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KIRCHE Gerechter Krieg

Acht Länder Zentralamerikas wird Papst Johannes Paul II. besuchen. Eine Versöhnung im Streit zwischen der konservativen Geistlichkeit und progressiven Priestern der »Basisgemeinden« wird er kaum erreichen.
aus DER SPIEGEL 9/1983

Die Soutane hat der Priester einfach über T-shirt und Blue jeans gestreift. Um ihn scharen sich ungefähr fünfzig Frauen, Kinder und Männer, einfache Bauern. Sie fürchten sich vor der Nationalgarde El Salvadors, vor den Todesschwadronen. Denen ist jeder suspekt, der dem Wort Gottes lauscht. Darum wagen sie nicht, zur Messe in die Stadt zu fahren, sondern versammeln sich auf einem Feld unweit Aguilares.

Padre Alfonso predigt ihnen: »Jesus Christus ist auch für unsere Freiheit gestorben. Gott ist auch ein Gott der Freiheit. Und er erwartet von uns, daß wir für diese Freiheit auch kämpfen ...«

Wenige Wochen nach diesen Worten erfährt Monsignor Rivera y Damas, der Erzbischof von San Salvador, von der Ermordung dieses Priesters.

Padre Alfonso ist einer von vielen Gottesdienern in Lateinamerika, die ihr politisches Engagement mit dem Leben bezahlen mußten.

Am ersten Weihnachtstag 1977 hatte Pater Gaspar Garcia Laviana, Missionar des spanischen Ordens vom »Heiligsten Herzen Jesu« in Nicaragua, in einem offenen Brief bekanntgegeben, er werde sich dem bewaffneten Kampf der FSLN (Nationale Sandinistische Befreiungsfront) anschließen: »Weil es ein gerechter Krieg ist, ein Krieg, den die Heilige Schrift als gut anerkennt, weil er einen Kampf gegen einen Zustand darstellt, der dem Herrn, unserem Herrn, hassenswert erscheinen muß. Der Somozismus ist Sünde, und uns von der Unterdrückung zu befreien, heißt, uns von der Sünde zu befreien.«

Pater Gaspar Garcia Laviana fiel am 11. Dezember 1978 an der Südfront des nicaraguanischen Bürgerkriegs.

In El Salvador prangerte Erzbischof Oscar Arnulfo Romero nicht nur die sozialen Mißstände an. Er nannte auch die Ursachen des Elends der Bevölkerung, griff die ständigen Menschenrechtsverletzungen durch die Sicherheitskräfte an und forderte die Soldaten S.128 auf, sich Befehlen zu widersetzen, die »gegen das Gesetz Gottes« sind.

Einen Tag nach diesem »Aufruf zur Befehlsverweigerung« (so ein Militärsprecher), am 24. März 1980, wurde Romero - die »Stimme der Unterdrückten« - am Altar der Kapelle des »Hospitals zur Göttlichen Vorsehung« in San Salvador erschossen, als er eine Messe zelebrierte.

Nichts hat die katholische Kirche so zerrissen wie die Frage, wie weit das politisch-soziale Engagement eines Dieners der Kirche gehen darf, und nirgends geht der Streit so tief wie in Lateinamerika. Traditionalistische Geistliche mißtrauen den meist sozialistischen Forderungen nach längst überfälligen Reformen und halten es lieber mit der etablierten Macht, während progressive und sogar revolutionäre Priester aus dem christlichen Gebot der Nächstenliebe die Verpflichtung ableiten, auf gesellschaftliche Veränderungen hinzuwirken.

Diese Kluft reicht durch alle Kirchen Lateinamerikas, von Mexiko bis Feuerland. Während die Kirche in Argentinien seit Jahren über das Schicksal Tausender Verschwundener schweigt, geißelt die chilenische Bischofskonferenz öffentlich die Pinochet-Diktatur, »die Mißachtung der menschlichen Würde, die Mißhandlung von Häftlingen, den zügellosen Wirtschaftsliberalismus, die Verschwendungssucht der reichen Minderheit im Gegensatz zum Elend der Volksmehrheit«. Sie verlangt die »vollständige Wiederherstellung der Demokratie«.

Tiefste Uneinigkeit herrscht in den Kirchen der von Bürgerkrieg und Gewalt geschüttelten Staaten Zentralamerikas.

In Guatemala gilt schon der Besitz einer Bibel als Beweis für subversive Absichten, hat nur das mit Feuer und Schwert verkündete Wort des bigotten Generals Rios Montt Wert, der sich als Mitglied der in Kalifornien beheimateten Sekte »Christliche Kirche des Wortes« für »wiedergeboren« hält. Sogar die konservative Kirchenführung geriet in Guatemala in Opposition zur Staatsmacht.

In El Salvador, wo ein Priester den »Kampf für die Freiheit« predigt, segnet im 150 Kilometer entfernten San Miguel Militärbischof Eduardo Alvarez die Hubschrauber der Armee vor dem Einsatz gegen die Verbände der Guerilla.

In Nicaragua sieht sich der Priester, Dichter und Minister in der sandinistischen Regierung Ernesto Cardenal als »revolutionärer Christ« und »zugleich als Marxist«. Sein konservativer Vorgesetzter dagegen, Erzbischof Miguel Obando Bravo von Managua, klagt, die sandinistische Revolution sei »von Marxisten-Leninisten übernommen« worden.

Vor zwei Jahren hatte Papst Johannes Paul II. Regierungsvertretern aus Managua seine Wünsche für »eine Zukunft in Frieden, Eintracht, Solidarität und in Übereinstimmung mit der jahrhundertealten christlichen Tradition« mitgegeben.

Ob er aber bei seinem Besuch Frieden und Eintracht in seiner Kirche wiederherstellen kann, scheint zweifelhaft. Mit Blick auf seine reformfreudigen Priester in Lateinamerika mahnte der katholische Oberhirte: »Eine 'Volkskirche', die im Gegensatz zu der von den rechtmäßigen Hirten geleiteten Kirche steht, ist eine schwere Abweichung vom Willen und vom Heilsplan Jesu Christi.«

Der Konflikt reicht also bis Rom. »Volkskirche« und »Basisgemeinden« - für konservative Kirchenmänner ist beides schon nahezu Teufelswerk. Denn die Aktivierung der Basis des Kirchenvolkes - auch ohne den Pfarrer, der alles lenkt - bedeutet in seiner Konsequenz, daß christliches Leben auch ohne priesterliche Betreuung möglich, mithin daß der Klerus überflüssig ist.

Den Streit hatte der liberale Papst Johannes XXIII. durch das Zweite Vatikanische Konzil gerade vermeiden wollen. Es hatte progressiv-revolutionären Priestern den Weg geebnet, als es die Katholiken in aller Welt aufforderte, sich stärker als bisher mit den sozialen und politischen Problemen zu befassen.

Für Lateinamerika war dieser Aufruf ein Startsignal. Was dort einzelne Priester und Bischöfe bereits in »vorauseilendem Gehorsam« ("Heute tun, was morgen erlaubt sein wird") praktiziert hatten, wurde nun offiziell gebilligt: politisches Wirken und soziales Engagement der Priester.

Die Kirche begann in etlichen Ländern aus dem in Lateinamerika traditionellen Machtdreieck - Großgrundbesitz, Militär, Kirche - auszubrechen und näherte sich den Armen, wenn auch keineswegs geschlossen, als Institution.

Zunächst waren es nur einzelne, deren Namen die Kirche heute kaum noch mit sich in Verbindung bringen mag. Als erster lateinamerikanischer Kleriker erhob der kolumbianische Priester Camilo Torres die politische Revolution zum christlichen Gebot. Er sah keine andere Möglichkeit, dringend notwendige Änderungen der sozialen Verhältnisse in Kolumbien durchzusetzen, als den Weg der Gewalt.

Camilo Torres legte die Soutane ab und schloß sich der Guerilla an. Wenige Wochen später, im Februar 1966, wurde er von regulären kolumbianischen Truppen erschossen.

Noch schockierender als der Guerrillero im Priestertalar waren für konservative Kirchenkreise die »Dokumente von Medellin« (Kolumbien): Die zweite Generalversammlung des Ständigen Lateinamerikanischen Bischofsrates (Celam) hatte 1968 die Probleme des »Katholischen Kontinents« untersucht. S.129

Als Ursache für Armut, Ausbeutung und Unterdrückung erkannten die Bischöfe das kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und seine Abhängigkeit von den reichen Industrienationen. Sie verurteilten dieses System als »sündhaft« und als »institutionalisierte oder strukturelle Gewalt«.

Die Gewalt linker Guerrilleros in Lateinamerika war so als eine abgeleitete »Gewalt des Widerstandes« theologisch zu begründen. Viele überzeugte Christen, darunter auch einige Priester, die in Nicaragua auf der Seite der Sandinisten gegen den rechten Diktator Somoza kämpften, haben sich auf dieses Widerstandsrecht berufen.

Mit der »Option der Kirche für die Armen«, der zweiten zentralen Aussage von Medellin, begann die Kirche, für die Benachteiligten Partei zu ergreifen. Dabei berief sie sich auf die Bibel: Auch Christus sei nie neutral gewesen, sondern habe sich für die Schwachen und Unterdrückten eingesetzt.

Ausgehend also von der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit, entwickelte sich abseits der akademischen Gotteslehre die »Theologie der Befreiung": Nach ihr muß sich der Mensch aus seinen Abhängigkeiten befreien, wenn er über eine gerechte Gesellschaft zu seiner wahren Bestimmung kommen will. Er muß sich also aus der sündhaften Abhängigkeit von einem System institutionalisierter Gewalt lösen, abrücken von den Machtzentren dieser Welt.

Praktische Anwendung findet diese »Theologie der Befreiung« vor allem in den »Basisgemeinden": eine kleine Gruppe christlicher Laien, die mangels Priester gemeinsam ihre Probleme besprechen, die Bibel lesen und einander helfen, etwa beim Bau einer Hütte, beim Lesenlernen.

Für diese Gruppen, die nur selten Kontakt zu einem Priester haben, ist Christentum nichts abstrakt Mystisches, sondern Alltagsleben. So gehen Evangelisierung und Politisierung Hand in Hand.

Allein in Brasilien gibt es heute weit über 100 000 solcher Basisgemeinden. Während etwa der Brasilianer Dom Helder Camara, Erzbischof von Olinda und Recife, auf die Volkskirche hofft ("Von den Basisgemeinden geht eine neue Vitalität aus, die zu einer dem Evangelium näherstehenden Kirche führen kann"), fürchten konservative Bischöfe, die Gläubigen könnten ihrem Einfluß entgleiten.

Die dritte Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe im mexikanischen Puebla (1979) jedoch bestätigte - wenn auch leicht modifiziert und gegen den Willen konservativer Bestrebungen - die Dokumente von Medellin.

Die herrschende Oligarchie Lateinamerikas bekämpft diese »Aufwiegelung des Volkes« mit äußerster Härte. So tauchten in San Salvadors Prominentenviertel San Benito Flugblätter der rechten Terrororganisation »Union Weißer Krieger« auf: »Diene Deinem Vaterland - töte einen Priester]«

Nicht nur erzreaktionäre Großgrundbesitzer, auch die konservative Mehrheit unter den kirchlichen Würdenträgern sieht sich durch die radikalen Prediger herausgefordert. Sie betrachten das politisch-soziale Engagement ihrer Pfarrer als Abkehr von den Aufgaben der Verkündigung der christlichen Heilslehre und eine Hinwendung zu rein weltlichen Fragen.

Die meisten Kirchen Zentralamerikas, die der Papst besuchen wird, haben diesen innerbetrieblichen Konflikt noch nicht ausgestanden. In Nicaragua, wo seit dem Sieg der sandinistischen Revolution die äußere Bedrohung durch eine brutale Diktatur verschwunden ist, brach der Streit offen aus.

Der konservative Bischof Obando, der in der Bewegung der »Volkskirche« einen Angriff auf seine Autorität sieht, greift hart durch. Er exkommunizierte eine ganze Gemeinde, die sich seinem Willen widersetzte. Geistliche wurden strafversetzt. Daß es eine »bürgerliche Kirche« und »eine Kirche der Armen« gebe, bestreitet er schlicht.

Den in öffentlichen Ämtern tätigen Priestern befahl er, ihre politischen Tätigkeiten aufzugeben. Als die Betroffenen ablehnten, unter ihnen Außenminister Miguel D'Escoto Brockmann und Kulturminister Ernesto Cardenal, wurde ihnen die Ausübung kirchlicher Funktionen untersagt - ein Verbot, das der Vatikan inzwischen bestätigte.

Wie schon die Reisen nach Mexiko und Brasilien soll auch der neuntägige Papst-Trip durch die sieben Länder Mittelamerikas und Haiti ein Erfolg werden, der innere Zank die zu erwartende Begeisterung nicht trüben.

Nach fünfmonatigen Verhandlungen zwischen Rom und Managua einigte man sich, den Besuch des Papstes auf den 4. März vorzuverlegen, so daß Junta-Koordinator Daniel Ortega noch rechtzeitig zur Blockfreien-Konferenz nach Neu-Delhi kommt.

Als Gegenleistung wird der Altar für die Messe auf Managuas »Platz des 19. Juli« so aufgestellt, daß Johannes Paul II. nicht zu dicht neben den riesigen Konterfeis der nicaraguanischen Nationalhelden Sandino und Carlos Fonseca predigen muß.

Auf dem Flughafen Ilopango wird der Papst am 6. März auch den blutgetränkten Boden El Salvadors küssen und an die geschundenen Gläubigen einige Worte des Trostes richten. Das ist versprochen, und viel mehr ist kaum drin. Natürlich werden beide Lager, Regierung wie Opposition, das Ereignis für sich auszuschlachten suchen. Der linke Priester Miguel Ventura warnte auch schon, daß der päpstliche Besuch »von jenen ausgenützt werden wird, die verzweifelt versuchen, den Fortschritt des salvadorianischen Volkes aufzuhalten«.

Lebensgefährlich wird der Abstecher nach Guatemala für das katholische Kirchenoberhaupt. Die mit vielen frommen Schriften und noch mehr Geld ausgerüsteten Glaubensbrüder des »wiedergeborenen« Staatspräsidenten Rios Montt beschreiben den Papst als den »Antichristen« und seinen Besuch als die »Ankunft des Tieres« aus der Apokalypse.

Schon erhielt Erzbischof Mario Casariego von Guatemala-Stadt anonyme Drohungen, in denen Mordanschläge auf den Papst angekündigt werden. Dennoch will Militärdiktator Rios Montt kein gepanzertes Fahrzeug zur Verfügung stellen: »Keine Chance, wir haben kein Geld für Waffen und noch weniger für Fahrzeuge dieser Art.«

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