kostet nach den Vorstellungen der Autoren für einen Vier-Personen-Haushalt 32 bis 44 Mark.
Dabei soll es jedoch tunlich nicht bleiben. Der Grundvorrat müßte nach Meinung der Propagandisten mit einem stattlichen »Ergänzungsvorrat« komplettiert werden
- Mehl, Grieß, Haferflocken, Knäckebrot, Zwieback, Hartkeks, Cornflakes, Hülsenfrüchte, kochfertige Suppen, getrocknete Speisekartoffeln, Puddingpulver, Gemüsekonserven, Obstkonserven, Tomatenmark,
Trockenobst, Obstsäfte, Marmelade, Bienen- und Kunsthonig, Schokolade, Kakao, Zuckerwaren, Süßwaren, Dauerwurst, Räucherspeck, Kondensmilch, Milchpulver, Gewürze, Salz, Essig, Suppenwürze, Rohkaffee, Kaffee-Extrakt -Pulver, Kaffee-Ersatzmischungen und Tee sowie Babynahrung auf Milch-, Stärke-, Getreide- und Gemüsebasis für Säuglinge und Kleinkinder.
Die Agentur Gabler scheute keine geistige Strapaze, um die Broschüre werbekräftig zu machen. So ließen sich die Autoren eine Eichhörnchen-Vignette als originelles Symbol der Vorratshaltung einfallen und gedachten dieses Signum mit dem Slogan »Hab' was im Haus, schaff' Vorrat an« zu beschriften. Dieser Vorratswerbung hatte sich indes schon die Konservenfabrik Bassermann bemächtigt - »Hab' was im Hause von Bassermann« -, was die Münchner Werbetexter zu der Neuschöpfung nötigte: »Denk' daran, schaff' Vorrat an.«
Das fertige Werk wanderte im Bundesernährungsministerium vom zuständigen Referenten, Ministerialrat Freiherr von Welck, über zahlreiche andere Instanzen bis zu Minister Schwarz, der schließlich dem Bundeskabinett das letzte Wort über die Meriten der Broschüre gab. Aber auch dieses hohe Kollegium zeigte sich einer Entscheidung nicht recht gewachsen. Vielmehr bekam jedes Kabinettsmitglied ein Exemplar der Märchenfibel, mit dem Auftrag, das Urteil der eigenen Ehefrau einzuholen.
Nach einiger Beratungszeit stand das Problem jüngst wieder auf der Tagesordnung des Kabinetts. Bundesratsminister Hans-Joachim von Merkatz, gewohnt, sich mit weniger dringlichen Staatsgeschäften zu befassen, bat ums Wort. Gattin Margarete, so ließ Merkatz wissen, sei mit der Vorratsbroschüre nicht zufrieden. Nicht an der Form jedoch hatte die kritische Leserin Merkatz Anstoß genommen, sondern am Sachgehalt. Seine Frau - so Merkatz
- finde die Zusammenstellung der Vorräte unmöglich.
Das Kabinett beschloß, das Projekt - Wiedervorlage im nächsten Jahr - an das Ernährungsministerium zurückzuverweisen.
Fibel-Leser Merkatz, Ehefrau: Veto aus der Küche