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INDIEN Geruch von Knoblauch

Nach einer Serie von politischen Rückschlägen gerät Regierungschef Rajiv Gandhi nun auch unter Korruptionsverdacht. *
aus DER SPIEGEL 16/1987

Er war angetreten mit dem Image des Saubermanns, des »Mr. Clean«, der die indischen Augiasställe auszumisten versprach. »Ich verpflichte mich, eine saubere Regierung zu führen; die Korrupten, die Faulen und die Unfähigen werden darin keinen Platz finden« - mit dieser Verheißung gelang Rajiv Gandhi im Dezember 1984 ein glänzender Wahlsieg, wie ihn auf dem Subkontinent noch kein Premier errungen hatte.

Gut zwei Jahre nach diesem Vertrauensbeweis ist im indischen Riesenreich die Euphorie einer wachsenden Kritik am Regierungsstil des Nehru-Enkels gewichen. Und erstmals wird jetzt auch die persönliche Integrität des Premierministers angezweifelt.

Sein Name taucht in einer bizarren Affäre um Finanzmanipulationen auf,

die sich zu einem Watergate für den ohnehin geschwächten Regierungschef auswachsen könnte. Schon fragt das populäre Wochenblatt »Sunday": »Kann Rajiv sich von diesem Schlag erholen, oder ist dies der Anfang seines politischen Endes?«

Der Sturm wurde ausgelöst durch einen Mann, den Gandhi zu Beginn seiner Amtszeit mit dem Roden des Dschungels von Wirtschaftskriminalität, Steuerhinterziehung und Korruption beauftragt hatte:

Wischwanath Pratap Singh, 56, ein Marktwirtschaftler fürstlichen Geblüts, der sich als erfolgreicher Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundesstaates Uttar Pradesch einen Ruf von Unbestechlichkeit und Glaubwürdigkeit erworben hatte.

Wischwanath Pratap Singh sorgte als Finanzminister Gandhis dafür, daß Indiens Begüterten wieder beigebracht wurde, was Steuermoral bedeutet. Bei Razzien in 6400 Firmen kassierten seine Fahnder fünf Milliarden Rupien für den Fiskus ab.

Kompromißlos ging der Finanzminister auch gegen Großunternehmer vor die sich der regierenden Kongreßpartei mit Spenden erkenntlich gezeigt hatten.

Doch das aufgeschreckte Big Business wehrte sich erbittert und brachte seine journalistischen Gehilfen gegen die »Kriminalisierung der reichen Inder« in Position. Bombays Börse streikte, Kabinettsmitglieder meuterten, und Rajiv Gandhi steckte schließlich zurück.

Im Januar nutzte der Premier die Spannungen an der indisch-pakistanischen Grenze als Vorwand und schob seinen besten Minister in das Verteidigungsressort ab. W. P. Singh, über die Degradierung sichtlich betroffen, blieb gleichwohl loyal: »Ich beuge mich dem Wunsch meines Führers.«

Womöglich aber gab es noch andere Motive für das plötzliche Abhalftern des lauteren Finanzministers. Der Premier habe, so behaupteten Oppositionsabgeordnete Ende März in einem turbulenten Parlamentsauftritt, bevorstehende Enthüllungen über illegale Finanzaktivitäten verhindern wollen, die engste Freunde und Mitglieder seiner Familie belastet hätten.

Wenige Tage vor seiner Abberufung hatte Wischwanath Pratap Singh dem Regierungschef ein brisantes Dossier überreicht: Es enthielt die Namen prominenter Inder mit geheimen Bankkonten in der Schweiz.

Die Informationen stammten von amerikanischen Spürhunden. Denn in seinem Kampf gegen Steuerhinterziehung, illegale Geschäftspraktiken und Kapitalflucht hatte W. P. Singh auch das US-Detektivbüro Fairfax aus Annandale, Virginia, anheuern lassen.

Das war offenbar ein guter Griff, die US-Schnüffler wurden schnell fündig. »Wir haben der indischen Regierung einschlägige und bedeutsame Fakten übermittelt«, ließ sich Fairfax-Boss Michael J. Hershman in der indischen Presse vernehmen - obwohl zuvor der Staatsminister des Finanzressorts vor dem Parlament den Auftrag an die Amerikaner abgestritten hatte.

Die peinliche Flunkerei brachte die Regierung nur noch tiefer in den Sumpf übler Verdächtigungen. Schon werden Namen von Industriellen genannt, die als Finanziers von Gandhis Kongreßpartei gelten und die von den Untersuchungen belastet werden sollen.

Ins Gerede kam auch Amitabh Batschtschan, 43, Abgeordneter der Kongreßpartei und Indiens beliebtester Filmstar. Er soll über seinen Bruder Adschitabh, der in der Schweiz lebt, Geld außer Landes geschafft haben.

Als »Verleumdungen, die nach Knoblauch riechen«, tat Batschtschan die Vorwurfe im Parlament ab. Der Leinwandheld zahlt seit langem zu den wenigen personlichen Freunden von Rajiv Gandhi und seiner italienischen Frau Sonia, 40.

Sonia, Tochter des früheren Wäschereibesitzers Maino aus Turin, hält sich auf der gesellschaftlichen Bühne Neu-Delhis gern bescheiden im Hintergrund. Oppositionspolitiker haben die First Lady gleichwohl im Visier, wenn sie seit Jahren mokant auf die erstaunliche Zunahme von Projektvergaben an italienische Firmen verweisen.

Das tat auch jetzt im Unterhaus wieder der Abgeordnete Madhu Dandawate. Er behauptet, Batschtschans Bruder leite in der Schweiz eine Firma mit italienischen Partnern, die »indische Verbindungen« besäßen.

Das Magazin »Surja« schloß daraus auf eine Verstrickung des Premierministers selber in den Finanzskandal: »W. P. Singh hatte herausgefunden, daß Sonias Vater, Maino, heute ein schwerreicher Mann ist. Woher hat Rajiv Gandhis Schwiegervater soviel Geld in so kurzer Zeit bekommen?«

Vergeblich forderten die Oppositionsparteien eine Parlamentsdebatte über die Fairfax-Affäre. Nervös schnitt Rajiv Gandhi alle Diskussionen mit der Mitteilung ab, ein Bundesrichter werde den Fall untersuchen. Damit hat der Regierungschef zunächst einmal Zeit gewonnen.

Wischwanath Pratap Singh übernahm inzwischen die volle Verantwortung für das Anwerben der amerikanischen Ausspäher: »Ich bin der festen Überzeugung, im Einvernehmen mit dem Premierminister gehandelt zu haben, der mich ja damit beauftragt hatte, gegen Schattenwirtschaft und Kapitalflucht hart vorzugehen.«

Für Rajiv Gandhi ist der Finanzskandal ein weiterer Prestigeverlust in einer schwarzen Serie von politischen Fehltritten und Rückschlägen.

Das zerrüttete Verhältnis zu Staatspräsident Sail Singh, das Desaster bei den jüngsten Länderneuwahlen in Kerala und Westbengalen, unreife Ausbrüche Rajivs im Parlament und seine herrischen Allüren haben auch in der Kongreßpartei Zweifel an der Zukunft des angeschlagenen Spitzenmanns geweckt.

Sollte sich Rajiv Gandhis politischer Niedergang beschleunigen, steht ein herausragender Nachfolgekandidat bereit: Wischwanath Pratap Singh. Der Ex-Finanzminister erwog vorige Woche schon, sich vom stolpernden Regierungschef durch einen vorzeitigen Rücktritt abzusetzen.

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